KIEW/MOSKAU (dpa) — In Donezk droht russi­schen Truppen die Einkes­se­lung — russi­sche Kriegs­re­por­ter berich­ten von ukrai­ni­schen Erfol­gen. Selen­skyj fordert nachdrück­lich ein Raketen­ab­wehr­sys­tem aus Deutsch­land. Der Überblick.

Die russi­sche Führung will nach den im Eilver­fah­ren durch­ge­peitsch­ten Schein­re­fe­ren­den in der Ukrai­ne erst in der kommen­den Woche über den Beitritt der besetz­ten Gebie­te zur Russi­schen Födera­ti­on entschei­den. Das Parla­ment soll dazu am Montag und Diens­tag tagen.

Ende dieser Woche hinge­gen ist in Moskau schon eine große Kundge­bung vorge­se­hen, die den Rückhalt der Russen zur Expan­si­ons­po­li­tik von Kreml­chef Wladi­mir Putin demons­trie­ren soll. Ein Auftritt des russi­schen Präsi­den­ten ist möglich.

Kiew zeigt sich unter­des­sen weder von den angeb­li­chen Abstim­mungs­er­geb­nis­sen der Referen­den noch von Atomdro­hun­gen der russi­schen Führung einge­schüch­tert. Am Mittwoch machte die ukrai­ni­sche Armee weite­re Gelän­de­ge­win­ne und droht nun mit der Einkes­se­lung größe­rer russi­scher Truppen­tei­le. Präsi­dent Wolodo­myr Selen­skyj fordert die russi­schen Solda­ten zur Flucht auf. Heute ist der 218. Tag des Krieges.

Duma entschei­det Anfang der Woche über Annexionen

Die beiden russi­schen Parla­ments­kam­mern wollen am Montag und Diens­tag über mögli­che Annexio­nen der besetz­ten Regio­nen Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja entschei­den. Die Duma habe ihren Termin­ka­len­der geändert und komme an beiden Tagen zu Plenar­sit­zun­gen zusam­men, sagte Parla­ments­chef Wjatsches­law Wolodin nach Angaben der Staats­agen­tur Tass.

Zuvor hatte bereits die Vorsit­zen­de des Födera­ti­ons­rats, Valen­ti­na Matwi­jen­ko, erklärt, das Oberhaus des Parla­ments könnte in seiner regulä­ren Sitzung am Diens­tag eine Entschei­dung über den Beitritt der besetz­ten ukrai­ni­schen Gebie­te zu Russland treffen.

Moskau will auch nach den Schein­re­fe­ren­den den Krieg in der Ukrai­ne bis zur Erobe­rung des gesam­ten Gebiets Donezk fortset­zen. Das sei das Mindest­ziel, sagte Kreml­spre­cher Dmitri Peskow. Er äußer­te sich damit zum Ende der als Völker­rechts­bruch kriti­sier­ten Abstim­mun­gen in besetz­ten Gebie­ten in der Ukrai­ne. Bisher kontrol­lie­ren die russi­schen Truppen und die Separa­tis­ten­ver­bän­de rund 58 Prozent des ostukrai­ni­schen Gebiets Donezk.

Russi­schen Truppen droht Einkes­se­lung bei Lyman

Derzeit sind die russi­schen Truppen in der Defen­si­ve. So droht ihnen im Norden von Donezk offen­bar eine Einschlie­ßung durch die ukrai­ni­sche Armee. Russi­sche Kriegs­re­por­ter berich­te­ten von erfolg­rei­chen ukrai­ni­schen Vorstö­ßen nordöst­lich und östlich der Klein­stadt Lyman. Sollte die Siedlung Torske zurück­er­obert werden, droht den Russen eine Abschnei­dung der Verbin­dungs­we­ge von Lyman nach Kremin­na und Swatowe im Luhans­ker Gebiet. Die Straßen stehen bereits unter Beschuss durch die ukrai­ni­sche Artillerie.

