KIEW (dpa) — Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Selen­skyj verlässt aus Sicher­heits­grün­den nur selten seine Haupt­stadt. Bei der Rückkehr von einer Reise in den Osten kommt es zu einem Zwischen­fall. Die News im Überblick.

Bei einem massi­ven Raketen­an­griff auf die zentralukrai­ni­sche Indus­trie­stadt Krywyj Rih hat die russi­sche Armee nach ukrai­ni­schen Angaben einen Staudamm schwer beschä­digt. Durch das zerstör­te Pumpwerk ström­ten so große Wasser­mas­sen, dass der Fluss Inhulez über die Ufer zu treten drohte. Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj sprach von einem Versuch, seine Heimat­stadt unter Wasser zu setzen.

Die ukrai­ni­sche Führung stell­te den Angriff auf zivile Infra­struk­tur in eine Reihe mit dem Beschuss von Kraft­wer­ken bei Charkiw wenige Tage zuvor. Dabei war in der Ostukrai­ne großflä­chig der Strom ausge­fal­len. «Alles was die Besat­zer können ist Panik zu säen, eine Notla­ge zu schaf­fen, Menschen ohne Licht, Wärme, Wasser oder Lebens­mit­tel zu lassen», schrieb Selen­skyj auf Telegram. «Kann uns das brechen? Keines­wegs.» Er hatte am Mittwoch die zurück­er­ober­te Stadt Isjum im Osten des Landes besucht. Abends wurde er mit seiner Autoko­lon­ne in Kiew nach Angaben seines Sprechers in einen Unfall verwickelt.

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz und UN-General­se­kre­tär António Guter­res kamen nach Telefo­na­ten mit Russlands Präsi­dent Wladi­mir Putin jeweils zum Schluss, dass mit ihm derzeit nicht über ein Ende des Krieges zu reden sei. Heute, am 204. Tag der russi­schen Invasi­on, ist EU-Kommis­si­ons­prä­si­den­tin Ursula von der Leyen in Kiew eingetroffen.

Beschuss auf Staudamm löst Flutwel­le aus

Auf Krywyj Rih wurden nach unter­schied­li­chen ukrai­ni­schen Angaben sieben oder acht Raketen abgefeu­ert. Der Verwal­tungs­chef des Gebiets Dnipro­pe­trowsk, Valen­tin Resnit­schen­ko, sprach von Marsch­flug­kör­pern des Typs Ch-22, die aus der Entfer­nung von russi­schen Kampf­flug­zeu­gen abgefeu­ert worden seien. Auch die Trans­port­in­fra­struk­tur der Stadt sei angegrif­fen worden. Von Opfern war zunächst keine Rede. Die Angaben der Kriegs­par­tei­en ließen sich auch in diesem Fall nicht unabhän­gig überprüfen.

Der Stausee dient der Trink­was­ser­ver­sor­gung der Stadt mit 625.000 Einwoh­nern. Durch den Schaden an dem Pumpwerk sei in weiten Teilen der Stadt die Wasser­ver­sor­gung ausge­fal­len, hieß es. Trotz des hohen Wasser­stands auf dem Fluss sei die Lage unter Kontrol­le, sagte Selen­sky­js Vizest­abs­chef Kyrylo Tymoschen­ko. Die Lage in den Stadt­tei­len, in denen Überschwem­mungs­ge­fahr drohe, werde ständig überwacht.

Der ukrai­ni­sche Außen­mi­nis­ter Dmytro Kuleba nannte den Angriff ein Kriegs­ver­bre­chen und einen Terror­akt. «Weil sie von der ukrai­ni­schen Armee auf dem Schlacht­feld geschla­gen wurden, führen die russi­schen Feiglin­ge nun Krieg gegen unsere Infra­struk­tur und Zivilis­ten», schrieb er auf Twitter. In seiner abend­li­chen Video­an­spra­che nannte Selen­skyj die Russen Schwäch­lin­ge: Solche Angrif­fe auf zivile Objek­te seien ein Grund, «warum Russland verliert».

Die Flutwel­le auf dem Inhulez hat aber ukrai­ni­schen Medien zufol­ge auch mögli­che militä­ri­sche Auswir­kun­gen. Weiter südlich bei Cherson bildet der Neben­fluss des Dnipro derzeit die Front­li­nie zwischen ukrai­ni­schen und russi­schen Truppen. Der hohe Wasser­stand könnte ein Passie­ren des Flusses erschweren.

