KIEW (dpa) — In der Ukrai­ne wird weiter heftig gekämpft. Drei Regie­rungs­chefs aus EU-Ländern reisen nach Kiew. Die Nato versetzt ihre Solda­ten in erhöh­te Alarm­be­reit­schaft. Entwick­lun­gen im Überblick.

Drei EU-Regie­rungs­chefs sind inmit­ten des russi­schen Angriffs­kriegs in der Ukrai­ne zu einem Besuch in die umkämpf­te Haupt­stadt Kiew aufgebrochen.

Beide Seiten in dem Konflikt berich­ten von militä­ri­schen Erfol­gen. Gleich­zei­tig wird aber weiter über eine Friedens­lö­sung verhan­delt. Mehre­re Hundert­tau­send Solda­ten aus den Nato-Bündnis­staa­ten sind indes­sen in erhöh­te Alarm­be­reit­schaft versetzt worden. Die Entwick­lun­gen im Überblick.

Solida­ri­täts­be­such im Kriegsgebiet

Ein Zug mit den Minis­ter­prä­si­den­ten von Polen, Tsche­chi­en und Slowe­ni­en überquer­te nach polni­schen Angaben von Diens­tag­vor­mit­tag bereits die Grenze zur Ukrai­ne. In Kiew sind Treffen mit dem ukrai­ni­schen Präsi­den­ten Wolodym­yr Selen­skyj und Regie­rungs­chef Denys Schmyhal geplant.

Die Entschei­dung für die Visite sei schon beim EU-Gipfel vergan­ge­ne Woche gefal­len, sagte der polni­sche Regie­rungs­spre­cher Piotr Müller. Die Delega­ti­on vertre­te «de facto die Europäi­sche Union, den Europäi­schen Rat». In Kiew werde die Delega­ti­on ein Signal der Unter­stüt­zung für den Freiheits­kampf der Ukrai­ne geben und ein Paket mit konkre­ter Unter­stüt­zung für die Ukrai­ne vorlegen.

Auf die Frage, warum die EU-Spitze nicht selbst nach Kiew fahre, entgeg­ne­te Müller: «Dies ist eine schwie­ri­ge Frage, aber es ist eine Frage der indivi­du­el­len Entschei­dun­gen jedes europäi­schen Spitzen­po­li­ti­kers.» Exper­ten hätten die Sicher­heits­la­ge gründ­lich analy­siert und seien zu dem Schluss gekom­men, dass «dieser Besuch einfach statt­fin­den muss».

Verhand­lun­gen zwischen Ukrai­ne und Russland fortgesetzt

Die Verhand­lun­gen zwischen der Ukrai­ne und Russland über ein Ende des Kriegs sind nach Angaben aus Kiew weiter­ge­gan­gen. «Sie wurden bereits fortge­setzt», sagte der ukrai­ni­sche Delega­ti­ons­lei­ter David Aracha­mi­ja der Zeitung «Ukrajins­ka Prawda». Weite­re Angaben machte er nicht. Von russi­scher Seite gab es dafür zunächst keine Bestätigung.

Beide Seiten hatten sich gestern per Video­schal­te zu ihrer vierten Verhand­lungs­run­de getrof­fen. Am Nachmit­tag hatte der ukrai­ni­sche Präsi­den­ten­be­ra­ter Mycha­j­lo Podol­jak dann mitge­teilt, die Gesprä­che seien bis Diens­tag für eine techni­sche Pause unter­bro­chen worden.

Der russi­sche Außen­mi­nis­ter Sergej Lawrow sagte der Agentur Inter­fax zufol­ge, bei den Verhand­lun­gen gehe es darum, einen militä­risch neutra­len Status des Nachbar­lan­des zu sichern, «im Rahmen von Sicher­heits­ga­ran­tien für alle Teilneh­mer an diesem Prozess, im Rahmen der Entmi­li­ta­ri­sie­rung der Ukrai­ne». Russland will eine Nato-Mitglied­schaft der Ukrai­ne verhin­dern und fordert deshalb die «Entmi­li­ta­ri­sie­rung» des Landes, das sich zudem in seiner Verfas­sung für neutral erklä­ren soll.

Die Ukrai­ne fordert ein Ende des Krieges und einen Abzug der russi­schen Truppen. Moskau verlangt, dass Kiew die annek­tier­te Schwarz­meer-Halbin­sel Krim als russi­sches Terri­to­ri­um sowie die ostukrai­ni­schen Separa­tis­ten­ge­bie­te als unabhän­gi­ge Staaten anerkennt.

