KIEW (dpa) — Die Gaspipe­line Nord Stream 1 bleibt ein geopo­li­ti­scher Streit­punkt — gleiches gilt für den Konflikt um Getrei­de­ex­por­te aus der Ukrai­ne. Die Entwick­lun­gen im Überblick.

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj warnt vor Zugeständ­nis­sen an Russland aufgrund der Sorge vor Energie­eng­päs­sen in Europa.

Die geplan­te Liefe­rung einer gewar­te­ten russi­schen Turbi­ne für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 etwa sende ein völlig falsches Signal an Moskau, sagte er am Montag in einer Video­bot­schaft. «Wenn ein terro­ris­ti­scher Staat eine solche Ausnah­me bei den Sanktio­nen durch­set­zen kann, welche Ausnah­men will er dann morgen oder übermor­gen? Diese Frage ist sehr gefährlich.»

Das russi­sche Staats­un­ter­neh­men Gazprom hatte die Liefer­men­ge durch Nord Stream 1 im Juni deutlich gedros­selt und auf die fehlen­de Turbi­ne verwie­sen, die zur Repara­tur nach Kanada gebracht worden war. Eine Regie­rungs­spre­che­rin sagte am Montag in Berlin, die Liefe­rung der Turbi­ne falle nicht unter die EU-Sanktio­nen, weil diese sich aus gutem Grund nicht gegen den Gastran­sit richteten.

Über die zuletzt wichtigs­te Route für russi­sches Erdgas nach Deutsch­land wird seit Montag nichts mehr gelie­fert — nach Darstel­lung der Nord Stream AG wegen Wartungs­ar­bei­ten bis zum 21. Juli. Bis dahin werde kein Gas durch die Pipeline nach Deutsch­land beför­dert, hieß es. Jedoch besteht allge­mein die Sorge, dass Moskau den Hahn danach nicht mehr aufdreht und Gas im Herbst und Winter knapp wird.

«Russland belie­fert Deutsch­land jetzt nur noch über die Trans­gas-Pipeline durch die Ukrai­ne», sagte der Präsi­dent der Bundes­netz­agen­tur, Klaus Müller, dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land. «Die Regie­rung in Moskau könnte die Liefer­men­gen durch die Ukrai­ne jeder­zeit erhöhen, um ihre vertrag­li­chen Verpflich­tun­gen zu erfül­len. Dazu fehlt (Russlands Präsi­dent) Wladi­mir Putin aber offen­bar der politi­sche Wille.» Wenn die gewar­te­te Turbi­ne bis zum Ende der Nord-Stream-Wartung am 21. Juli wieder einge­baut sei, «hätte Russland kein Argument mehr, die Liefer­men­gen beim Gas weiter­hin zu drosseln».

Selen­skyj: Moskau sieht «Manifes­ta­ti­on der Schwäche»

Selen­skyj sagte, die Entschei­dung über eine «Ausnah­me bei den Sanktio­nen» werde in Moskau als «Manifes­ta­ti­on der Schwä­che» wahrge­nom­men. «Das ist ihre Logik. Und jetzt besteht kein Zweifel daran, dass Russland versu­chen wird, die Gaslie­fe­run­gen nach Europa nicht nur so weit wie möglich einzu­schrän­ken, sondern im akutes­ten Moment vollstän­dig einzustellen.»

Jedes Zugeständ­nis werde von Moskau als Anreiz für weite­ren, stärke­ren Druck wahrge­nom­men, meinte er. «Russland hat sich im Energie­sek­tor nie an die Regeln gehal­ten und wird es auch jetzt nicht tun, es sei denn, es sieht Stärke.»

Massen­flucht aus dem Donbass

Seit Beginn des russi­schen Angriffs­kriegs vor vierein­halb Monaten sind nach Behör­den­an­ga­ben allein aus dem regie­rungs­kon­trol­lier­ten Teil der umkämpf­ten Region Donezk im Osten der Ukrai­ne rund 1,3 Millio­nen Menschen geflohen.

Laut Gouver­neur Pawlo Kyryl­en­ko entspricht das etwa 80 Prozent der Zivil­be­völ­ke­rung. Seit Russland die Kontrol­le über die Region Luhansk übernom­men hat, hat sich der Schwer­punkt der Kämpfe ins benach­bar­te Donezk verlagert.

