KIEW (dpa) — Russi­sche Raketen richten in der Ukrai­ne schwe­re Schäden an. Damit schade Moskau auch sich selbst, heißt es aus Kiew. In den USA setzt Präsi­dent Biden eine folgen­rei­che Unter­schrift. News kompakt.

Mit seinen Raketen­an­grif­fen auf das Energie­netz der Ukrai­ne schadet Russland nach Darstel­lung der ukrai­ni­schen Staats­füh­rung letzt­lich auch sich selbst und seinen Bürgern. «Mit jedem solchen Raketen­an­griff treibt sich Russland nur noch tiefer in eine Sackgas­se» und steue­re einem Inter­na­tio­na­len Straf­tri­bu­nal entge­gen, sagte Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj in seiner tägli­chen Video­an­spra­che am Donners­tag­abend — nur wenige Stunden nach dem jüngs­ten russi­schen Großan­griff mit Marsch­flug­kör­pern und sogenann­ten Kamika­ze-Drohnen. Unter­des­sen gehen die Kämpfe an den verschie­de­nen Front­ab­schnit­ten in der Ukrai­ne weiter.

Selen­skyj: Jeder Angriff bringt Russland näher ans Tribunal

Der «Status des größten Terro­ris­ten der Welt» werde sich noch lange auf Russland und seine Bürger auswir­ken, sagte Selen­skyj. «Und jede Rakete bestä­tigt nur, dass das alles mit einem Tribu­nal enden muss, genau so wird es sein.» In seinem Unter­re­dun­gen mit anderen Staats- und Regie­rungs­chefs versucht der ukrai­ni­sche Präsi­dent, deren Unter­stüt­zung für ein Inter­na­tio­na­les Straf­ge­richt nach dem Vorbild des Nürnber­ger Tribu­nals für NS-Verbre­cher zu gewin­nen. Geht es nach Selen­skyj, sollen sich eines Tages auch Politi­ker und Militärs aus Russland für den Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne verantworten.

Nach Selen­sky­js Darstel­lung hat der jüngs­te russi­sche Raketen­an­griff erneut schwe­re Schäden im Energie­netz in weiten Teilen der Ukrai­ne verur­sacht. Mit Blick auf mögli­che weite­re Attacken warnte er: «Dieses Jahr hat noch zwei Tage, vielleicht wird der Feind erneut versu­chen, uns dazu zu bringen, das Neue Jahr im Dunkeln zu feiern.»

Kiew: An Unter­su­chun­gen zu Rakete in Belarus beteiligen

Nach dem Fund einer Rakete auf dem Staats­ge­biet von Belarus hat das ukrai­ni­sche Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um seine Mitar­beit an einer Unter­su­chung des Zwischen­falls angebo­ten. In einer am Donners­tag­abend veröf­fent­lich­ten Erklä­rung des Minis­te­ri­ums heißt es, dass die Behör­de zu einer «objek­ti­ven Unter­su­chung des Vorfalls» bereit sei. Staats­me­di­en in der belarus­si­schen Haupt­stadt Minsk hatten berich­tet, dass eine vom Flugab­wehr­sys­tem S‑300 abgeschos­se­ne Rakete am Donners­tag­vor­mit­tag auf belarus­si­sches Staats­ge­biet gefal­len sei.

Das Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um in Kiew wies darauf hin, dass die Ukrai­ne am Donners­tag von einer Welle russi­scher Marsch­flug­kör­per angegrif­fen worden sei. «Daher ist auch eine Provo­ka­ti­on von Seiten des Terro­ris­ten-Staats Russland nicht auszu­schlie­ßen, der eine Flugrou­te seiner Marsch­flug­kör­per so ausge­wählt hat, um ihren Abschuss im Luftraum über Belarus zu provo­zie­ren», hieß es. Das wäre ein ähnli­cher Vorfall wie im Novem­ber, als eine Rakete auf polni­schem Gebiet nieder­ge­gan­gen war.

Belarus ist nicht direkt an Kampf­hand­lun­gen in der Ukrai­ne betei­ligt. Aller­dings hat Macht­ha­ber Alexan­der Lukaschen­ko russi­schen Truppen die Militär­stütz­punk­te in seinem Land für Angrif­fe auf die benach­bar­te Ukrai­ne überlassen.

Ukrai­ni­sche Armee greift Stellun­gen bei Berdjansk an

Die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te haben nach eigener Darstel­lung russi­sche Stütz­punk­te in der Umgebung der Indus­trie- und Hafen­stadt Berdjansk im Südos­ten des Landes angegrif­fen. Dabei seien rund 50 russi­sche Solda­ten «liqui­diert» worden, teilte der General­stab in Kiew mit. Die Angaben konnten nicht unabhän­gig überprüft werden.

Die Militärs in Kiew machten keine Angaben dazu, mit welchen Waffen­sys­te­men Berdjansk angegrif­fen worden sei. Die Stadt am Asowschen Meer liegt knapp 100 Kilome­ter hinter den aktuel­len Frontlinien.

Schwe­re Kämpfe erschüt­ter­ten am Donners­tag erneut die Umgebung der Front­stadt Bachmut im Osten der Ukrai­ne. Dort seien einmal mehr Vorstö­ße der russi­schen Streit­kräf­te zurück­ge­schla­gen worden, teilte die Militär­füh­rung in Kiew mit.

Wichti­ge Unter­stüt­zung in Form von Waffen und Muniti­on dürften die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te auch weiter­hin aus den USA erhal­ten. Am Donners­tag­abend (Ortszeit) unter­zeich­ne­te US-Präsi­dent Joe Biden das neue Haushalts­ge­setz seiner Regie­rung, das unter anderem milli­ar­den­schwe­re Hilfen für die Ukrai­ne vorsieht. Der zuvor von beiden Kongress­kam­mern gebil­lig­te Etat hat einem Volumen von 1,7 Billio­nen US-Dollar (1,6 Billio­nen Euro), wovon knapp 858 Milli­ar­den Dollar auf Vertei­di­gungs­aus­ga­ben entfal­len. Für die Unter­stüt­zung der Ukrai­ne sind rund 45 Milli­ar­den US-Dollar vorgesehen.

Selen­skyj-Berate­rin: 15.000 Vermiss­te in Ukraine

Gut zehn Monate nach Kriegs­be­ginn gelten in der Ukrai­ne nach Angaben der ukrai­ni­schen Präsi­den­ten­be­ra­te­rin Alona Verbyts­ka Tausen­de Solda­ten und Zivilis­ten vermisst. «Russland hat aktuell 3392 ukrai­ni­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne bestä­tigt, aber in der Ukrai­ne gelten derzeit 15.000 Menschen als vermisst, darun­ter viele Zivilis­ten», sagte sie dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land. Das Schick­sal dieser Menschen sei völlig ungewiss, sagte Verbyts­ka, die sich als Ombuds­frau für die Rechte ukrai­ni­scher Solda­ten engagiert. «Wir wissen nicht, was mit ihnen gesche­hen ist.»