KIEW/MOSKAU/BERLIN (dpa) — Geschos­se auf Charkiw, Kämpfe im Donbass — dennoch wollen Ankara und die UN die Chancen auf erneu­te Verhand­lun­gen auslo­ten. Moskau meldet derweil Festnah­men nach Explo­sio­nen auf der Krim. Die Ereig­nis­se Überblick.

Ein halbes Jahr nach Beginn des russi­schen Angriffs auf die Ukrai­ne bemühen sich die Verein­ten Natio­nen in Zusam­men­ar­beit mit der Türkei weiter um die Anbah­nung einer Verhand­lungs­lö­sung zwischen den Kriegsparteien.

Am Donners­tag wollen UN-General­se­kre­tär António Guter­res und der türki­sche Präsi­dent Recep Tayyip Erdogan den ukrai­ni­schen Präsi­den­ten Wolodym­yr Selen­skyj in Lwiw in der Westukrai­ne zu Gesprä­chen treffen, wie das türki­sche Präsi­di­al­amt in Ankara am Diens­tag mitteilte.

Die damit verbun­de­nen Hoffnun­gen sind jedoch gedämpft: UN-Kreise halten Verhand­lun­gen über eine landes­wei­te Waffen­ru­he nur für möglich, wenn weder Russland noch die Ukrai­ne nennens­wer­te Gelän­de­ge­win­ne mehr verzeich­nen können und vom Ziel eines Sieges Abstand nehmen. Die Ukrai­ne will jedoch ihre verlo­re­nen Gebie­te um jeden Preis zurück­er­obern, um nicht Lands­leu­te der Willkür der russi­schen Besat­zung ausge­setzt zu lassen. Russlands Kriegs­zie­le laufen weiter auf eine weitge­hen­de Unter­wer­fung der Ukrai­ne hinaus. Gesprä­che zwischen Kiew und Moskau waren daher bereits in den ersten Kriegs­wo­chen ohne Ergeb­nis abgebro­chen worden.

Getrei­de­ex­por­te nehmen Fahrt auf

Einen gemein­sa­men Erfolg haben die Verhand­ler Guter­res und Erdogan aller­dings zu verzeich­nen: Ende Juli hatten sie die Kriegs­par­tei­en bei dem Abkom­men zur Ausfuhr von ukrai­ni­schem Getrei­de zu einer Einigung gebracht. Laut einer vorläu­fi­gen Bilanz des Koordi­na­ti­ons­zen­trum in Istan­bul vom Diens­tag verlie­ßen seit der Öffnung des Seewe­ges bis zum 15. August bereits 21 Schif­fe ukrai­ni­sche Häfen. 15 Frach­ter seien in Richtung Ukrai­ne entsen­det worden. Damit seien mehr als eine halbe Milli­on Tonnen Getrei­de und andere Lebens­mit­tel aus der Ukrai­ne ausge­fah­ren worden, hieß es.

Am Mittwoch liefen nach Angaben des türki­schen Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums vier weite­re Frach­ter aus den ukrai­ni­schen Schwarz­meer-Häfen Odessa und Tschor­no­morsk aus.

Angrif­fe auf Charkiw, Kämpfe in Donezk

Während die Getrei­de­ex­por­te wieder anlau­fen, gehen die Kämpfe zwischen russi­schen und ukrai­ni­schen Truppen unver­min­dert weiter. In Charkiw, der zweit­größ­ten Stadt der Ukrai­ne, schlu­gen am Diens­tag­abend russi­sche Geschos­se ein. Es gab Schäden an Häusern, in einigen Vierteln fiel der Strom aus.

Ukrai­ni­sche Militärs berich­te­ten von hefti­gen Kampf­hand­lun­gen beson­ders im Donbass im Osten des Landes. Der Kiewer General­stab sprach in einem Lagebe­richt von hefti­gen Angrif­fen auf ukrai­ni­sche Stellun­gen am Nordwest­rand der Separa­tis­ten­hoch­burg Donezk. Weiter nördlich im Donbass bei Bachmut und Soledar sei es gelun­gen, russi­sche Sturm­an­grif­fe abzuwehren.

Nach Angaben der ukrai­ni­schen Luftwaf­fe beschos­sen russi­sche Flugzeu­ge bei Schyto­myr in der Westukrai­ne einen Flieger­horst. Unabhän­gi­ge Bestä­ti­gun­gen gab es nicht. Am kommen­den Mittwoch blickt die Ukrai­ne auf genau ein halbes Jahr Abwehr­kampf gegen die russi­sche Invasi­on zurück.