Raketen­an­griff in Donezk: Zahl der Toten steigt auf über 30

Nach einem Raketen­an­griff auf Tschas­siw Jar im Gebiet Donezk ist die Zahl der aus einem zerstör­ten Wohnhaus gebor­ge­nen Toten auf mehr als 30 gestie­gen. Das ukrai­ni­sche Innen­mi­nis­te­ri­um sprach am Montag von 33 Leichen. Neun Menschen seien seit dem Wochen­en­de aus den Trümmern geret­tet worden.

Die ukrai­ni­sche Seite wirft Russland vor, Zivilis­ten attackiert zu haben. Moskau behaup­tet, man habe ein militä­ri­sches Ziel zerstört. Am Montag­abend berich­te­te die russi­sche Seite über Verletz­te bei einem Angriff der Ukrai­ne nahe Nowa Kachow­ka. Berich­te aus den Kampf­ge­bie­ten lassen sich von unabhän­gi­ger Seite kaum prüfen.

Putin ordnet einfa­che­re Verga­be russi­scher Pässe an

Menschen in der Ukrai­ne sollen künftig in einem verein­fach­ten Verfah­ren die russi­sche Staats­bür­ger­schaft erhal­ten können. Russlands Präsi­dent Putin unter­schrieb ein Dekret, das eine Auswei­tung der bislang nur für die Ostukrai­ne gelten­den Regelung vorsieht.

Kiew protes­tier­te scharf dagegen. Die Verga­be russi­scher Pässe ist auch deshalb brisant, weil Russlands Militär­dok­trin Einsät­ze recht­fer­tigt, wenn es um den angeb­li­chen Schutz eigener Staats­an­ge­hö­ri­ger geht.

Putin und Erdogan telefo­nie­ren zu Getreidekrise

Putin und der türki­sche Staats­chef Recep Tayyip Erdogan haben über mögli­che Lösun­gen des Streits um Getrei­de­ex­por­te aus der Ukrai­ne telefo­niert. Es sei Zeit für die Verein­ten Natio­nen, den Plan für einen Getrei­de­kor­ri­dor durch das Schwar­ze Meer umzuset­zen, hieß in einer Mittei­lung des türki­schen Präsidialamts.

Der Kreml teilte mit, bei dem Gespräch sei es auch um wirtschaft­li­che Zusam­men­ar­beit gegan­gen. Die Rede war zudem von einem geplan­ten «russisch-türki­schen Treffen auf höchs­ter Ebene» in nächs­ter Zeit. Später schrieb Selen­skyj auf Twitter, auch er habe mit Erdogan über Möglich­kei­ten zur Entsper­rung von Häfen und der Wieder­auf­nah­me des Getrei­de­ex­ports gesprochen.

Ermitt­lun­gen zur Ukrai­ne können Jahre dauern

General­bun­des­an­walt Peter Frank dämpft die Hoffnung auf schnel­le Erfol­ge bei der Straf­ver­fol­gung von Kriegs­ver­bre­chen im Ukrai­ne-Krieg. «Bitte erwar­ten Sie nicht, dass wir morgen oder übermor­gen irgend­wel­che Beschul­dig­te identi­fi­ziert haben», sagte Frank beim Jahres­pres­se­emp­fang der Bundes­an­walt­schaft in Karls­ru­he. Im Völker­straf­recht brauche man «einen langen Atem».

Er zog Paral­le­len zum syrischen Bürger­krieg, der 2011 begon­nen hatte. Erst 2019 sei in Deutsch­land die erste Ankla­ge erhoben worden. Bis zum ersten rechts­kräf­ti­gen Urteil seien zehn Jahre vergan­gen. Zum Ukrai­ne-Krieg gebe es «nament­lich noch überhaupt keine perso­nen­be­zo­ge­nen Ermitt­lungs­ver­fah­ren», sagte Frank.

Das wird heute wichtig

Die Welthun­ger­hil­fe stellt in Berlin ihren Jahres­be­richt vor und erläu­tert unter anderem, welche Auswir­kun­gen der Ukrai­ne-Krieg sowie Klima­kri­se, Flucht und Vertrei­bung auf den Mangel an Nahrungs­mit­teln weltweit haben.

In Prag wollen die EU-Justiz­mi­nis­ter bei einem infor­mel­len Treffen unter anderem über die Siche­rung von Beweis­mit­teln im Ukrai­ne-Krieg sprechen.

In Moskau hat das ostukrai­ni­sche Separa­tis­ten­ge­biet «Volks­re­pu­blik Donezk» die Eröff­nung einer Vertre­tung angekün­digt und erwar­tet dazu auch den russi­schen Außen­mi­nis­ter Sergej Lawrow.