KIEW (dpa) — Die Menschen in der Ukrai­ne zählen jeden Kriegs­tag. Heute ist eine bitte­re Marke erreicht: Vor genau neun Monaten marschier­te Russland in das Nachbar­land ein. Die News im Überblick:

Nach einem massi­ven russi­schen Raketen­an­griff haben ukrai­ni­sche Techni­ker ein weite­res Mal die schwer angeschla­ge­ne Energie­ver­sor­gung ihres Landes zu reparie­ren versucht. Das Präsi­di­al­amt in Kiew melde­te spät gestern Abend erste Erfol­ge: In 15 Gebie­ten gebe es teilwei­se wieder Strom, teilte Vizechef Kyrylo Tymoschen­ko mit.

«Die Besat­zer tun alles, damit Menschen leiden, damit wir einan­der nicht einmal fühlen oder sehen», sagte Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj in seiner abend­li­chen Video­an­spra­che. Er wurde auch zu einer Sitzung des UN-Sicher­heits­ra­tes in New York zugeschal­tet und forder­te dort, Moskau zu verur­tei­len. Russland müsse deutlich als terro­ris­ti­scher Staat bezeich­net werden.

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) verur­teil­te die Bombar­die­rung ziviler Infra­struk­tur in der Ukrai­ne scharf. «Dieser Bomben­ter­ror gegen die Zivil­be­völ­ke­rung muss aufhö­ren — und zwar sofort», sagte er in Berlin. Heute dauert der russi­sche Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne genau neun Monate: Russi­sche Truppen waren am 24. Febru­ar in das Nachbar­land einmarschiert.

Eine dunkle Nacht in der Ukraine

Russland schoss gestern etwa 70 Raketen sowie Drohnen auf die Ukrai­ne ab. Zwar wurden nach Luftwaf­fen­an­ga­ben 51 Raketen und 5 Drohnen abgefan­gen. Doch die übrigen Geschos­se töteten zehn Menschen und richte­ten zum wieder­hol­ten Mal schwe­re Schäden am Strom­netz der Ukrai­ne an. Die Kernkraft­wer­ke des Landes schal­te­ten sich ab, die meisten Wärme- und Wasser­kraft­wer­ke fielen aus, wie das Energie­mi­nis­te­ri­um mitteil­te. Es kam zu großflä­chi­gen Blackouts.

In der Haupt­stadt Kiew mit ihren drei Millio­nen Einwoh­nern waren nach Angaben von Bürger­meis­ter Vitali Klitsch­ko 80 Prozent der Haushal­te ohne Strom und Wasser. Journa­lis­ten berich­te­ten, sie hätten die Stadt noch nie so finster gesehen. Die Verwal­tung wollte handbe­trie­be­ne Sirenen und Lautspre­cher einset­zen, um in Stadt­tei­len ohne Strom vor mögli­chen weite­ren Luftan­grif­fen zu warnen. «In Kiew ist die Lage schwie­rig», sagte Selen­skyj. «Die Arbei­ten dauern die ganze Nacht.» Ein Ergeb­nis sei erst heute Vormit­tag zu erwarten.

Russland werde das militä­ri­sche Poten­zi­al der Ukrai­ne weiter dezimie­ren, bis Kiew eine «realis­ti­sche Haltung» zu Verhand­lun­gen einneh­me, sagte der Moskau­er UN-Botschaf­ter Wassi­li Neben­s­ja im Sicher­heits­rat. Die Angrif­fe auf die Infra­struk­tur seien die Antwort «auf das Vollpum­pen des Landes mit westli­chen Waffen und die unklu­gen Aufru­fe, Kiew solle einen militä­ri­schen Sieg über Russland errin­gen». Die Ukrai­ne setzt darauf, russi­sche Truppen aus allen besetz­ten Gebie­ten zu vertrieben.

