KIEW (dpa) — Nach dem russi­schen Einmarsch in die Ukrai­ne werden die Angrif­fe auf die Städte wieder inten­si­ver. Unter­des­sen hat sich eine große russi­sche Militär­ko­lon­ne nördlich von Kiew teils zerstreut. Die weite­re Entwick­lung im Überblick.

In Russlands Krieg gegen die Ukrai­ne gerät die Haupt­stadt Kiew wieder stärker ins Visier.

Auch aus dem Westen des Landes unweit der Grenze zu Polen werden weite­re Luftan­grif­fe gemel­det. Bei den Sorgen um die Atomrui­ne Tscher­no­byl gibt es unter­des­sen vorerst etwas Entwarnung.

Ukrai­ne: Russi­sche Offen­si­ven «teils» erfolgreich

Rund um Kiew gebe es russi­sche Offen­si­ven an der nördli­chen Stadt­gren­ze bei Sasym­ja und in südli­cher Richtung bei Wyschen­ky, teilte der ukrai­ni­sche General­stab in der Nacht mit. Diese Offen­si­ven seien in einigen Berei­chen teils erfolg­reich. In der Haupt­stadt Kiew wurde in der Nacht mindes­tens drei Mal Flugalarm ausge­löst. Laut CNN war in der Stadt aus der Ferne am Samstag­mor­gen «minuten­lan­ger» Beschuss zu hören.

Russi­sche Kolon­ne nahe Kiew hat sich zerstreut

Eine große russi­sche Militär­ko­lon­ne hat sich nach briti­schen Geheim­dienst­in­for­ma­tio­nen nördlich von Kiew teils zerstreut. Dies dürfte wahrschein­lich einen russi­schen Versuch unter­stüt­zen, die ukrai­ni­sche Haupt­stadt einzu­krei­sen, teilte das briti­sche Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um am Samstag auf Twitter mit. Es könne sich auch um einen russi­schen Versuch handeln, die eigene Anfäl­lig­keit für ukrai­ni­sche Gegen­an­grif­fe zu verrin­gern. Diese hätten bei den Russen bereits einen erheb­li­chen Tribut gefordert.

Während die Gefech­te nordwest­lich von Kiew weiter­gin­gen, befin­de sich der Großteil der russi­schen Boden­trup­pen nun rund 25 Kilome­ter vom Zentrum der Dreimil­lio­nen­stadt entfernt, teilte das Minis­te­ri­um weiter mit.

Russlands Militär spricht von Angrif­fen auf breiter Front

Die russi­sche Armee setzt nach Angaben des Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums in Moskau ihre Angrif­fe auf «breiter Front» in der Ukrai­ne fort. In der Nähe der Haupt­stadt Kiew seien eine Luftwaf­fen­ba­sis in Wassyl­kiw und das nachrich­ten­dienst­li­che Aufklä­rungs­zen­trum der ukrai­ni­schen Streit­kräf­te in Browa­ry außer Gefecht gesetzt worden, teilte Minis­te­ri­ums­spre­cher Igor Konaschen­kow am Samstag in Moskau mit.

Den russi­schen Angaben zufol­ge nahmen die eigenen Truppen und jene der Separa­tis­ten aus Luhansk und Donezk erneut zahlrei­che Ortschaf­ten im Osten der Ukrai­ne ein. Einhei­ten der Donez­ker «Volks­mi­liz» seien weite­re 9 Kilome­ter vorge­drun­gen, die russi­schen Streit­kräf­te insge­samt 21 Kilome­ter und die Gruppie­run­gen der «Volks­re­pu­blik Luhansk» 6 Kilome­ter. Überprüf­bar waren die russi­schen Militär­an­ga­ben nicht.

Zu Beginn des Krieges am 24. Febru­ar hatten die Separa­tis­ten rund 30 Prozent der Regio­nen unter ihrer Kontrol­le. Nun sind es nach ukrai­ni­schen Angaben im Gebiet Luhansk bereits 70 Prozent.

Neue Luftan­grif­fe auch im Westen der Ukraine

Strate­gi­sche Bomber der russi­schen Luftwaf­fe sollen Marsch­flug­kör­per in den Städten Luzk, Iwano-Frankiwsk und Dnipro einge­setzt haben. Luzk und Iwano-Frankiwsk befin­den sich nördlich und südlich der Stadt Lwiw unweit der polni­schen Grenze. In der Nacht zum Freitag hatte Russland seine Angrif­fe auf den Westen der Ukrai­ne ausge­wei­tet. Angrif­fe mit Raketen wurden auch aus dem südukrai­ni­schen Mykola­jiw gemel­det. Die Angaben ließen sich nicht von unabhän­gi­ger Seite überprüfen.

Nach ukrai­ni­schen Militär­an­ga­ben versu­chen russi­sche Truppen, die nordost­ukrai­ni­sche Stadt Tscher­ni­hiw aus südwest­li­cher Richtung zu blockie­ren. Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj sagte, dass in Tscher­ni­hiw eine wichti­ge Wasser­lei­tung durch Beschuss beschä­digt worden sei. In der Folge sei die Großstadt mit knapp 280.000 Einwoh­nern ohne Wasserversorgung.

