WASHINGTON (dpa) — Während ukrai­ni­sche Solda­ten an der Heimat­front Russlands Angrif­fe abweh­ren, holt sich Präsi­dent Selen­skyj in Washing­ton die Rücken­de­ckung des wichtigs­ten Verbün­de­ten. Die Entwick­lun­gen im Überblick.

Mit einer eindrucks­vol­len Rede vor dem US-Kongress hat der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj unter dem Jubel der Abgeord­ne­ten den Verei­nig­ten Staaten für ihre Unter­stüt­zung gegen den russi­schen Angriffs­krieg gedankt. «Trotz aller Widrig­kei­ten und Unter­gangs­sze­na­ri­en ist die Ukrai­ne nicht gefal­len. Die Ukrai­ne ist gesund und munter», sagte Selen­skyj vor den beiden Kammern des Parla­ments in der US-Haupt­stadt Washing­ton bei seiner ersten offizi­el­len Auslands­rei­se in Kriegs­zei­ten. Immer wieder flamm­te in den Reihen Applaus auf. Der Ukrai­ner beton­te die histo­ri­sche Bedeu­tung des Vertei­di­gungs­kamp­fes für die Demokra­tie. Er machte aber deutlich, dass es für einen Sieg seines Landes weite­re schwe­re Waffen brauche. Donners­tag ist Tag 302 des Krieges.

Selen­skyj fordert Panzer und Flugzeu­ge von den USA

Die USA sind der wichtigs­te Verbün­de­te der Ukrai­ne bei der Vertei­di­gung gegen Moskau. Seit dem Amtsan­tritt von US-Präsi­dent Joe Biden hat die US-Regie­rung Kiew Militär­hil­fe in Höhe von knapp 22 Milli­ar­den US-Dollar bereit­ge­stellt. Es verwun­der­te daher nicht, dass Selen­skyj sich für seine erste Auslands­rei­se seit Beginn des Krieges Washing­ton ausge­sucht hat. Biden nutzte das Treffen, um Kiew die Liefe­rung des Patri­ot-Flugab­wehr­sys­tems zuzusa­gen. Das Luftver­tei­di­gungs­sys­tem dürfte Russlands Angrif­fe mit Raketen und Drohnen auf die zivile Infra­struk­tur in der Ukrai­ne erschweren.

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent beton­te vor den Demokra­ten und Republi­ka­nern im Kongress, dass die Militär­hil­fe nicht abrei­ßen dürfe. «Die Ukrai­ne hat die ameri­ka­ni­schen Solda­ten nie gebeten, an unserer Stelle auf unserem Land zu kämpfen. Ich versi­che­re Ihnen, dass ukrai­ni­sche Solda­ten ameri­ka­ni­sche Panzer und Flugzeu­ge perfekt selbst bedie­nen können», sagte er. Aber die bislang gelie­fer­te Artil­le­rie reiche nicht aus. «Ihr Geld ist keine Wohltä­tig­keit, es ist eine Inves­ti­ti­on in die globa­le Sicher­heit und Demokra­tie, mit der wir auf höchst verant­wor­tungs­vol­le Weise umgehen», versi­cher­te er. Die Republi­ka­ner hatten zuletzt angedeu­tet, bei den Ukrai­ne-Hilfen auf die Bremse treten zu wollen.

Demokra­tie steht auf dem Spiel

Selen­skyj machte klar, dass es bei dem Krieg gegen die Ukrai­ne nicht nur um das Schick­sal der Ukrai­ner gehe. «Der Kampf wird definie­ren, in welcher Welt, unsere Kinder und Enkel­kin­der leben werden, und dann ihre Kinder und Enkel­kin­der», warnte er. Ein russi­scher Angriff gegen Verbün­de­te sei nur eine Frage der Zeit. Die Welt sei zu sehr vernetzt, als dass sich irgend­je­mand sicher fühlen könne, wenn der russi­sche Angriff weiter­gin­ge. «Ukrai­ni­scher Mut und ameri­ka­ni­sche Entschlos­sen­heit» müssten die Zukunft der Freiheit garantieren.

Selen­skyj gibt sich siegessicher

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent fand in seiner Rede immer wieder eindring­li­che Worte und beton­te das Durch­hal­te­ver­mö­gen seiner Lands­leu­te. Die Ukrai­ner hätten keine Angst — und niemand auf der Welt sollte sie haben, sagte er. «Sie haben viel mehr Raketen und Flugzeu­ge als wir je hatten, das stimmt, aber unsere Vertei­di­gungs­kräf­te stehen.» Die Ukrai­ne werde niemals kapitulieren.

Auch im Weißen Haus war der 44-Jähri­ge vor seinem Auftritt im Kongress feier­lich empfan­gen worden. Biden und seine Ehefrau Jill begrüß­ten Selen­skyj mit rotem Teppich vor dem Weißen Haus. Biden und sein Kolle­ge sprachen anschlie­ßend rund zwei Stunden im Oval Office mitein­an­der. Der US-Präsi­dent machte weite­re finan­zi­el­le, militä­ri­sche und humani­tä­re Hilfs­zu­sa­gen und sicher­te Selen­skyj den größt­mög­li­chen Beistand der USA zu, «solan­ge es nötig ist».

