KIEW (dpa) — In der Ukrai­ne stehen russisch besetz­te Gebie­te im Süden bislang treu zu Kiew. Für die wenigen Ukrai­ner, die sich dem Gegner andie­nen, hat Präsi­dent Selen­skyj klare Worte. Die Entwick­lun­gen im Überblick.

In der stark zerstör­ten südukrai­ni­schen Stadt Mariu­pol ruhen die Hoffnun­gen am Samstag auf einem neuen Versuch der Evaku­ie­rung von Zivilis­ten unter Schutz des Roten Kreuzes.

Am Freitag war kein siche­rer Flucht­kor­ri­dor zustan­de gekom­men, auch wenn eigent­lich eine Feuer­pau­se verein­bart war. Vertre­ter des Roten Kreuzes kündig­ten aber an, am Samstag einen neuen Anlauf zu nehmen. Die hefti­gen Kämpfe in vielen Teilen der Ukrai­ne gingen in der Nacht zu Samstag weiter, wobei ukrai­ni­sche Behör­den Raketen­be­schuss auf mehre­re Großstäd­te im Süden des Landes melde­ten. Der russi­sche Präsi­dent Wladi­mir Putin hatte vor mehr als einem Monat am 24. Febru­ar den Angriff auf das Nachbar­land befohlen.

Raketen­tref­fer auf Städte

In der Millio­nen­stadt Dnipro seien in der Nacht zu Samstag zwei oder drei schwe­re Explo­sio­nen zu hören gewesen, berich­te­te das Portal «Ukrajins­ka Prawda» unter Berufung auf die Gebiets­ver­wal­tung. Die Umgebung der Stadt Krywyj Rih wurde mit Raketen­wer­fern beschos­sen. Dabei sei eine Tankstel­le in Brand geraten, teilte der Chef der örtli­chen Militär­ver­wal­tung, Olexan­der Wilkul, mit.

Seinen Angaben nach setzten die russi­schen Kräfte Mehrfach­ra­ke­ten­wer­fer vom Typ Grad (Hagel) ein. Wie alle Berich­te aus den Kampf­zo­nen waren die Angaben nicht unabhän­gig überprüf­bar. Am Freitag­abend war auch die Hafen­stadt Odessa am Schwar­zen Meer mit Raketen beschos­sen worden.

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj rechne­te mit hefti­gen russi­schen Angrif­fen im Osten seines Landes. «Russi­sche Solda­ten werden in den Donbass geholt. Genau­so in Richtung Charkiw», sagte der Staats­chef in einer Video­an­spra­che in der Nacht zum Samstag. «Im Osten unseres Landes bleibt die Lage sehr schwie­rig.» Die ukrai­ni­sche Luftwaf­fe habe trotz schwe­rer russi­scher Angrif­fe noch die Luftho­heit im eigenen Land, sagte deren Komman­deur Mykola Olescht­schuk. Russland habe nach dem Angriff am 24. Febru­ar versucht, die ukrai­ni­sche Luftwaf­fe auszu­schal­ten. Dies sei nicht gelungen.

Der General­leut­nant äußer­te sich, nachdem am Freitag ein Tankla­ger in der russi­schen Stadt Belgo­rod in Brand geraten war. Russi­sche Behör­den schrie­ben dies dem Angriff von zwei ukrai­ni­schen Heliko­ptern zu. Olescht­schuk forder­te von Verbün­de­ten moder­ne­re Waffen, darun­ter Jagdflug­zeu­ge und Flugabwehr-Raketensysteme.

Flucht aus Mariupol

Auch wenn es am Freitag keinen organi­sier­ten Flucht­kor­ri­dor aus Mariu­pol gab, gelang es dennoch etwa 3000 Menschen, auf ukrai­nisch kontrol­lier­tes Gebiet zu flüch­ten. Etwa 2500 Flücht­lin­ge aus Mariu­pol wie aus der Stadt Melito­pol trafen nachts in Bussen und Privat­au­tos in Saporischschja ein. Das teilte ein Mitar­bei­ter des ukrai­ni­schen Präsi­di­al­am­tes, Kirilo Timoschen­ko, mit.

Moskau sprach von ebenfalls mehr als 3000 Menschen, die Mariu­pol am Freitag in Richtung Russland verlas­sen hätten. Das Rote Kreuz plant, einen Evaku­ie­rungs­kon­voi aus Bussen und Privat­fahr­zeu­gen aus der Hafen­stadt zu geleiten.

