MOSKAU (dpa) — Im Donbass senden russi­sche Solda­ten trotz Verbots massen­haft Mobil­te­le­fon­da­ten und lenken so ukrai­ni­sches Feuer auf sich. Fast 90 Solda­ten sterben, wie Moskau nun zugibt. Die News im Überblick.

Nach den ukrai­ni­schen Angrif­fen auf eine russi­sche Militär­un­ter­kunft in Makijiw­ka im Gebiet Donezk hat das Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um in Moskau die Zahl der getöte­ten eigenen Solda­ten um mehr als 20 auf 89 nach oben korrigiert.

Die Männer und auch der stell­ver­tre­ten­de Komman­deur seien nach dem Raketen­schlag in der Neujahrs­nacht in den Trümmern des einge­stürz­ten Gebäu­des aus Stahl­be­ton gefun­den worden, teilte General­leut­nant Sergej Sewrju­kow in Moskau in der Nacht mit. Zuvor war von 63 Toten die Rede gewesen. Die Ukrai­ne hatte die Unter­kunft mit dem US-ameri­ka­ni­schen Mehrfach­ra­ke­ten­wer­fer Himars beschossen.

Solda­ten gaben Stand­ort preis

Sewrju­kow räumte erstmals auch Fehler ein und bestä­tig­te damit Medien­be­rich­te. Demnach war der Haupt­grund für die «Tragö­die», dass die Solda­ten in der Neujahrs­nacht trotz eines Verbots massen­haft ihre Mobil­te­le­fo­ne benutzt und damit die ukrai­ni­sche Seite auf ihren Stand­ort aufmerk­sam gemacht hätten. Demnach schos­sen die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te sechs Raketen ab, von denen vier einschlu­gen und zwei abgefan­gen worden seien, hieß es. Die Ukrai­ne hatte von 400 Toten und 300 Verletz­ten in Makijiw­ka (russisch: Makejew­ka) gesprochen.

Die Unter­su­chun­gen liefen zwar noch, aber so viel zu den Hinter­grün­den sei schon klar, sagte Sewrju­kow. «Dieser Faktor hat es dem Gegner ermög­licht, die Richtung zu bestim­men und die Koordi­na­ten der Lage der Solda­ten zu orten, um den Raketen­schlag zu vollzie­hen.» Gegen­wär­tig werde dafür gesorgt, dass sich das nicht wieder­ho­le. Zudem würden die schul­di­gen Dienst­ha­ben­den zur Verant­wor­tung gezogen.

Nach Darstel­lung des Minis­te­ri­ums­ver­tre­ters in Moskau wurde das Himars-System, aus dem geschos­sen worden war, geortet und zerstört. Bei Gegen­feu­er hätten die russi­schen Truppen im Gebiet Donezk zudem vier Himars-Abschuss­ram­pen, vier Kampf­fahr­zeu­ge, über 800 Geschos­se zerstört sowie mehr als 200 Natio­na­lis­ten und auslän­di­sche Legio­nä­re getötet. Von unabhän­gi­ger Seite waren diese Angaben nicht überprüfbar.

Auch in der Vergan­gen­heit gab es immer wieder Berich­te über folgen­rei­che Fehler von russi­schen Komman­deu­ren in diesem Krieg. Die ukrai­ni­sche Führung beton­te wieder­holt, dass die «Dummheit des Feindes» es dem Militär biswei­len leicht mache, Erfol­ge zu erzie­len. Kreml­chef Wladi­mir Putin musste in dem von ihm am 24. Febru­ar begon­ne­nen Einmarsch in die Ukrai­ne schon zahlrei­che Nieder­la­gen hinnehmen.

Selen­skyj appel­liert erneut an Westen

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj rief derweil die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft nach neuen russi­schen Raketen­schlä­gen auf, die Vertei­di­gungs­fä­hig­keit seines Landes zu stärken. Die Ukrai­ne berei­te sich auf eine neue Mobili­sie­rungs­wel­le des «Terror­staa­tes» Russland vor und müsse deshalb gewapp­net sein, sagte Selen­skyj in seiner gestern Abend in Kiew verbrei­te­ten Video­bot­schaft. Nach Telefo­na­ten mit den Regie­rungs­chefs der Nieder­lan­de, Großbri­tan­ni­ens, Norwe­gens und Kanadas forder­te er, alles für eine Nieder­la­ge Russlands in dem Krieg zu tun.

Russland werde nichts unver­sucht lassen, um für sich eine Wende in dem Krieg zu errei­chen und eine Nieder­la­ge zu vermei­den. «Wir müssen dieses Szena­rio der Russen zerstö­ren», sagte Selen­skyj. «Die Terro­ris­ten müssen verlie­ren.» Russland werde neue Reser­vis­ten mobili­sie­ren, die es in den Tod schicke, meinte er. Die Ukrai­ne wieder­um müsse die zivili­sier­te Welt mobilisieren.

Selen­skyj: Russland ein «Terror­staat»

Der 44-Jähri­ge verur­teil­te in seiner Anspra­che auch den russi­schen Raketen­schlag gegen das Eissta­di­on «Altair» in Drusch­kiw­ka im Gebiet Donezk, wo auch Kinder trainiert hätten. Die Menschen hätten das Stadi­on lange als Ort der Freude erlebt. Die Zerstö­rung sei ein neuer Beweis dafür, dass Russland ein «Terror­staat» sei.

Selen­skyj infor­mier­te zudem darüber, dass er bei einem Treffen mit der ukrai­ni­schen Militär­füh­rung über die Erfor­der­nis­se für das Land im Bereich Vertei­di­gung und Energie­ver­sor­gung gespro­chen habe. Details nannte er nicht. Der Oberkom­man­die­ren­de der ukrai­ni­schen Streit­kräf­te, Walerij Saluschnyj, infor­mier­te nach einem Gespräch mit US-General­stabs­chef Mark Milley über «schwe­re Gefech­te» um die strate­gisch wichtigs­te Stadt Kremin­na im Gebiet Luhansk und in Richtung Lyssytschansk.

Am schwers­ten sei die Lage im Raum Bachmut. «Dort versucht der Feind, faktisch auf den Leichen der eigenen Leute weiter voran­zu­kom­men», sagte Saluschnyj. Aller­dings verhin­der­ten die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te den feind­li­chen Vormarsch.

Was heute wichtig wird

Im Donbass gehen die schwe­ren Gefech­te zwischen russi­schen und ukrai­ni­schen Truppen in diesem Abnut­zungs­kriegs weiter. Russland versucht ohne Erfolg, weiter die völker­rechts­wid­rig annek­tier­ten Gebie­te Luhansk und Donezk komplett unter seine Kontrol­le zu bringen. Auch in den von Moskau besetz­ten, teils aber ebenfalls von der Ukrai­ne befrei­ten Gebie­ten Cherson und Saporischschja gehen die Kämpfe weiter.