KIEW (dpa) — Viele Drohnen überfor­dern auf Dauer die Luftab­wehr des Feindes: So scheint nun auch das ukrai­ni­sche Militär zu denken — und dreht den Spieß um. Die News im Überblick.

Angesichts der wieder­hol­ten Drohnen­an­grif­fe auf ukrai­ni­sche Städte in den vergan­ge­nen Tagen warnt Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj vor einem Abnut­zungs­krieg gegen Russland.

Die russi­sche Seite wolle die Menschen in der Ukrai­ne und ihre Vertei­di­ger offen­sicht­lich auf Dauer zermür­ben, sagte Selen­skyj gestern Abend in seiner tägli­chen Video­an­spra­che. Doch noch vor dem erwar­te­ten Einflug neuer «Kamikaze»-Drohnen herrsch­te auf der von Russland besetz­ten Halbin­sel Krim Luftalarm: Dort wurden ukrai­ni­sche Drohnen über dem strate­gisch wichti­gen Hafen Sewas­to­pol gesich­tet und beschossen.

Selen­skyj sieht Drohnen­an­grif­fen als Teil russi­scher Abnutzungstaktik

«Wir haben Infor­ma­tio­nen, dass Russland einen langfris­ti­gen Angriff von Schahed-Drohnen plant», sagte Selen­skyj mit Blick auf die massen­haft einge­setz­ten Flugro­bo­ter aus irani­scher Produk­ti­on. Russland wolle damit Abnut­zung errei­chen, «die Erschöp­fung unserer Leute, unserer Luftver­tei­di­gung, unserer Energie». Die russi­sche Staats­füh­rung wolle ihren Lands­leu­ten zeigen, dass alles nach Plan laufe. «Aber wir müssen und werden alles tun, damit dieses Ziel der Terro­ris­ten wie alle anderen scheitert.»

Das russi­sche Militär setzt im großen Stil sogenann­te Kamika­ze-Drohnen ein, die mit Spreng­stoff bestückt sind und am Ende ihres Fluges senkrecht auf ihr Ziel herab­stür­zen. Die relativ langsa­men und lauten Drohnen sind ein leich­tes Ziel für die Flugab­wehr, doch ihre schie­re Anzahl und die ständi­ge engma­schi­ge Überwa­chung des Luftraums sind eine große Heraus­for­de­rung für die ukrai­ni­sche Luftab­wehr. Dazu kommt der Kosten­fak­tor — eine aus billi­gen Teilen herge­stell­te Drohne muss mit teuren Waffen­sys­te­men abgeschos­sen werden.

«Seit Jahres­be­ginn sind nur zwei Tage vergan­gen, und schon beträgt die Zahl der über der Ukrai­ne abgeschos­se­nen Drohnen über 80», sagte Selen­skyj. Das russi­sche Militär setzen die Drohnen überwie­gend dafür ein, durch Attacken auf städti­sche Infra­struk­tur Schäden im Energie­netz anzurichten.

Luftab­wehr auf russisch besetz­ter Krim wehrt Drohnen ab

Nach tagelan­gen Anflü­gen der unbemann­ten Flugkör­per auf ukrai­ni­sche Städte bekämpf­te gestern Abend die Luftab­wehr der russisch besetz­ten Halbin­sel Krim ukrai­ni­sche Drohnen. Laut einem Bericht der russi­schen Staats­agen­tur Tass wurden über dem strate­gisch wichti­gen Hafen Sewas­to­pol zwei Flugro­bo­ter abgeschos­sen. «Unsere Luftver­tei­di­gung setzte die Abwehr der Angrif­fe fort», wurde der von Moskau einge­setz­te Gouver­neur Michail Raswo­scha­jew zitiert. Die Angaben beider Seiten ließen sich nicht unabhän­gig überprüfen.

Sewas­to­pol ist der Haupt­stütz­punkt der russi­schen Schwarz­meer­flot­te. Der Hafen war bereits mehrfach Ziel ukrai­ni­scher Drohnen­an­grif­fe, zuletzt am 30. Dezem­ber. Im Oktober hatte das ukrai­ni­sche Militär mit Spreng­stoff belade­ne Drohnen-Boote gegen die russi­sche Flotte bei Sewas­to­pol einge­setzt. Über deren Wirkung gibt es von beiden Seiten wider­sprüch­li­che Angaben.

Exper­te: Russi­sche Drohnen­an­grif­fe bewusst nachts

Die russi­schen Angrif­fe mit «Kamika­ze-Drohnen» werden nach Ansicht eines Exper­ten bewusst nachts und entlang des Flusses Dnipro geflo­gen. «Logischer­wei­se ist nachts am Himmel nicht alles erkenn­bar», sagte Oberst Wladis­law Selesn­jow gestern der ukrai­ni­schen Agentur RBK-Ukrai­na. Die Flugrou­te aus südli­cher Richtung entlang des Dnipro sei zudem gewählt worden, um die ukrai­ni­sche Luftab­wehr nach Möglich­keit zu umfliegen.

Ukrai­ni­sche Polizei: Folter­la­ger in befrei­ter Region Charkiw entdeckt

Seit der Befrei­ung der Umgebung der ostukrai­ni­schen Stadt Charkiw von den russi­schen Besat­zern hat die Polizei dort nach eigenen Angaben 25 Folter­la­ger entdeckt. In den Lagern hätten russi­sche Truppen unter anderem Zivilis­ten unter unmensch­li­chen Bedin­gun­gen festge­hal­ten und gequält, teilte der regio­na­le Polizei­chef Wolodym­yr Tymosch­ko gestern auf Facebook mit. Die Gefan­ge­nen seien teils mit Elektro­schocks misshan­delt worden, anderen seien die Finger gebro­chen worden. Auch diese Angaben ließen sich zunächst nicht unabhän­gig überprüfen.

Die Umgebung von Charkiw war monate­lang von russi­schen Truppen besetzt gewesen. Sie zogen sich erst Anfang Septem­ber nach einer ukrai­ni­schen Gegen­of­fen­si­ve zurück. Seitdem seien in der befrei­ten Region 920 Leichen von Zivilis­ten entdeckt worden, darun­ter 25 Kinder, teilte Tymosch­ko weiter mit. Sie seien von russi­schen Solda­ten getötet worden.

Russi­schen Streit­kräf­te sind von verschie­de­nen Seiten immer wieder teils syste­ma­tisch verüb­te Kriegs­ver­bre­chen in der Ukrai­ne vorge­wor­fen worden. Nach dem Abzug russi­scher Einhei­ten aus dem Kiewer Vorort Butscha wurden dort die Leichen von mehr als 400 Menschen entdeckt. Die meisten von ihnen waren eines gewalt­sa­men Todes gestor­ben. Die Ermitt­lun­gen dazu sind noch immer nicht abgeschlossen.

Das bringt der Tag

Nach dem Angriff auf eine Truppen­un­ter­kunft der russi­schen Armee im besetz­ten Ort Makijiw­ka im Osten der Ukrai­ne gehen die Bergungs­ar­bei­ten weiter. Von russi­scher Seite wurde bisher der Tod von 63 Solda­ten offizi­ell bestä­tigt, das ukrai­ni­sche Militär will bei der Attacke in der Nacht zu Neujahr 400 Mann getötet haben.