Sprecher: Selen­skyj in Autoun­fall verwickelt

Nach der Rückkehr aus dem Osten des Landes sei ein Auto in Kiew mit dem Wagen des Staats­chefs und dessen Begleit­fahr­zeu­gen zusam­men­ge­sto­ßen, schrieb Selen­sky­js Sprecher Serhij Nykyfo­row am frühen Morgen auf Facebook. Der Präsi­dent sei von einem Arzt unter­sucht worden. «Es wurden keine ernst­haf­ten Verlet­zun­gen festge­stellt.» Nähere Details zu Selen­sky­js Gesund­heits­zu­stand wurden zunächst nicht mitge­teilt. Sanitä­ter hätten den Fahrer des anderen Wagens versorgt und in ein Kranken­haus gebracht, hieß es. Die Polizei unter­su­che die Umstän­de des Vorfalls.

Zwei Telefo­na­te mit Putin

UN-General­se­kre­tär António Guter­res sieht nach einem Gespräch mit Russlands Präsi­dent Putin momen­tan keine Hoffnung auf baldi­ge Friedens­ver­hand­lun­gen zwischen Moskau und Kiew. «Es wäre naiv zu glauben, dass wir der Möglich­keit eines Friedens­ab­kom­mens nahe sind», sagte Guter­res in New York. Zwar seien die Verein­ten Natio­nen bereit, in jegli­cher Hinsicht an einer diplo­ma­ti­schen Lösung zu arbei­ten, die Chancen dafür seien gegen­wär­tig aber «minimal».

Einen Tag vorher hatte auch Kanzler Scholz (SPD) nach länge­rer Pause wieder mit dem Kreml­chef telefo­niert. Er erken­ne aber keine Änderung in dessen Haltung zum Krieg gegen die Ukrai­ne, sagte Scholz. «Leider kann ich Ihnen nicht sagen, dass dort jetzt die Einsicht gewach­sen ist, dass das ein Fehler war, diesen Krieg zu begin­nen.» Es sei trotz­dem richtig, mitein­an­der zu sprechen und Putin die eigene Sicht der Dinge darzu­le­gen. Scholz sagte, er sei überzeugt, dass Russland sich aus der Ukrai­ne zurück­zie­hen müsse.

Ukrai­ni­scher Parla­ments­chef fordert deutsche Panzer

Zum Auftakt eines Deutsch­land­be­suchs forder­te der ukrai­ni­sche Parla­ments­prä­si­dent Ruslan Stefant­schuk von der Bundes­re­gie­rung eine Führungs­rol­le bei der Liefe­rung von Kampf­pan­zern an die Ukrai­ne. «Deutsch­land sollte seiner Führungs­rol­le gerecht werden und als erstes Land Kampf­pan­zer liefern», sagte Stefant­schuk der Deutschen Presse-Agentur am späten Mittwoch­abend in Berlin, wo er an einer Parla­men­ta­ri­er-Konfe­renz der G7 wirtschafts­star­ker Demokra­tien teilnimmt. «Ein Land wie Deutsch­land wartet nicht darauf, was andere tun.» Scholz hat immer wieder betont, dass er keine Allein­gän­ge bei den Waffen­lie­fe­run­gen machen wolle.

Eine persön­li­che Teilnah­me Selen­sky­js bei der General­de­bat­te der UN-Vollver­samm­lung kommen­de Woche wird derweil unwahr­schein­li­cher. Wie mehre­re Diplo­ma­ten in New York der Deutschen Presse-Agentur bestä­tig­ten, ist eine Resolu­ti­on in Arbeit, die dem ukrai­ni­schen Staats­ober­haupt eine Anspra­che bei dem politi­schen Großereig­nis per Video erlau­ben würde. Eine persön­li­che Teilnah­me Selen­sky­js würde ein höheres Sicher­heits­ri­si­ko bei der Anrei­se bedeu­ten. Es wäre das erste Mal seit Kriegs­be­ginn, dass er mit einer Auslands­rei­se Schlag­zei­len macht. Putin will erklär­ter­ma­ßen nicht an der Vollver­samm­lung teilneh­men und statt­des­sen Außen­mi­nis­ter Sergej Lawrow nach New York schicken.