Selen­skyj: Verste­hen, dass wir nicht zur Nato gehören werden

Präsi­dent Selen­skyj hat eine Nato-Beitritts­per­spek­ti­ve seines Landes als unwahr­schein­lich einge­räumt. «Es ist klar, dass die Ukrai­ne kein Nato-Mitglied ist, wir verste­hen das», sagte Selen­skyj während eines Online-Auftritts vor Vertre­tern der nordeu­ro­päi­schen Militär-Koope­ra­ti­on Joint Expedi­tio­na­ry Force. «Jahre­lang haben wir von offenen Türen gehört, aber jetzt haben wir auch gehört, dass wir dort nicht eintre­ten dürfen, und das müssen wir einse­hen», fügte Selen­skyj hinzu. «Ich bin froh, dass unser Volk beginnt, das zu verste­hen, auf sich selbst zu zählen und auf unsere Partner, die uns helfen.»

Ukrai­ne: Russi­sche Angrif­fe abgewehrt

Die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te haben nach eigenen Angaben an mehre­ren Fronten russi­sche Angrif­fe abgewehrt. Nördlich von Kiew sei es russi­schen Kräften nicht gelun­gen, die Vertei­di­gungs­stel­lun­gen zu durch­bre­chen, teilte der ukrai­ni­sche General­stab mit. Auch die westlich der Haupt­stadt gelege­ne Stadt Makariw hätten die Angrei­fer nicht einneh­men können.

In der Ostukrai­ne seien ebenfalls Vorstö­ße zurück­ge­schla­gen worden, etwa bei der Stadt Lyssytschansk. Der Feind habe Verlus­te erlit­ten und sich zurück­ge­zo­gen. Hinge­gen versuch­ten die Angrei­fer, sich in der nahe gelege­nen Stadt Rubisch­ne im Donbass festzu­set­zen. Die einge­schlos­se­ne südost­ukrai­ni­sche Hafen­stadt Mariu­pol werde bestän­dig aus mehre­ren Richtun­gen mit Artil­le­rie und Kampf­flug­zeu­gen angegrif­fen, hieß es.

Der General­stab warf den russi­schen Einhei­ten vor, verstärkt Wohnge­bie­te und kriti­sche Infra­struk­tur zu beschießen.

Streit über Flucht­kor­ri­do­re für Zivilisten

Die russi­sche Armee wirft der ukrai­ni­schen Seite mangeln­de Koope­ra­ti­on bei Flucht­kor­ri­do­ren für die gefähr­de­te Zivil­be­völ­ke­rung vor. Von zehn Flucht­rou­ten, die Russland vorge­schla­gen habe, habe die Ukrai­ne nur dreien zugestimmt. Keine dieser Routen führe auf russi­sches Gebiet, sagte General­oberst Michail Misin­zew vom Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um in Moskau. Im Gegen­teil: Ukrai­ni­sche Solda­ten hinder­ten Flücht­lin­ge aktiv am Übertritt nach Russland, behaup­te­te Misinzew.

Seinen Angaben nach hat die russi­sche Armee seit dem Vortag 37.000 Menschen in Bussen oder Autos die Ausrei­se aus umkämpf­ten Gebie­ten bei Schyto­myr, Luhansk, Donezk und Mariu­pol ermög­licht. Misin­zew warf den ukrai­ni­schen Truppen vor, die aus humani­tä­ren Gründen verein­bar­ten Feuer­pau­sen zur Umgrup­pie­rung und Verstär­kung zu nutzen.

Dagegen sagte die ukrai­ni­sche Vizere­gie­rungs­chefin Iryna Werescht­schuk, es seien neun Korri­do­re einge­rich­tet worden. Nach ukrai­ni­schen Angaben konnte tatsäch­lich eine unbekann­te Zahl von Menschen in etwa 2000 Autos die einge­schlos­se­ne Stadt Mariu­pol am Asowschen Meer verlas­sen. Die Ukrai­ner kriti­sie­ren aber, dass die vermeint­lich siche­ren Korri­do­re oft von russi­scher Seite beschos­sen würden.

Tote bei Angriff auf Schule bei Mykolajiw

Bei einem russi­schen Angriff nahe der südukrai­ni­schen Großstadt Mykola­jiw sind nach ukrai­ni­schen Angaben mindes­tens sieben Menschen getötet worden. Drei Menschen seien bei der Attacke auf eine Schule im Dorf Selenyj Haj verletzt worden, teilte der örtli­che Zivil­schutz mit. Der Angriff ereig­ne­te sich demnach bereits am Sonntag­mor­gen. Die ersten Aufräum­ar­bei­ten seien nun abgeschlos­sen, hieß es.

