KIEW (dpa) — Der Krieg hat in der Ukrai­ne unermess­li­che Schäden angerich­tet. Kiew will von Moskau Kompen­sa­ti­on und verlangt den Zugriff auf blockier­tes russi­sches Vermö­gen im Ausland. Die Ereig­nis­se im Überblick.

Die ukrai­ni­sche Armee ist bei ihrer Gegen­of­fen­si­ve im Osten des Landes tief in den Rücken der russi­schen Besat­zungs­trup­pen vorge­drun­gen. Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj bestä­tig­te die Rückerobe­rung der Kreis­stadt Balak­li­ja im Gebiet Charkiw. Die Armee habe seit Anfang Septem­ber mehr als 1000 Quadrat­ki­lo­me­ter der Ukrai­ne befreit, sagte er in seiner Videoansprache.

«Im Rahmen laufen­der Vertei­di­gungs­ope­ra­tio­nen haben unsere Helden bereits Dutzen­de von Siedlun­gen befreit», sagte er. «Die Ukrai­ne ist und wird frei sein», versprach er. Aller­dings halten russi­sche Truppen nach frühe­ren Angaben etwa 125.000 Quadrat­ki­lo­me­ter in der Ukrai­ne besetzt. Das ist ein Fünftel des Staats­ge­bie­tes einschließ­lich der Halbin­sel Krim.

Nach Angaben von Justiz­mi­nis­ter Denys Malius­ka will die Ukrai­ne Kriegs­ent­schä­di­gun­gen aus Russland von mindes­tens 300 Milli­ar­den US-Dollar (etwa 300 Milli­ar­den Euro) durch­set­zen. Bei der UN-Vollver­samm­lung wolle Kiew eine Resolu­ti­on errei­chen als Grund­stein für einen inter­na­tio­na­len Wieder­gut­ma­chungs­me­cha­nis­mus, sagte Malius­ka auf Besuch in Berlin. Für die Ukrai­ne ist Freitag der 198. Tag im Kampf gegen die russi­sche Invasion.

Ukrai­ni­sches Blau-Gelb weht wieder über Balaklija

Die Klein­stadt Balak­li­ja, die vor dem Krieg etwa 27.000 Einwoh­ner hatte, war mehre­re Monate von russi­schen Truppen besetzt gewesen. Als Beleg für die Rückerobe­rung veröf­fent­lich­te Selen­skyj ein Video, gedreht mutmaß­lich auf dem Rathaus. Vor der blau-gelben ukrai­ni­schen Fahne erstat­te­te ein Soldat dem Präsi­den­ten Bericht über die Einnah­me der Stadt. «Die Flagge der Ukrai­ne über einer freien ukrai­ni­schen Stadt unter einem freien ukrai­ni­schen Himmel», schrieb Selenskyj.

Nicht verifi­zier­te Inter­net­vi­de­os zeigten Passan­ten, die den ukrai­ni­schen Solda­ten zuwink­ten oder sie unter Tränen umarm­ten. Die von Russland einge­setz­te Verwal­tung für die erober­ten Gebie­te um Charkiw behaup­te­te, Balak­li­ja und der Ort Schewtschen­kowe seien weiter unter russi­scher Kontrol­le. Es würden Reser­ven in den Kampf geführt, melde­te die Agentur Inter­fax unter Berufung auf Verwal­tungs­chef Andrej Alexe­jen­ko. Die Angaben waren nicht unabhän­gig überprüfbar.

Nach Angaben des General­stabs in Kiew sind die ukrai­ni­schen Truppen bereits etwa 50 Kilome­ter nach Osten vorge­sto­ßen. Der Angriff läuft über Balak­li­ja hinaus in Richtung der Stadt Kupjansk. Dort ist ein wichti­ger Eisen­bahn­kno­ten­punkt, über den Russland seine Truppen beim Angriff auf den Donbass versorgt. In Kupjansk ordne­te die Besat­zungs­ver­wal­tung die Evaku­ie­rung von Frauen und Kindern an.

Die russi­sche Militär­füh­rung sei von der Attacke bei Balak­li­ja offen­bar überrascht worden, analy­sier­te der US-Militär­ex­per­te Micha­el Kofman auf Twitter. «Die russi­schen Kräfte waren zu weit verteilt.» Es gebe dort kaum Reser­ven. Im Unter­schied zu dem schnel­len Vorstoß im Osten schei­ne die Ukrai­ne bei ihrer anderen Gegen­of­fen­si­ve im Süden im Gebiet Cherson sehr syste­ma­tisch vorzugehen.

