KIEW (dpa) — Die Situa­ti­on in der Hafen­stadt Mariu­pol ist ukrai­ni­schen Angaben zufol­ge äußerst ernst. Moskau ruft die verblie­be­nen ukrai­ni­schen Kämpfer erneut dazu auf, sich zu ergeben. Die Ereig­nis­se im Überblick.

In der umkämpf­ten ukrai­ni­schen Hafen­stadt Mariu­pol ist die Lage laut Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj äußerst ernst. Die Situa­ti­on dort sei zudem «einfach unmensch­lich». Moskau rief die ukrai­ni­schen Truppen zur Aufga­be auf.

EU-Kommis­si­ons­prä­si­den­tin Ursula von der Leyen appel­lier­te an die EU-Länder, der Ukrai­ne schnell Waffen zu liefern. Obers­tes Ziel eines anste­hen­den, sechs­ten Sankti­ons­pa­ke­tes der EU gegen Russland sei, Moskaus Einnah­men zu schrumpfen.

Selen­skyj beschul­dig­te in einer Video­bot­schaft Moskau, bewusst zu versu­chen, alle Menschen in Mariu­pol auszu­lö­schen. Um die Situa­ti­on in der Stadt zu beein­flus­sen, sagte Selen­skyj weiter, gebe es nur zwei Möglich­kei­ten. Entwe­der die Partner­län­der der Ukrai­ne stell­ten sofort alle notwen­di­gen schwe­ren Waffen zur Verfü­gung, auch Flugzeu­ge, damit man den Druck auf Mariu­pol verrin­gern und die Stadt deblo­ckie­ren könne. Der zweite Weg sei ein Verhand­lungs­pfad, bei dem auch die Partner eine maßgeb­li­che Rolle spielen müssten.

Bombar­die­run­gen von Mariu­pol dauern an

Mariu­pol gilt als seit Anfang März einge­kes­selt. Durch die der mehr als einein­halb Monate andau­ern­den Kämpfe und Bombar­die­run­gen wurde die Stadt verwüs­tet und eine unbekann­te Anzahl von Zivilis­ten getötet. In den vergan­ge­nen Tagen drangen russi­sche Truppen ins Zentrum vor. Russi­schen Angaben zufol­ge verschanz­ten sich mittler­wei­le alle verblie­be­nen ukrai­ni­schen Kämpfer — deren Zahl nicht mehr als 2500 sein soll — in dem Stahl­werk Asowstal.

Der Einsatz von Tu-22M Überschall­bom­bern durch die russi­schen Streit­kräf­te beim Angriff auf das Asows­tal-Werk könne auf die Absicht hindeu­ten, den Kampf bald zu beenden, indem sie die verblie­be­nen ukrai­ni­schen Kämpfer mit Feuer­kraft vernich­te­ten, schrieb das US-Kriegs­for­schungs­in­sti­tut Insti­tu­te for the Study of War (ISW) in seiner jüngs­ten Ukraine-Analyse.

In der Nacht rief die russi­sche Armee die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te in Mariu­pol erneut zur Aufga­be auf. Unter Berück­sich­ti­gung der «katastro­pha­len Situa­ti­on» im Stahl­werk Asows­tal biete man den einge­schlos­se­nen ukrai­ni­schen Kämpfern sowie «auslän­di­schen Söldnern» an, die Feind­se­lig­kei­ten einzu­stel­len und am Sonntag ab 6.00 Uhr Moskau­er Zeit (5.00 Uhr MEZ) die Waffen nieder­zu­le­gen, hieß es in einer Mittei­lung von General­oberst Michail Misin­zew aus dem russi­schen Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um. Allen, die ihre Waffen nieder­leg­ten, sei ihr Leben garantiert.

Selen­skyj: Moskaus Vorge­hen könnte Verhand­lun­gen beenden

Selen­skyj drohte Russland mit einem Ende der Friedens­ver­hand­lun­gen, falls die ukrai­ni­schen Kämpfer in der Hafen­stadt Mariu­pol getötet werden sollten. «Die Vernich­tung unserer Jungs in Mariu­pol, das was sie gerade tun (…), könnte einen Schluss­strich unter jede Form von Verhand­lun­gen setzen», sagte Selen­skyj in einem Inter­view mit örtli­chen Internetmedien.

