KIEW (dpa) — Die russi­sche Armee greift über Nacht Ziele in weiten Teilen der Ukrai­ne. Aus etlichen Regio­nen gibt es Berich­te über Luftalarm, Raketen­be­schuss und hefti­ge Explo­sio­nen. Die News im Überblick.

In der Nacht ist aus zahlrei­chen Städten in der gesam­ten Ukrai­ne hefti­ger Raketen­be­schuss gemel­det worden — darun­ter auch aus Kiew. Anwoh­ner der Haupt­stadt berich­te­ten in sozia­len Netzwer­ken von einem hefti­gen Explo­si­ons­ge­räusch. Bürger­meis­ter Vitali Klitsch­ko bestä­tig­te auf Telegram Einschlä­ge im südli­chen Bezirk Holosijiw.

Er teilte zudem mit, dass rund 15 Prozent der Bürger vorüber­ge­hend von der Strom­ver­sor­gung abgeschnit­ten seien. Auch in der südli­chen Region Odessa sowie in Charkiw im Osten des Landes berich­te­ten die Behör­den von russi­schen Angrif­fen auf Energie­an­la­gen und von Stromausfällen.

«Infol­ge von massi­ven Raketen­an­grif­fen wurde ein Objekt der regio­na­len Energie­infra­struk­tur getrof­fen und ein Wohnge­bäu­de beschä­digt», schrieb der Odessaer Militär­gou­ver­neur Maxym Martschen­ko. In Charkiw sprach Gouver­neur Oleh Synje­hub­ow von insge­samt rund 15 Angrif­fen auf sein Gebiet. Im ganzen Land wurde Luftalarm ausgerufen.

Ist der lange Kampf um Bachmut schon ein Sieg?

Unter­des­sen plant die Ukrai­ne ihre nächs­ten Schrit­te bei der Vertei­di­gung des Donbass und der Stadt Bachmut. Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj sagte in seiner abend­li­chen Video­an­spra­che am Mittwoch, darüber habe er mit Militär und Geheim­dienst gespro­chen. «Die Front­li­nie, unsere Vertei­di­gung, der Kampf um Bachmut und den gesam­ten Donbass. Das ist die obers­te Priori­tät.» Details nannte er indes nicht.

Der Präsi­dent appel­lier­te an den Gemein­schafts­geist der Ukrai­ner und Ukrai­ne­rin­nen im Kampf. «Es ist sehr wichtig, dass die Front­li­nie keine Linie auf der Landkar­te ist. Es sind Menschen, es ist Wider­stands­fä­hig­keit, es ist Kampf­be­reit­schaft, es ist gegen­sei­ti­ge Unter­stüt­zung, es ist gegen­sei­ti­ge Hilfe», sagte Selenskyj.

Der ukrai­ni­sche General­stab berich­te­te gestern Abend von fortge­setz­ten russi­schen Angrif­fen an allen Abschnit­ten der Front, vor allem im Indus­trie- und Kohle­re­vier Donbass im Osten. Auch die fast einge­schlos­se­ne Stadt Bachmut werde weiter angegrif­fen. Die russi­sche Seite setzt dort neben der regulä­ren Armee auch die priva­te Söldner­trup­pe Wagner ein. Im Raum steht immer wieder ein takti­scher Rückzug der bedräng­ten Ukrai­ner aus der Stadt. Aller­dings hat die Kiewer Führung beschlos­sen, Bachmut weiter zu verteidigen.

Vizever­tei­di­gungs­mi­nis­te­rin Hanna Maljar bezeich­ne­te das Aushar­ren der ukrai­ni­schen Truppen in Bachmut als Erfolg. «Alle wollen Nachrich­ten von befrei­ten Gebie­ten, und das wird als Sieg bezeich­net. Doch ist es bereits ein Sieg, dass unsere tapfe­ren Solda­ten monate­lang den Feind und die stärks­ten und profes­sio­nells­ten Wagner-Einhei­ten dort vernich­tet haben», sagte Maljar im Fernse­hen. Es sei auch ein Erfolg, dass eine große Anzahl feind­li­cher Kräfte gebun­den und damit das Offen­siv­po­ten­zi­al des Gegners gesenkt werde. «Das heißt, man muss eben an dieser Stelle (weiter) vertei­di­gen», sagte Maljar zum Festhal­ten der Militär­füh­rung an Bachmut.

Selen­skyj: Bachmut hat entschei­den­de strate­gi­sche Bedeutung

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Selen­skyj vertei­dig­te die Entschei­dung, seine Truppen weiter in Bachmut zu lassen. In Russlands Krieg gegen sein Land sei Bachmut von entschei­den­der strate­gi­scher Bedeu­tung, sagte Selen­skyj gestern Abend (Ortszeit) in einem exklu­si­ven Inter­view des US-Fernseh­sen­ders CNN. «Nach Bachmut könnten sie weiter­ge­hen. Sie könnten nach Krama­torsk gehen, nach Slowjansk», sagte Selen­skyj mit Blick auf die russi­schen Angrei­fer. Sollte Bachmut fallen, sei den Russen der Weg in andere Landes­tei­le offen, sagte Selen­skyj. «Deswe­gen stehen unsere Jungs dort.»