In der Großstadt Charkiw schlu­gen nachts erneut russi­sche Raketen ein, wie die örtli­chen Behör­den mitteil­ten. Es seien mehre­re Häuser getrof­fen worden, niemand sei verletzt worden.

Lloyd nennt ukrai­ni­sche Erfol­ge «ermuti­gend»

Nach Einschät­zung des US-Vertei­di­gungs­mi­nis­ters Lloyd Austin macht die Ukrai­ne bei ihrer laufen­den Gegen­of­fen­si­ve gegen die russi­schen Angrei­fer Fortschrit­te. «Wir sehen jetzt Erfol­ge in Cherson, wir sehen einen gewis­sen Erfolg in Charkiw — und das ist sehr, sehr ermuti­gend», sagte der Ex-General am Freitag am Rande eines Besuchs in Prag.

Ukrai­ne fordert Entschä­di­gung von Russland

«Wir wollen eine Kompen­sa­ti­on für alle Schäden, die Russland in der Ukrai­ne durch seinen Angriffs­krieg verur­sacht hat», sagte Justiz­mi­nis­ter Malius­ka den Zeitun­gen der Funke Medien­grup­pe. Der Schaden, den die Ukrai­ne durch die russi­sche Invasi­on erlit­ten hat, wird mittler­wei­le schon viel höher geschätzt. Doch die genann­te Summe von 300 Milli­ar­den US-Dollar entspricht den Gutha­ben der russi­schen Natio­nal­bank in den G7-Staaten, die im Zuge der Sanktio­nen einge­fro­ren wurden. Malius­ka verlang­te den Zugriff darauf sowie auf das Auslands­ver­mö­gen russi­scher Staats­un­ter­neh­men und beschlag­nahm­ten Besitz russi­scher Oligarchen.

Deutsch­land solle Auskunft geben, wie viel russi­sches Vermö­gen hier geparkt sei, sagte der Minis­ter. Zugleich solle Deutsch­land das ukrai­ni­sche Vorha­ben in der UN-Vollver­samm­lung in New York unter­stüt­zen. Malius­ka sprach am Donners­tag in Berlin mit Bundes­jus­tiz­mi­nis­ter Marco Busch­mann (FDP).

Bericht: Hunder­te Milli­ar­den für Wieder­auf­bau nötig

Der Krieg in der Ukrai­ne hat allein in den ersten etwas mehr als drei Monaten einen Schaden von mindes­tens 97 Milli­ar­den US-Dollar (rund 96,4 Milli­ar­de Euro) verur­sacht. Das geht aus einem gemein­sa­men Bericht der ukrai­ni­schen Regie­rung, der Weltbank und der Europäi­schen Kommis­si­on hervor, der am Freitag veröf­fent­licht wurde. Als Grund­la­ge für die Berech­nun­gen wurde der Zeitraum vom Beginn des Krieges am 24. Febru­ar bis zum 1. Juni heran­ge­zo­gen. Die am stärks­ten betrof­fe­nen Sekto­ren sind demnach der Wohnungs­bau (40 Prozent), das Trans­port­we­sen (31 Prozent) sowie der Handel und die Indus­trie (10 Prozent). Als am stärks­ten beschä­digt gelten die Gebie­te Donezk, Luhansk und Charkiw.

Die Kosten für Wieder­auf­bau der von Russland angegrif­fe­nen Ukrai­ne wurden mit Stand vom 1. Juni auf mindes­tens 349 Milli­ar­den US-Dollar (rund 346,7 Milli­ar­den Euro) geschätzt. Am meisten Geld werde für den Wieder­auf­bau des Trans­port­we­sens (21 Prozent), die Entmi­nung und Besei­ti­gung von explo­si­ven Überres­ten des Krieges (21 Prozent) und den Rückbau von Wohnbe­stand (20 Prozent) benötigt.

Putin und Erdogan wollen über Getrei­de-Abkom­men reden

Nach seiner Kritik am Abkom­men über den Export von ukrai­ni­schem Getrei­de will Russlands Präsi­dent Wladi­mir Putin sich darüber Ende kommen­der Woche mit dem türki­schen Staats­chef Recep Tayyip Erdogan austau­schen. Die Export-Verein­ba­rung kam im Juli unter türki­scher Vermitt­lung zustande.