Kritik an Russlands Raketenangriffen

Bundes­kanz­ler Scholz sagte zu den Angrif­fen, der russi­sche Präsi­dent Wladi­mir Putin zeige einmal mehr, wie rücksichts­los und erbar­mungs­los er in diesen Krieg vorge­he. «Ein Krieg, den er auf dem Schlacht­feld gar nicht mehr gewin­nen kann, so viel scheint klar.» Er forder­te Putin auf, seine Truppen abzuzie­hen und in Friedens­ge­sprä­che mit der Ukrai­ne einzuwilligen.

Frank­reichs Präsi­dent Emmanu­el Macron bezeich­ne­te die Angrif­fe auf Strom- und Wasser­ver­sor­gung der Ukrai­ne als Kriegs­ver­bre­chen, die Konse­quen­zen haben müssten. Gleich­wohl kündig­te Macron an, dass er demnächst wieder Kontakt zu Putin aufneh­men wolle. Auch die USA verur­teil­ten die Angriffe.

Bei einem Vertei­di­gungs­gip­fel frühe­rer Sowjet­re­pu­bli­ken forder­te der kasachi­sche Präsi­dent Kassym-Schom­art Tokajew einen Friedens­schluss in Russlands Krieg gegen die Ukrai­ne. «Was die Ukrai­ne betrifft, denke ich, dass die Zeit für eine kollek­ti­ve Suche nach einer Friedens­for­mel gekom­men ist», sagte Tokajew beim Gipfel­tref­fen der von Russland dominier­ten Organi­sa­ti­on des Vertrags über kollek­ti­ve Sicher­heit (OVKS).

Europäi­sche Politi­ke­rin­nen solida­risch mit Kiew

Europa­staats­mi­nis­te­rin Anna Lührmann (Grüne) und die Vizeprä­si­den­tin des EU-Parla­ments Nicola Beer (FDP) besuch­ten mit weite­ren europäi­schen Politi­ke­rin­nen gestern die Ukraine.

Lührmann kündig­te weite­re 40 Millio­nen Euro als humani­tä­re Hilfe für den Winter an. Weite­re fünf Millio­nen Euro würden für ukrai­ni­sche Schulen aufge­wen­det. Deutsch­land werde auch Genera­to­ren liefern.

Polen schlägt deutsche Flugab­wehr in der Westukrai­ne vor

Polen änder­te gestern seine Haltung zu dem Berli­ner Vorschlag einer gemein­sa­men Vertei­di­gung des Luftraums an der Nato-Ostgren­ze. Deutsche Patri­ot-Flugab­wehr­sys­te­me sollten nicht wie geplant in Polen, sondern im Westen der Ukrai­ne statio­niert werden, schrieb Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Mariusz Blaszc­zak auf Twitter. «Dies würde es ermög­li­chen, die Ukrai­ne vor weite­ren Opfern und Strom­aus­fäl­len zu bewah­ren und die Sicher­heit an unserer Ostgren­ze zu erhöhen.»

In der vergan­ge­nen Woche war im ostpol­ni­schen Dorf Przewo­dow im Grenz­ge­biet zur Ukrai­ne eine Rakete einge­schla­gen, zwei Zivilis­ten starben. Derzeit geht der Westen davon aus, dass es eine ukrai­ni­sche Flugab­wehr­ra­ke­te war, die zur Vertei­di­gung gegen Angrif­fe des russi­schen Militärs einge­setzt wurde. Deutsch­land bot Polen darauf­hin Patri­ot-Batte­rien und Eurofigh­ter zum Schutz der Nato-Ostgren­ze an.

Das wird heute wichtig

Die Repara­tur­ar­bei­ten am Strom­netz der Ukrai­ne gehen heute weiter. Die Ukrai­ne erwar­tet zudem ein weite­res Schiff, um Getrei­de für den Trans­port über das Schwar­ze Meer aufzunehmen.

Gestern legten nach UN-Angaben drei Schif­fe mit Getrei­de aus ukrai­ni­schen Häfen ab. Die Verein­ten Natio­nen und die Türkei hatten die ukrai­ni­schen Expor­te in Abstim­mung mit Russland ermöglicht.