FSB nimmt nach Explo­sio­nen auf der Krim sechs Männer fest

Unklar ist weiter­hin, wer für die Explo­sio­nen auf der von Russland annek­tier­ten Schwarz­meer-Halbin­sel Krim am Diens­tag verant­wort­lich ist. Während Moskau im Anschluss von einem «Sabota­ge­akt» gespro­chen hatte, äußer­te Kiew Genug­tu­ung, übernahm aber keine Verant­wor­tung. Es war bereits die zweite Explo­si­on auf der Krim inner­halb von rund einer Woche.

Am Mittwoch infor­mier­te nun Moskau über die Festnah­me von sechs Männern, die laut russi­schem Inlands­ge­heim­dienst FSB der verbo­te­nen islamis­ti­schen Verei­ni­gung Hizb ut-Tahrir angehö­ren. Ohne einen direk­ten Zusam­men­hang zu den Detona­tio­nen zu ziehen, teilte der FSB mit, dass einige der Festnah­men in der Stadt Dschankoj auf der Krim erfolgt seien, unweit derer am Diens­tag ein Muniti­ons­la­ger explo­diert war.

Wer genau die Festge­nom­me­nen sind, gab der FSB nicht bekannt. Seit der russi­schen Annexi­on der Krim im Jahr 2014 wurden aber unter dem Vorwurf der Hizb-ut-Tahrir-Mitglied­schaft mehrfach ukrai­ni­sche Krimta­ta­ren inhaf­tiert und verur­teilt. Große Teile der musli­mi­schen Minder­heit, die zu Sowjet­zei­ten massi­ven staat­li­chen Repres­sio­nen ausge­setzt war, lehnen die jetzi­ge russi­sche Regie­rung ab.

Nawal­ny fordert härte­re Sanktio­nen gegen Oligarchen

Ein anderer Kreml­geg­ner wandte sich am Mittwoch aus der Haft an den Westen: Der russi­sche Opposi­tio­nel­le Alexej Nawal­ny forder­te stren­ge­re Sanktio­nen gegen russi­sche Oligar­chen. «Lassen Sie uns nicht verges­sen: Sanktio­nen sind notwen­dig, um den Aggres­sor zur Beendi­gung des Krieges zu zwingen», heißt es auf seinem Twitter-Konto. Der 46-Jähri­ge verbüßt in einem Straf­la­ger eine mehrjäh­ri­ge Haftstra­fe. Nawal­ny bemän­gel­te, dass von den 200 Menschen, die das Magazin «Forbes» als reichs­te Russen listet, nur knapp ein Viertel auf westli­chen Sankti­ons­lis­ten stehe.

Litau­en will europa­wei­te Regelung zu Touristenvisa

Dänemark drängt auf eine EU-weite Einigung zur Einschrän­kung von Touris­ten­vi­sa für russi­sche Staats­bür­ger. «Wenn es nicht mit einer gemein­sa­men Lösung klappt, werden wir von dänischer Seite die Möglich­kei­ten auslo­ten, Einschrän­kun­gen einzu­füh­ren, um die Zahl der russi­schen Touris­ten­vi­sa zu reduzie­ren», sagte der dänische Außen­mi­nis­ter Jeppe Kofod der Nachrich­ten­agen­tur Ritzau. «Ich finde es zutiefst beschä­mend, dass russi­sche Touris­ten in Südeu­ro­pa sonnen­ba­den und in Saus und Braus leben können, während ukrai­ni­sche Städte bis zur Unkennt­lich­keit zerbombt werden.»

Kofod sagte, er sei bereits mit anderen europäi­schen Kolle­gen über die Einschrän­kun­gen im Gespräch. «Ich will auf eine gemein­sa­me europäi­sche Lösung drängen, wenn wir uns Ende des Monats treffen. Es hätte natür­lich den bei Weitem größten Effekt, wenn es eine gemein­sa­me Front in Europa gäbe.»

Auch das balti­sche EU- und Nato-Land Litau­en regte weite­re inter­na­tio­na­le Maßnah­men gegen Russland an. «Am besten sollte es eine Entschei­dung auf europäi­scher Ebene sein, mit der einfach die Gültig­keit dieser Visa aufge­ho­ben wird und jeder damit aufhö­ren würde, sie zu auszu­stel­len», so Litau­ens Außen­mi­nis­ter Gabrie­li­us Landsbergis.

Litau­en hatte als eine Reakti­on auf Russlands Angriffs­krieg die Verga­be von Visa und Aufent­halts­ge­neh­mi­gun­gen an Russen bereits weitest­ge­hend ausge­setzt — ähnlich wie Estland und Lettland. Deutsch­land und auch die EU-Kommis­si­on in Brüssel lehnen einen grund­sätz­li­chen Stopp von Touris­ten­vi­sa ab.