KIEW/MOSKAU (dpa) — Kiew und Moskau erinnern heute an das Ende des Zweiten Weltkriegs. Den Ukrai­ne-Krieg betrach­ten beide als dessen Fortset­zung — und werfen sich gegen­sei­tig faschis­ti­sche Tenden­zen vor. Die News im Überblick.

Russland feiert heute den Jahres­tag des sowje­ti­schen Sieges über Nazi-Deutsch­land im Jahr 1945. Die Feier­lich­kei­ten werden — wie schon im Vorjahr — überschat­tet vom Angriffs­krieg gegen die Ukraine.

Gekämpft wird auch um die Deutungs­ho­heit dieses Ereig­nis­ses. Der Kreml recht­fer­tigt seinen Angriffs­krieg als Abwehr einer westli­chen Bedro­hung und eines angeb­lich nazis­ti­schen Regimes in Kiew. Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj hinge­gen stellt die Vertei­di­gung der Ukrai­ne in eine Reihe mit dem Kampf gegen Nazi-Deutsch­land im Zweiten Weltkrieg. Zur Feier des Europa­tags ist EU-Kommis­si­ons­prä­si­den­tin Ursula von der Leyen in Kiew eingetroffen.

Selen­skyj: Geden­ken bedeu­tet auch schützen

Selen­skyj sagte gestern Abend in seiner tägli­chen Video­an­spra­che: «Heute, am 8. Mai, wenn sich die Welt an die Worte “Nie wieder!” erinnert, geben wir in der Ukrai­ne diesen Worten eine Bedeu­tung.» Es gehe nicht nur darum, sich zu erinnern, sondern seine Werte auch zu schüt­zen und Aggres­so­ren zu besiegen.

«Die Erfol­ge der Ukrai­ner bei der Vertei­di­gung gegen die russi­sche Aggres­si­on sind eindeu­tig ein Gegen­gift gegen andere Aggres­sio­nen», sagte Selen­skyj. Die Welt könne sehen, wie sich ein freies Volk vor Erobe­rern schüt­ze. «Wenn wir das können, können dies andere auch.» Am 8. Mai wird in Europa alljähr­lich des Endes des Zweiten Weltkriegs gedacht.

Selen­sky­js Anspra­che dürfte sich angesichts der bevor­ste­hen­den Sieges­pa­ra­de in Moskau auch gegen die russi­sche Propa­gan­da richten. Diese beansprucht für den Kreml das Monopol auf den Sieg gegen Hitler-Deutsch­land im Zweiten Weltkrieg und verklärt den eigenen Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne quasi zur Fortset­zung des sowje­ti­schen Abwehrkampfs.

Von der Leyen trifft zu Besuch in Kiew ein

EU-Kommis­si­ons­prä­si­den­tin Ursula von der Leyen ist am Diens­tag­mor­gen zu einem Besuch in Kiew einge­trof­fen. Die deutsche Spitzen­po­li­ti­ke­rin will in der ukrai­ni­schen Haupt­stadt gemein­sam mit Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj den Europa­tag feiern. Zudem sind politi­sche Gesprä­che geplant. Bei ihnen soll es unter anderem um Muniti­ons­lie­fe­run­gen für den Abwehr­krieg gegen Russland sowie um weite­re finan­zi­el­le Unter­stüt­zung und die Vorbe­rei­tun­gen für EU-Beitritts­ver­hand­lun­gen mit der Ukrai­ne gehen.

«Die Ukrai­ne gehört zu unserer europäi­schen Familie», sagte von der Leyen zur Ankunft. Dass sie am Europa­tag in Kiew sei, sei ein Symbol, es zeige aber auch, dass die EU bereits jetzt in vielen Berei­chen mit der Ukrai­ne Hand in Hand zusammenarbeite.

General­inspek­teur: Unter­stüt­zung der Ukrai­ne «an vorde­rer Stelle»

Der General­inspek­teur der Bundes­wehr, Carsten Breuer, gibt der weite­ren militä­ri­schen Unter­stüt­zung der Ukrai­ne bei der Vertei­di­gung gegen die russi­schen Angrei­fer Priorität.