Draghi: «Man verliert nur Zeit»

Itali­ens Minis­ter­prä­si­dent Mario Draghi ist ernüch­tert von den diplo­ma­ti­schen Versu­chen, Kreml­chef Wladi­mir Putin zu einem Waffen­still­stand im Ukrai­ne­krieg zu überzeu­gen. «Ich fange an zu denken, dass dieje­ni­gen Recht haben, die sagen: Es ist sinnlos, mit ihm zu reden, man verliert nur Zeit», sagte der Regie­rungs­chef in einem Inter­view der Tages­zei­tung «Corrie­re della Sera».

Er will die Hoffnung auf einen diplo­ma­ti­schen Ausweg zwar nicht aufge­ben und wolle auch Frank­reichs Präsi­den­ten Emmanu­el Macron weiter unter­stüt­zen, der mehrmals und auch lange mit Putin verhan­del­te. «Aber ich habe den Eindruck, dass der Schre­cken des Krieges mit all dem Gemet­zel, mit all dem, was den Kindern und Frauen angetan wird, völlig losge­löst ist von den Worten und Telefo­na­ten», sagte Draghi.

Gouver­neur: Russi­sche Truppen warten auf besse­res Wetter

Der Gouver­neur des ostukrai­ni­schen Gebiets Luhansk erklär­te, Russland habe bereits Zehntau­sen­de Solda­ten für eine baldi­ge Offen­si­ve im Osten der Ukrai­ne zusam­men­ge­zo­gen. Zudem seien Hunder­te Einhei­ten Technik in die Region trans­por­tiert worden, sagte Serhij Hajdaj.

Seiner Einschät­zung nach warte­ten die russi­schen Truppen nur noch auf besse­res Wetter, um dann zeitgleich in den Gebie­ten Luhansk und Donezk ihre Angrif­fe zu starten. In beiden Regio­nen soll nach Wetter­vor­her­sa­gen voraus­sicht­lich Mitte kommen­der Woche der Regen aufhö­ren und am Samstag wieder begin­nen. Am kommen­den Sonntag feiert die russisch-ortho­do­xe Kirche Ostern.

Forde­rung nach schnel­le­ren Waffenlieferungen

Selen­skyj forder­te erneut mehr Tempo bei den Waffen­lie­fe­run­gen für sein Land. «Von dem Moment an, an dem sie sagen, wir haben beschlos­sen, der Ukrai­ne Waffen zu liefern, bis unsere Streit­kräf­te die Waffen erhal­ten, können zwei bis drei Wochen verge­hen», sagte der Staats­chef in einem Inter­view für ukrai­ni­sche Inter­net­me­di­en. Der Prozess dauere zu lange. Selen­skyj fand offen­bar bei EU-Kommis­si­ons­prä­si­den­tin von der Leyen bereits Gehör.

Sie appel­lier­te an die Länder der EU, der Ukrai­ne schnell Waffen zur Verfü­gung zu stellen. «Für alle Mitglied­staa­ten gilt, wer kann, sollte schnell liefern, denn nur dann kann die Ukrai­ne in ihrem akuten Abwehr­kampf gegen Russland bestehen», sagte von der Leyen der «Bild am Sonntag». «Ich unter­schei­de nicht zwischen schwe­ren und leich­ten Waffen. Die Ukrai­ne muss das bekom­men, was sie zur Vertei­di­gung braucht und was sie handha­ben kann.»

Von der Leyen: Öl und Banken im Visier

Zu den Kernpunk­ten eines sechs­ten Sankti­ons­pa­ke­tes der EU gegen Russland, das zurzeit vorbe­rei­tet wird, sagte von der Leyen: «Wir sehen uns weiter den Banken­sek­tor an, insbe­son­de­re die Sberbank, die allei­ne 37 Prozent des russi­schen Banken­sek­tors ausmacht. Und natür­lich geht es um Energie­fra­gen.» Man entwick­le zudem gerade «kluge Mecha­nis­men», damit im nächs­ten Sankti­ons­schritt auch Öl einbe­zo­gen werden kann.