Auch bei der Stadt Kupjansk im Gebiet Charkiw ist mit Kiwscha­riw­ka mindes­tens ein weite­rer Ort auf der Ostsei­te des Flusses Oskil ukrai­ni­schen Angaben zufol­ge zurück­er­obert worden. Das bedeu­tet, dass die Kiewer Truppen auch weiter auf die Region Luhansk vorrü­cken, die Moskau noch im Sommer als «vollstän­dig befreit» gemel­det hatte.

Selen­skyj fordert Waffen und härte­re Sanktionen

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Selen­skyj hat Deutsch­land um weite­re Waffen­lie­fe­run­gen an Kiew und die Verschär­fung des geplan­ten achten EU-Sankti­ons­pa­kets gegen Moskau gebeten.

«Zum Thema Vertei­di­gung habe ich unsere Erwar­tung an ein Raketen­ab­wehr­sys­tem aus Deutsch­land unter­stri­chen – vielen Dank für Ihre Hilfs­be­reit­schaft bei der Luftver­tei­di­gung», sagte Selen­skyj in seiner tägli­chen Video­an­spra­che nach einem Telefo­nat mit Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD). Beim Gespräch sei auch das neue Sankti­ons­pa­ket der EU erörtert worden. «Stand heute gibt es zum achten Sankti­ons­pa­ket noch etwas hinzu­zu­fü­gen», forder­te er.

Neben dem Scholz-Telefo­nat, bei dem laut Selen­skyj auch die mutmaß­li­che Sabota­ge an den Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 bespro­chen wurde, berich­te­te der ukrai­ni­sche Präsi­dent über weite­re Gesprä­che — und bedank­te sich beim türki­schen Staats­chef Recep Tayyip Erdogan für dessen Vermitt­lung beim Gefan­ge­nen­aus­tausch und die Militär­ko­ope­ra­ti­on. Bei US-Präsi­dent Joe Biden bedank­te sich Selen­skyj für die neuen Militär­hil­fen über 1,1 Milli­ar­den Dollar.

Die Ukrai­ne werde sich trotz der Schein­re­fe­ren­den in den von Russland besetz­ten Regio­nen nicht mit Gebiets­ver­lus­ten abfin­den und ihr Terri­to­ri­um zurück­er­obern. Die russi­schen Solda­ten forder­te er einmal mehr auf Russisch dazu auf, zu fliehen — oder sich zu ergeben. Nur so könnten sie ihr Leben retten, sagte der 44-Jährige.

EU-Parla­ments­prä­si­den­tin wirbt für Leopard-2-Lieferungen

EU-Parla­ments­prä­si­den­tin Rober­ta Metso­la hat angesichts des russi­schen Angriffs­kriegs für die Liefe­rung von Leopard-2-Panzern an die Ukrai­ne gewor­ben. «Die Panzer werden gebraucht», sagte sie bei einer Veran­stal­tung des Nachrich­ten­por­tals «The Pioneer» in Berlin.

«Wir sind an einem entschei­den­den Punkt. Die Ukrai­ne benötigt Waffen, um zu überle­ben», fügte Metso­la hinzu. Entspre­chen­de Pläne lägen auf dem Tisch. In der aktuel­len Situa­ti­on sei Europa gefor­dert voran­zu­ge­hen. Die Bundes­re­pu­blik habe dabei eine beson­de­re Rolle: «Und wir erwar­ten von Deutsch­land, dass es hilft, Führung zu übernehmen.»

Das wird heute wichtig

Kreml­chef Putin telefo­niert mit dem türki­schen Präsi­den­ten Erdogan. Auch hier soll es um die Schein­re­fe­ren­den in der Ukrai­ne gehen. Erdogan hatte die Abstim­mun­gen kriti­siert. Die Türkei hat sich in dem Konflikt als Vermitt­ler angebo­ten und bereits mehre­re Abkom­men wie den Getrei­de­deal oder einen größe­ren Gefan­ge­nen­aus­tausch zwischen den beiden Seiten arrangiert.