Kiew: Vier Journa­lis­ten getötet

Unter den zivilen Opfern des Krieges sind auch vier Journa­lis­ten. Außer dem US-Journa­lis­ten Brent Renaud seien auch zwei ukrai­ni­sche Repor­ter durch russi­schen Beschuss ums Leben gekom­men, schrieb die Menschen­rechts­be­auf­trag­te des ukrai­ni­schen Parla­ments, Ljudmy­la Deniso­wa, bei Telegram. Wiktor Dudar sei in der Nähe der südukrai­ni­schen Großstadt Mykola­jiw getötet worden, der Kamera­mann Jewhen Sakun durch einen Raketen­an­griff in Kiew. Außer­dem seien mehr als 30 Journa­lis­ten verletzt worden, hieß es.

Darüber hinaus starb ein Kamera­mann und Fotograf des US-Senders Fox News in der Nähe von Kiew. Pierre Zakrzew­ski sei am Montag mit dem Korre­spon­den­ten Benja­min Hall in Horen­ka unter­wegs gewesen, als ihr Fahrzeug unter Beschuss geraten sei, teilte der US-Sender mit. Zakrzew­ski habe seit Febru­ar in der Ukrai­ne gearbei­tet, so der Sender. Der 55-Jähri­ge sei ein Kriegs­fo­to­graf gewesen, der für Fox News über fast alle inter­na­tio­na­len Geschich­ten von Irak über Syrien bis Afgha­ni­stan berich­tet habe. Sein «Mut, seine Profes­sio­na­li­tät und seine Arbeits­mo­ral» seien bei den Journa­lis­ten aller Medien bekannt gewesen.

«Die russi­schen Besat­zer kämpfen gegen eine objek­ti­ve Bericht­erstat­tung ihrer Kriegs­ver­bre­chen in der Ukrai­ne, sie töten und beschie­ßen Journa­lis­ten», behaup­te­te Deniso­wa. Auch auf auslän­di­sche Repor­ter sei gezielt gefeu­ert worden. Dabei seien mehre­re Journa­lis­ten verletzt worden, darun­ter ein Schwei­zer und zwei Dänen. Eine Crew des briti­schen Senders Sky News hatte selbst gefilmt, wie sie in Butscha nordwest­lich von Kiew beschos­sen wurde. Dabei wurde Repor­ter Stuart Ramsay verletzt.

UN dokumen­tie­ren Tod von 691 Zivilisten

Das UN-Hochkom­mis­sa­ri­at für Menschen­rech­te hat seit dem Einmarsch russi­scher Truppen am 24. Febru­ar den Tod von 691 Zivil­per­so­nen in der Ukrai­ne dokumen­tiert. Unter ihnen sind 48 Kinder und Jugend­li­che, wie das Büro in Genf mitteil­te. Am Vortag waren es noch insge­samt 636 Tote. Dem Büro lagen zudem verifi­zier­te Infor­ma­tio­nen über 1143 Verletz­te vor. Am Vortag waren es 1125.

Die UN-Hochkom­mis­sa­rin für Menschen­rech­te, Michel­le Bache­let, betont stets, dass die tatsäch­li­chen Zahlen mit Sicher­heit deutlich höher liegen. Mitar­bei­te­rin­nen und Mitar­bei­ter bräuch­ten oft Tage, um Opfer­zah­len zu überprü­fen. Das Hochkom­mis­sa­ri­at gibt nur Todes- und Verletz­ten­zah­len bekannt, die es selbst unabhän­gig überprüft hat.

Nato-Solda­ten in erhöh­ter Alarmbereitschaft

In Reakti­on auf Russlands Krieg gegen die Ukrai­ne sind nach Angaben von Nato-General­se­kre­tär Jens Stolten­berg mittler­wei­le mehre­re Hundert­tau­send Solda­ten aus den Bündnis­staa­ten in erhöh­te Alarm­be­reit­schaft versetzt worden. Wie der Norwe­ger am Diens­tag in Brüssel mitteil­te, sind darun­ter rund 100.000 US-Solda­ten in Europa und rund 40.000 Solda­ten unter direk­tem Nato-Komman­do. Unter­stützt würden die Truppen von Luft- und Seestreit­kräf­ten sowie von der Luftab­wehr, sagte Stoltenberg.