KIEW (dpa) — Die Ukrai­ne soll eine noch effek­ti­ve­re Luftver­tei­di­gung gegen russi­sche Raketen erhal­ten. Die Bewoh­ner von Kiew haben zusam­men­ge­rech­net schon einen Monat in Luftschutz­kel­lern verbracht. News kompakt.

Als Reakti­on auf immer neue russi­sche Raketen­an­grif­fe auf ukrai­ni­sche Städte hat Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj einen weite­ren Ausbau der Luftab­wehr angekün­digt. «Im neuen Jahr wird die ukrai­ni­sche Luftver­tei­di­gung noch stärker, noch effek­ti­ver», sagte Selen­skyj am Freitag­abend in seiner tägli­chen Video­an­spra­che. Die Luftab­wehr der Ukrai­ne könne die stärks­te in ganz Europa werden, ergänz­te er mit Blick auf die angekün­dig­te Patri­ot-Batte­rie aus den USA. «Dies wird eine Sicher­heits­ga­ran­tie nicht nur für unser Land, sondern für den gesam­ten Konti­nent sein.»

Die Luftab­wehr der ukrai­ni­schen Streit­kräf­te hat in den vergan­ge­nen Wochen bei russi­schen Großan­grif­fen mit Marsch­flug­kör­pern, Raketen und sogenann­ten Kamika­ze-Drohnen relativ hohe Abschuss­zah­len erreicht. Angesichts der Masse der einflie­gen­den Projek­ti­le konnten nicht alle Raketen abgewehrt werden. Die ukrai­ni­sche Armee, die bereits eine Reihe auslän­di­scher Flugab­wehr­sys­te­me nutzt, wartet auf den Einsatz der von der US-Regie­rung verspro­che­nen Patri­ot-Batte­rie. Gegen­wär­tig werden ukrai­ni­sche Solda­ten an dem System ausgebildet.

Die russi­sche Armee greift seit Oktober gezielt das ukrai­ni­sche Energie­netz an und sorgt mit massi­ven Schäden für lange Ausfall­zei­ten in der Strom- und Wasser­ver­sor­gung. Ziel ist, die Bevöl­ke­rung im Winter zu zermür­ben und den Druck auf die ukrai­ni­sche Staats­füh­rung zu erhöhen.

Kiew seit Kriegs­be­ginn fast 29 Tage im Alarmzustand

Seit Beginn des russi­schen Angriffs­kriegs gegen die Ukrai­ne am 24. Febru­ar haben in der Haupt­stadt Kiew die Alarm­si­re­nen rund 640 Mal geheult. Insge­samt habe seit Ende Febru­ar damit knapp 700 Stunden lang Alarm­zu­stand geherrscht, teilte Kiews Militär-Verwal­tungs­chef Serhij Popko am Freitag mit. «Das sind praktisch 29 Tage, fast ein ganzer Kalen­der­mo­nat, den die Bürger der Stadt in Schutz­räu­men und Bunkern verbracht haben.» Insge­samt habe die Haupt­stadt 52 Luftan­grif­fe erlebt, bei denen 120 Menschen ums Leben gekom­men seien, unter ihnen fünf Kinder. 495 Menschen seien bei den Angrif­fen mit Raketen und Marsch­flug­kör­pern verletzt worden.

Durch die Angrif­fe seien über 600 Gebäu­de beschä­digt worden, sagte Popko weiter. Die kriti­sche Infra­struk­tur der Haupt­stadt sei erheb­lich beschä­digt worden. Die Angaben zur Zahl der Opfer und beschä­dig­ten Gebäu­de ließen sich nicht unabhän­gig überprüfen.

Kiew: Russlands Armee braucht fünf Jahre zum Wiederaufbau

Die russi­sche Armee hat angesichts ihrer Verlus­te in der Ukrai­ne nach Meinung des ukrai­ni­schen Vertei­di­gungs­mi­nis­ters Olexij Resni­kow auf Jahre hinaus empfind­lich an Schlag­kraft einge­büßt. Mindes­tens fünf Jahre würden die russi­schen Streit­kräf­te für den Wieder­auf­bau brauchen. «Nach Erkennt­nis­sen der Nato-Aufklä­rung haben die Russen gewal­ti­ge Verlus­te an Panzern, Artil­le­rie, Schüt­zen­pan­zern und Solda­ten», wurde Resni­kow von der Zeitung «Ukrajins­ka Prawda» zitiert.

«Die regulä­ren Streit­kräf­te der Russi­schen Födera­ti­on könnten frühes­tens in fünf Jahren wieder­her­ge­stellt werden, vielleicht auch erst in zehn Jahren», sagte der Minis­ter. Das gelte auch für Russlands Raketen-Poten­zi­al. Schließ­lich sei dies ein Krieg der Ressour­cen. «Und sie (die Nato) kann diese Ressour­cen berechnen.»

Saluschnyj: Gott ist auf unserer Seite

Der ukrai­ni­sche Armee­chef Walerij Saluschnyj sprach seinen Solda­ten in einer Video­bot­schaft zum Jahres­wech­sel und zum bevor­ste­hen­den ortho­do­xen Weihnachts­fest Mut zu. «Wir haben den Krieg nicht gewollt, haben aber den Kampf angenom­men», sagte er. «Und Gott ist auf unserer Seite.» Zwar habe dieses Weihnachts­fest «den Geschmack von Tränen und die Farbe von Blut», doch habe das Land die Kraft, den Feind abzuweh­ren, sagte Saluschnyj. «Möge unser Sieg den Beginn des Aufblü­hens der Ukrai­ne und das Ende Russlands bedeuten.»

Tausen­de wollten sich dem Wehrdienst entziehen

Seit Beginn der russi­schen Invasi­on und Ausru­fung des Kriegs­zu­stands in der Ukrai­ne haben nach Militär­an­ga­ben mehre­re Tausend junge Ukrai­ner versucht, sich dem Wehrdienst zu entzie­hen. Wie die ukrai­ni­schen Grenz­trup­pen am Freitag mitteil­ten, wurden knapp 12.000 Männer bei dem Versuch gefasst, die Landes­gren­ze illegal gen Westen zu überque­ren. Bei der Grenz­über­que­rung seien auch 15 Männer ums Leben gekommen.

Auch in Russland versuch­ten Tausen­de junge Männer, sich dem Wehrdienst zu entzie­hen. Unmit­tel­bar nach der Teilmo­bil­ma­chung im Septem­ber flohen Tausen­de ins Ausland, in einigen ehema­li­gen Sowjet­re­pu­bli­ken entstan­den regel­rech­te kleine russi­sche Kolonien.

Das wird heute wichtig

Am Ende eines Jahres, das stark vom Krieg geprägt war, ruft Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) die Menschen in Deutsch­land zu Zuver­sicht und Zusam­men­halt auf. In seiner Anspra­che, die heute im Fernse­hen ausge­strahlt wird, sagt er unter anderem: «Wir fühlen mit den Ukrai­ne­rin­nen und Ukrai­nern, die selbst an Tagen wie heute keine Ruhe haben vor den russi­schen Bomben und Raketen.»