«Der Kampf auf Leben und Tod recht­fer­tigt Einschrän­kun­gen in Ausbil­dung und Materi­al­ver­füg­bar­keit bei uns. Die Unter­stüt­zung der tapfe­ren ukrai­ni­schen Streit­kräf­te im Kampf gegen den russi­schen Aggres­sor steht für uns an vorde­rer Stelle», sagte der ranghöchs­te deutsche Soldat der Deutschen Presse-Agentur nach einem Besuch in der ukrai­ni­schen Haupt­stadt Kiew. Der General bekräf­tig­te: «Die Ukrai­ne kämpft für uns alle.»

Breuer war in der vergan­ge­nen Woche in der Ukrai­ne und traf Armee­chef Walerij Saluschnyj und den ukrai­ni­schen Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Olexij Resni­kow. Resni­kow dankte laut Mittei­lung für die bisher erhal­te­nen Waffen aus Deutsch­land, unter denen moder­ne Flugab­wehr­sys­te­me, Panzer­hau­bit­zen und auch der Kampf­pan­zer Leopard 2 sind.

Russi­scher Besat­zungs­chef: Regen verzö­gert Kiews Offensive

Regen­fäl­le verzö­gern nach Angaben der russi­schen Besat­zungs­be­hör­den in der Südukrai­ne den Beginn der erwar­te­ten Offen­si­ve Kiews. «Wieder hat insta­bi­les feuch­tes Wetter Einzug gehal­ten. Der Boden muss zehn bis zwölf Zenti­me­ter durch­ge­trock­net sein, damit die Technik darüber rollen kann», sagte der Verwal­tungs­chef des von Moskau kontrol­lier­ten Teils von Saporischschja, Jewge­ni Baliz­ki, gestern im russi­schen Fernse­hen. Trotz­dem könne die Gegen­of­fen­si­ve «jeden Moment beginnen».

Am Freitag hatte die russi­sche Verwal­tung mit der Evaku­ie­rung der front­na­hen Ortschaf­ten im Gebiet Saporischschja begon­nen. Davon betrof­fen ist auch die Stadt Enerho­dar, in der sich das Atomkraft­werk Saporischschja befin­det. Baliz­ki sprach von einer zeitwei­sen Umsied­lung der Bewoh­ner zur Sicher­heit der Bevölkerung.

Russi­sche Rakete zerstört Lager­haus des Roten Kreuzes

Russland versucht zugleich mit Raketen- und Drohnen­an­grif­fen die Vorbe­rei­tung der Ukrai­ner auf einen Gegen­an­griff zu stören. Immer wieder werden dabei aber auch zivile Ziele getroffen.

Durch einen russi­schen Raketen­an­griff wurde in der südukrai­ni­schen Hafen­stadt Odessa ein Lager­haus des ukrai­ni­schen Roten Kreuzes zerstört. «Das Feuer vernich­te­te alle humani­tä­ren Hilfs­gü­ter, die sich im Lager befan­den», teilte die Organi­sa­ti­on gestern mit. Beim Raketen­an­griff auf das Lager einer Lebens­mit­tel­fir­ma wurden der Staats­an­walt­schaft zufol­ge ein Mensch getötet und drei verletzt.

Belarus­si­scher Macht­ha­ber in Moskau

Der belarus­si­sche Macht­ha­ber Alexan­der Lukaschen­ko traf einen Tag vor der geplan­ten großen Militär­pa­ra­de in Moskau zu einem unange­kün­dig­ten Besuch in Russland ein. Auf einem Video, das die belarus­si­sche staat­li­che Nachrich­ten­agen­tur Belta veröf­fent­lich­te, war zu sehen, wie der 68-Jähri­ge am Moskau­er Flugha­fen von Russlands Vizere­gie­rungs­chef Denis Mantur­ow in Empfang genom­men wurde.

Das wird heute wichtig

Während in Deutsch­land und andern­orts in Europa bereits am Montag an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa 1945 erinnert wurde, begeht Russland seinen Tag des Sieges heute tradi­tio­nell mit einer großen Militär­pa­ra­de. Neben Kreml­chef Wladi­mir Putin und Lukaschen­ko wollen auch mehre­re andere Staats­chefs der ehema­li­gen Sowjet­re­pu­bli­ken die diesjäh­ri­ge Parade in Moskau besuchen.