Selen­skyj: Entfüh­rung «Zeichen der Schwäche»

Selen­skyj forder­te in einer Video­an­spra­che in der Nacht die Freilas­sung des Bürger­meis­ters der von russi­schen Truppen besetz­ten Stadt Melito­pol. Druck auf Bürger­meis­ter oder ihre «physi­sche Elimi­nie­rung» werde Russland nicht dabei helfen, ukrai­ni­sche Städte zu überneh­men. Ein derar­ti­ges Vorge­hen sei ein «Zeichen der Schwä­che» Russlands. Kiew hatte am Freitag erklärt, dass der Bürger­meis­ter des südukrai­ni­schen Melito­pol, Iwan Fedorow, entführt worden sein soll. Dies ließ sich nicht unabhän­gig überprü­fen. In einem Video war zu sehen, wie Vermumm­te einen Mann aus einem zentra­len Gebäu­de mitnehmen.

Kiew: Mehr als ein Dutzend Flucht­kor­ri­do­re geplant

Zur Rettung von Zivilis­ten aus umkämpf­ten ukrai­ni­schen Städten sind nach Angaben aus Kiew am Samstag­mor­gen mehr als ein Dutzend Flucht­kor­ri­do­re geplant gewesen. Aus Saporischschja habe sich erneut ein Konvoi mit Hilfs­gü­tern und Bussen auf den Weg in die belager­te Hafen­stadt Mariu­pol gemacht, sagte Vizere­gie­rungs­chefin Iryna Wereschtschuk.

Es ist der fünfte Versuch, die Stadt am Asowschen Meer zu errei­chen. Bisher kamen die verein­bar­ten Korri­do­re nie zustan­de. Beide Seiten gaben sich gegen­sei­tig die Schuld am Schei­tern. Die prorus­si­schen Separa­tis­ten brach­ten nach eigenen Angaben seit Freitag­mor­gen 217 Zivilis­ten aus Mariu­pol in Sicherheit.

Werescht­schuk sagte, es gebe auch Korri­do­re für mehre­re Orte nordwest­lich von Kiew, unter anderem Hosto­mel, Makariw und Borod­jan­ka. Dort hat sich die russi­sche Armee seit Tagen festge­setzt und versucht weiter, die Haupt­stadt auch von Westen her zu blockie­ren. Außer­dem gab es erneut im Nordos­ten des Landes Evaku­ie­rungs­ver­su­che, unter anderem aus der Stadt Sumy.

US-Präsi­dent Biden: Müssen Dritten Weltkrieg verhindern

Eine direk­te militä­ri­sche Konfron­ta­ti­on in der Ukrai­ne zwischen dem US-Militär und den russi­schen Streit­kräf­ten muss nach Ansicht von Präsi­dent Joe Biden verhin­dert werden, damit es nicht zu einem «dritten Weltkrieg» kommt. Das US-Militär und die Nato-Partner werden «jeden Zenti­me­ter» des Bündnis­ge­biets geeint und «mit voller Macht» vertei­di­gen, schrieb Biden bei Twitter. «Aber wir werden in der Ukrai­ne keinen Krieg mit Russland führen. Eine direk­te Konfron­ta­ti­on zwischen der Nato und Russland ist der dritte Weltkrieg — und etwas, das zu verhin­dern, wir uns bemühen müssen», schrieb der Demokrat. Die Ukrai­ne ist kein Nato-Mitglied.

Strom am ehema­li­gen AKW Tscher­no­byl läuft teils wieder

Am ehema­li­gen Atomkraft­werk Tscher­no­byl gelang es Techni­kern, einen Teil der Strom­lei­tun­gen zu reparie­ren. Das berich­te­te die Inter­na­tio­na­le Atomener­gie­be­hör­de (IAEA) in Wien am Freitag­abend unter Berufung auf den ukrai­ni­schen Betrei­ber. Die Strom­ver­sor­gung für die Kühlung von Brenn­ele­men­ten wurde am Mittwoch unter­bro­chen. Die IAEA sah aber kein Sicher­heits­pro­blem. Notstrom­ge­ne­ra­to­ren liefern dort Strom. Trotz der schwie­ri­gen Lage sei es gelun­gen, dafür mehr Diesel anzuliefern.

Das wird am Samstag wichtig

Bundes­au­ßen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock will sich im an die Ukrai­ne grenzen­den Moldau über die Lage der Kriegs­flücht­lin­ge infor­mie­ren. Sie wolle sich ein direk­tes Bild machen, um zu klären, wie Deutsch­land Moldau in dieser Ausnah­me­si­tua­ti­on noch umfas­sen­der unter­stüt­zen könne, sagte die Grünen-Politi­ke­rin vor dem Abflug. «Wir werden nicht zulas­sen, dass die von Russland verur­sach­ten Schock­wel­len auf weite­re Länder in Europa überschwappen.»