US-Geheim­diens­te: Putin spielt auf Zeit

In den USA erwar­ten Geheim­diens­te, dass Putin sich auf einen länge­ren Krieg gegen die Ukrai­ne einrich­tet. «Wir gehen nicht davon aus, dass sich das russi­sche Militär in diesem Jahr ausrei­chend erholt, um größe­re Gebiets­ge­win­ne zu erzie­len», sagte Geheim­dienst­ko­or­di­na­to­rin Avril Haines bei einer Anhörung im Senat in Washing­ton. Die Verlän­ge­rung des Krieges einschließ­lich mögli­cher Kampf­pau­sen könnte sein bester verblei­ben­der Weg sein, um die russi­schen strate­gi­schen Inter­es­sen in der Ukrai­ne zu sichern — selbst wenn dies Jahre dauere.

Ukrai­ne hält Strom­man­gel für überwunden

Die Ukrai­ne sieht ihre Schwie­rig­kei­ten bei der Strom­ver­sor­gung vorerst überwun­den — falls nicht neue russi­sche Angrif­fe das System beschä­di­gen. In den vergan­ge­nen 25 Tagen habe es keinen Strom­man­gel mehr gegeben, und es sei auch kein Defizit abzuse­hen. Das sagte der Chef des Versor­gers Ukren­er­ho, Wolodym­yr Kudryz­kyj. «Der härtes­te Winter in unserer Geschich­te ist vorbei», sagte er in Kiew.

Russland hatte seit dem vergan­ge­nen Oktober immer wieder Raketen abgefeu­ert, um gezielt die Strom- und Wärme­ver­sor­gung der Ukrai­ne zu zerstö­ren. Das führte in allen Landes­tei­len zu stunden- und tagewei­sen Ausfäl­len von Strom, Fernwär­me und Wasser. Aller­dings gelang es den Ukrai­nern immer wieder, das kaput­te Netz zu flicken. In der Nacht wurde über Teilen der Ostukrai­ne wieder zeitwei­se Luftalarm wegen befürch­te­ter Angrif­fe ausgelöst.

Polen bietet der Ukrai­ne seine MiG-29 an

Die Diskus­si­on über die polni­schen MiG-29 kam schon vergan­ge­nes Jahr kurz nach der russi­schen Invasi­on in die Ukrai­ne auf. Nach Angaben polni­scher Militär­ex­per­ten hat das Land noch etwa 30 Maschi­nen dieses Typs im Einsatz. Viele stammen aus alten DDR-Bestän­den. «Wir sind bereit, diese Flugzeu­ge zu liefern, und ich bin sicher, dass die Ukrai­ne bereit wäre, sie sofort einzu­set­zen», sagte Präsi­dent Duda dem US-Sender CNN.

Nötig sei eine inter­na­tio­na­le Abstim­mung, zu der er sich aber nicht im Detail äußer­te. Für die Zukunft sei es außer­dem wichtig, mehr ukrai­ni­sche Piloten auf US-Kampf­flug­zeu­gen F‑16 auszu­bil­den, sagte Duda bei einem Besuch in Abu Dhabi.

Der polni­sche Regie­rungs­chef Mateusz Morawi­ecki hatte im Febru­ar bei der Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz eine Nato-Entschei­dung als Voraus­set­zung genannt. US-Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Lloyd Austin sagte, sein Land werde andere nicht abhal­ten, Kampf­jets zu liefern.

Das wird heute wichtig

In Brüssel soll es weite­re Gesprä­che zwischen der Türkei und den nordi­schen Ländern Finnland und Schwe­den über deren Nato-Beitritt geben. Die Türkei blockiert das Verfah­ren. Sie wirft vor allem Schwe­den vor, nicht konse­quent genug gegen Menschen und Organi­sa­tio­nen vorzu­ge­hen, die Ankara als terro­ris­tisch einstuft. Finnland und Schwe­den hatten unter dem Eindruck der russi­schen Invasi­on in die Ukrai­ne beschlos­sen, dem westli­chen Vertei­di­gungs­pakt beizu­tre­ten. Ihnen fehlt auch noch die Zustim­mung aus Ungarn.

Außer­dem dürfte nach neuen Presse­be­rich­ten das Rätsel­ra­ten um den Anschlag auf die Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 vom Septem­ber 2022 weiter­ge­hen. Deutsche Ermitt­ler haben nach eigenen Angaben das Schiff identi­fi­ziert, von dem aus die Anschlä­ge mutmaß­lich verübt wurden. Den Presse­be­rich­ten zufol­ge könnte die Spur über die Charte­rer des Schif­fes zu pro-ukrai­ni­schen Gruppen reichen. Die Ukrai­ne demen­tiert aber eine Betei­li­gung. Vertre­ter anderer Staaten halten sich mit Vermu­tun­gen zum Hinter­grund bedeckt.