Symbo­li­sche Geschen­ke von beiden Seiten

Auch wenn die Zusage für die Patri­ot-Batte­rie wohl das größte Geschenk für den Ukrai­ner bei seiner US-Reise gewesen sein dürfte, wurden noch weite­re Präsen­te verteilt. Selen­skyj gab Biden als Dank für die Unter­stüt­zung der USA die Medail­le eines ukrai­ni­schen Solda­ten. «Unver­dient, aber sehr geschätzt», sagte Biden. Er revan­chier­te sich laut dem Weißen Haus ebenfalls mit zwei Medail­len — eine für den ukrai­ni­schen Solda­ten und eine für Selenskyj.

Im US-Kongress übergab die Vorsit­zen­de des US-Reprä­sen­tan­ten­hau­ses, Nancy Pelosi, Selen­skyj eine US-Flagge, die auf dem Kapitol in Washing­ton geweht hatte. Auch Selen­skyj kam nicht mit leeren Händen: Er überreich­te Pelosi eine Flagge aus der ostukrai­ni­schen Front­stadt Bachmut. Die Geschen­ke symbo­li­sier­ten die tiefe Verbun­den­heit der beiden Länder im Wider­stand gegen Russland.

Ein inter­na­tio­na­ler Friedensgipfel?

Selen­skyj schlug in Washing­ton einen globa­len Friedens­gip­fel vor, bei dem es um die Wieder­her­stel­lung der terri­to­ria­len Unver­sehrt­heit der Ukrai­ne und die inter­na­tio­na­le Ordnung gehen müsse. Bis zu einer Friedens­lö­sung diene jeder Dollar an US-Hilfe für die Ukrai­ne auch der globa­len Sicher­heit. Biden machte deutlich, dass die Ukrai­ne mit Hilfe der USA in Friedens­ver­hand­lun­gen erfolg­reich sein könne, weil sie auf dem Schlacht­feld gewin­nen werde. Bei der Entschei­dung über den Zeitpunkt solcher Gesprä­che werde er Selen­skyj freie Hand lassen.

Mindes­tens zwei Tote bei ukrai­ni­schem Angriff auf Donezk

Unter­des­sen gingen die Kämpfe in der Ukrai­ne weiter. Bei einem Artil­le­rie­an­griff der ukrai­ni­schen Streit­kräf­te auf die russi­sche kontrol­lier­te Stadt Donezk in der Ostukrai­ne kamen am Mittwoch­abend nach Angaben aus der Region mindes­tens zwei Menschen ums Leben. «Die Zahl der Verletz­ten wird noch festge­stellt», zitier­te die Agentur Tass einen Vertre­ter der von Russland einge­setz­ten Verwaltung.

Mehre­re Stadt­tei­le seien von ukrai­ni­scher Raketen­ar­til­le­rie beschos­sen worden, es sei erheb­li­cher Schaden entstan­den. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhän­gig überprü­fen. Das Zentrum von Donezk liegt nur knapp zehn Kilome­ter hinter der Frontlinie.

Strack-Zimmer­mann fordert Panzer für Ukraine

Die FDP-Politi­ke­rin Marie-Agnes Strack-Zimmer­mann forder­te nach Selen­sky­js USA-Besuch erneut die Liefe­rung westli­cher Schüt­zen- und Kampf­pan­zer an die Ukrai­ne. «Wir müssen strate­gisch endlich vor die Welle kommen und nicht immer nur dann reagie­ren, wenn die Situa­ti­on sich verschlech­tert», sagte die Vorsit­zen­de des Bundes­tags-Vertei­di­gungs­aus­schus­ses dem Nachrich­ten­por­tal «t‑online».

«Deutsch­land muss endlich den Schüt­zen­pan­zer Marder und am besten gemein­sam mit den europäi­schen Partnern den Leopard 2 liefern.» Die Ukrai­ne bittet ihre Verbün­de­ten seit langem um Kampf- und Schüt­zen­pan­zer westli­cher Bauart. Nach ukrai­ni­schen Angaben laufen entspre­chen­de Gesprä­che mit der Bundesregierung.

Das wird am Donners­tag wichtig

Selen­skyj dürfte an diesem Donners­tag wieder in der Ukrai­ne ankom­men — er verbrach­te in Washing­ton nur rund einen halben Tag. Außer­dem wird der Chef der Inter­na­tio­na­len Atomener­gie­be­hör­de (IAEA), Rafael Grossi, zu Verhand­lun­gen über das besetz­te ukrai­ni­sche Atomkraft­werk Saporischschja in Moskau erwar­tet. Es gehe um Grossis Initia­ti­ve für eine Sicher­heits­zo­ne rund um die Anlage, hieß es von russi­scher Seite