Warnung an Kollaborateure

Selen­skyj mahnte Ukrai­ner im russisch kontrol­lier­ten Süden des Landes, keine Posten in dem Besat­zungs­re­gime anzuneh­men. In seiner Video­an­spra­che nannte er solche Leute Gaulei­ter wie bei den Natio­nal­so­zia­lis­ten. «Meine Botschaft an sie ist einfach: Die Verant­wor­tung für die Kolla­bo­ra­ti­on ist unaus­weich­lich. Nach ukrai­ni­schen Angaben versucht Russland, in den besetz­ten Gebie­ten moskau­treue Verwal­tun­gen aufzubauen.

Die prorus­si­schen Separa­tis­ten im Gebiet Luhansk teilten unter­des­sen mit, der Bürger­meis­ter der Stadt Rubisch­ne sei zu ihnen überge­lau­fen. Bürger­meis­ter Serhij Chortyw habe die ukrai­ni­schen Truppen aufge­ru­fen, die Waffen nieder­zu­le­gen. Rubisch­ne ist im Verwal­tungs­ge­biet Luhansk die achtgröß­te Stadt und hatte vor dem Krieg etwa 60.000 Einwoh­ner. Die Stadt war bislang nicht in der Hand der Separa­tis­ten. Kiewer Politi­ker drohten Chortyw Vergel­tung an.

Ein General­ma­jor der Reser­ve vom ukrai­ni­schen Geheim­dienst SBU wurde festge­nom­men bei dem Versuch, sich verbo­te­ner­wei­se nach Ungarn abzuset­zen. An der Grenze habe er sich als Gefrei­ter ausge­ge­ben, teilte das Staat­li­che Ermitt­lungs­bü­ro mit. In der Nacht zu Freitag hatte Selen­skyj mitge­teilt, er habe zwei Briga­de­ge­ne­rä­le des SBU degra­diert. Er nannte sie Verrä­ter, genaue Gründe nannte er nicht.

Militä­ri­sche und politi­sche Hilfe

Das US-Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um will der Ukrai­ne weite­re Waffen im Wert von 300 Millio­nen Dollar (270 Millio­nen Euro) zukom­men lassen. Das neue Paket soll verschie­de­ne Drohnen, Raketen­sys­te­me, gepan­zer­te Fahrzeu­ge, Muniti­on, Nacht­sicht­ge­rä­te, siche­re Kommu­ni­ka­ti­ons­sys­te­me, Maschi­nen­ge­weh­re, medizi­ni­sche Güter und die Bereit­stel­lung von kommer­zi­el­len Satel­li­ten­bil­dern umfas­sen. Das teilte das Penta­gon am Freitag­abend (Ortszeit) in Washing­ton mit.

Die US-Regie­rung hat der Ukrai­ne seit Beginn des russi­schen Angriffs­kriegs bereits Militär­hil­fen und Waffen­lie­fe­run­gen im Wert von 1,65 Milli­ar­den US-Dollar zugesagt. Seit Anfang vergan­ge­nen Jahres summie­ren sich die US-Hilfen auf 2,3 Milli­ar­den Dollar.

Mit der Präsi­den­tin des Europa­par­la­ments, Rober­ta Metso­la, sprach Selen­skyj nach eigenen Angaben in Kiew über die Möglich­keit eines raschen Beitritts der Ukrai­ne zur EU. Es sei um konkre­te Vorschlä­ge gegan­gen, sagte er in seiner Video­an­spra­che. In einem Inter­view des US-Fernseh­sen­ders Fox News erneu­er­te der Präsi­dent seinen Vorschlag, die Ukrai­ne sollte Sicher­heits­ga­ran­tien von verschie­de­nen «führen­den Staaten» bekom­men. Selen­skyj sieht dies als Ersatz für eine Mitglied­schaft in der Nato, die politisch nicht erreich­bar ist.

Das wird heute wichtig

Die diplo­ma­ti­schen Bemühun­gen rund um den Krieg in der Ukrai­ne sollen auch am Samstag weiter­ge­hen. Die US-Spitzen­di­plo­ma­tin Victo­ria Nuland kommt nach Europa, um die Reakti­on auf das russi­sche Vorge­hen abzustim­men. Statio­nen ihrer Reise bis zum 9. April sollen Frank­reich, Deutsch­land, die Türkei, Griechen­land und Zypern sein, wie das US-Außen­mi­nis­te­ri­um mitteilte.