KIEW (dpa) — In Kiew herrscht nach der Entschei­dung des Bundes­tags zur gezielt herbei­ge­führ­ten Hungers­not vor 90 Jahren Genug­tu­ung. Der russi­sche Revan­chis­mus habe bald keine Chance mehr, meint Selen­skyj. Die News.

Die Einstu­fung der vor 90 Jahren gezielt herbei­ge­führ­ten Hungers­not in der Ukrai­ne als Völker­mord durch den Bundes­tag ist von der ukrai­ni­schen Staats­füh­rung ausdrück­lich begrüßt worden. «Dies ist eine Entschei­dung für Gerech­tig­keit, für Wahrheit», sagte Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj gestern Abend in seiner tägli­chen Videoansprache.

«Und das ist ein sehr wichti­ges Signal für viele andere Länder der Welt, dass es dem russi­schen Revan­chis­mus nicht gelin­gen wird, die Geschich­te umzuschreiben.»

Mit großer Mehrheit hatten die Abgeord­ne­ten in Berlin gestern einen gemein­sa­men Antrag von Ampel-Koali­ti­on und Unions­frak­ti­on angenom­men, in dem von einem «menschen­ver­ach­ten­den Verbre­chen» die Rede ist. Unter der Verant­wor­tung des sowje­ti­schen Dikta­tors Josef Stalin waren dem sogenann­ten Holodo­mor («Mord durch Hunger») in den Jahren 1932 und 1933 allein in der Ukrai­ne bis zu vier Millio­nen Menschen zum Opfer gefallen.

Auch Selen­sky­js Berater Mycha­j­lo Podol­jak begrüß­te die Entschei­dung des Bundes­tags. «Deutsch­land, 2022. Nennt offen Russland Mörder, der den Krieg in Europa führt, anerkennt Holodo­mor 1932–33 als Völker­mord am ukrai­ni­schen Volk, spricht über die Unmög­lich­keit eines “ungerech­ten Friedens” zu russi­schen Bedin­gun­gen», twitter­te Podol­jak am Abend auf Deutsch.

«Wir danken Ihnen für diese starke deutsche Führungs­po­si­ti­on und hoffen auf Leos.» Damit bekräf­tig­te er den Wunsch der Ukrai­ne, deutsche Kampf­pan­zer vom Typ Leopard gelie­fert zu bekom­men. In der ukrai­ni­schen Versi­on seines Tweets verlieh er auch der Hoffnung auf Raketen­ab­wehr­sys­te­me Ausdruck.

Selen­skyj hofft auf Patri­ots aus Deutschland

Der ukrai­ni­sche Staats­chef setzt weiter auf die Überstel­lung von Patri­ot-Luftab­wehr­sys­te­men aus Deutsch­land. Eine derar­ti­ge Entschei­dung Berlins wäre «histo­risch» , meinte Selen­skyj gestern Abend. «Genera­tio­nen von Ukrai­nern» würden Kanzler Olaf Scholz dafür danken.

Bisher hat der Kanzler nur dem Nachbarn Polen Patri­ot-Flugab­wehr­sys­te­me zur Siche­rung seines Luftraums angebo­ten. Warschau hält eine Statio­nie­rung auf ukrai­ni­schem Boden aber für sinnvoller.

Kiew: Russland berei­tet in «Raketen­pau­se» neue Angrif­fe vor

Nach den schwe­ren Angrif­fen der vergan­ge­nen Wochen hat das russi­sche Militär nach Erkennt­nis­sen der ukrai­ni­schen Streit­kräf­te eine «Raketen­pau­se» einge­legt. Aller­dings nutze das russi­sche Militär diese Unter­bre­chung zur Vorbe­rei­tung neuer massier­ter Angrif­fe, sagte gestern Vadim Skibiz­ki, ein Vertre­ter des ukrai­ni­schen Militär­ge­heim­diens­tes. Zum einen überprü­fe die russi­sche Seite, welche Ziele anzugrei­fen seien, zum anderen werde die Wirkung bishe­ri­ger Angrif­fe ausgewertet.

Darüber hinaus würden neue Raketen auf einen Einsatz vorbe­rei­tet, sagte Skibiz­ki weiter. «Das braucht Zeit.» Da Russland einen Großteil seiner gefechts­be­rei­ten Raketen aufge­braucht habe, würden nunmehr Projek­ti­le, die noch zu Sowjet­zei­ten gebaut wurden, aus den Arsena­len geholt und aufbe­rei­tet. Dennoch setze Russland auch einige moder­ne Raketen aus der strate­gi­schen Reser­ve ein. Die Angaben ließen sich nicht überprüfen.

Die russi­schen Streit­kräf­te greifen seit einiger Zeit gezielt Objek­te der energe­ti­schen Infra­struk­tur an, um mit dem Ausfall der Strom- und Wasser­ver­sor­gung die ukrai­ni­sche Bevöl­ke­rung unter Druck zu setzen.

Selen­skyj: Noch sechs Millio­nen Ukrai­ner ohne Strom

Trotz fieber­haf­ter Repara­tu­ren am Elektri­zi­täts­netz sind in der Ukrai­ne aktuell immer noch rund sechs Millio­nen Menschen ohne Strom. «Techni­ker und Versor­gungs­un­ter­neh­men tun alles, um das System zu stabi­li­sie­ren und den Menschen länger mehr Energie zu geben», sagte Selen­skyj am Abend.

Aber: «Die Situa­ti­on in der Haupt­stadt sowie in den Gebie­ten Winnyz­ja, Lemberg, Odessa, Chmel­nyz­kyj und Tscher­kas­sy bleibt sehr schwierig.»

US-Regie­rung hofft auf Freiga­be weite­rer Milliardenausgaben

Die US-Regie­rung erhofft sich vom Kongress eine baldi­ge Billi­gung weite­rer Milli­ar­den­aus­ga­ben zur Unter­stüt­zung der Ukrai­ne. Der Kommu­ni­ka­ti­ons­di­rek­tor des Natio­na­len Sicher­heits­ra­tes, John Kirby, sagte gestern, die Regie­rung sei dabei, Kongress­mit­glie­dern detail­liert darzu­le­gen, wofür das Geld einge­setzt werden solle. Die Regie­rung hat beim Kongress weite­re Mittel im Umfang von 37,7 Milli­ar­den Dollar (36,5 Milli­ar­den Euro) erbeten, um die Ukrai­ne im Kampf gegen den Angrei­fer Russland zu unterstützen.

Washing­ton hat in den vergan­ge­nen Monaten gewal­ti­ge Summen zur Unter­stüt­zung der Ukrai­ne mobili­siert. Im Mai hatte der US-Kongress dafür Mittel im Umfang von fast 40 Milli­ar­den Dollar gebil­ligt, die nach und nach in verschie­de­nen Paketen an Kiew ausge­schüt­tet wurden. Die USA liefer­ten dabei auch Waffen und Muniti­on aus eigenen Militär­be­stän­den, die nun aufge­stockt werden müssen.