KIEW (dpa) — Ukrai­nes Präsi­dent Selen­skyj sagt eine weite­re Verschär­fung der Gefech­te voraus — und richtet seinen Blick auf ein wichti­ges Treffen in dieser Woche. Entwick­lun­gen im Ukraine-Krieg.

Die Kämpfe um das Verwal­tungs­zen­trum Sjewjer­odo­nezk im Osten der Ukrai­ne laufen mit unver­min­der­ter Härte weiter.

Russland habe den Artil­le­rie­ein­satz verstärkt und mehr Angriffs­trup­pen einge­setzt, um die Offen­si­ve im Donbass zu beleben, sagte der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj in der Nacht zu Montag. Doch die ukrai­ni­schen Vertei­di­ger hielten alle umkämpf­ten Punkte wie Sjewjer­odo­nezk, Lyssytschansk oder Awdijiwka.

Selen­skyj sprach von schwe­ren, aber auch geschichts­träch­ti­gen Tagen, die dem Land bevor­stün­den. «Morgen beginnt eine wahrlich histo­ri­sche Woche, wenn wir von der Europäi­schen Union die Antwort zum Kandi­da­ten­sta­tus der Ukrai­ne hören», sagte Selen­skyj. Eben wegen dieser Entschei­dung werde Russland aber seine «feind­li­chen Handlun­gen demons­tra­tiv verstär­ken» und dabei nicht nur die Ukrai­ne, sondern auch andere europäi­sche Länder ins Visier nehmen, warnte er.

Die EU-Kommis­si­on hatte am Freitag empfoh­len, der Ukrai­ne den Status eines Beitritts­kan­di­da­ten zu verlei­hen. Dem müssen aber noch alle 27 Mitglieds­staa­ten zustim­men. Die endgül­ti­ge Entschei­dung soll beim EU-Gipfel am 23./24. Juni fallen. EU-Kommis­si­ons­che­fin Ursula von der Leyen rechnet nach eigenen Worten fest damit, dass die Ukrai­ne den Kandi­da­ten­sta­tus bekom­men wird, wie sie am Sonntag­abend in der ARD-Talksen­dung «Anne Will» sagte.

Nach Einschät­zung der Militär­ex­per­ten des Insti­tu­te for the Study of the War (ISW) ist die russi­sche Offen­si­ve im Donbass ins Stocken geraten. Russlands Überle­gen­heit bei der Artil­le­rie­be­waff­nung reiche bislang nicht für die Einnah­me von Sjewjer­odo­nezk aus.

«Russlands konzen­trier­te Artil­le­rie­ka­pa­zi­tät gepaart mit wohl geschwäch­ten Infan­te­rie­ein­hei­ten bleibt unzurei­chend, um russi­sche Fortschrit­te in Sjewjer­odo­nezk zu erzie­len», urteil­te das ISW in seiner Analy­se. Moskau­er Truppen kämpf­ten weiter um die Kontrol­le der Stadt, hätten aber wenig Fortschrit­te gemacht.

Ukrai­ne räumt Verlust eines Vororts von Sjewjer­odo­nezk ein

Die ukrai­ni­schen Behör­den räumten aller­dings den Verlust der Ortschaft Metjol­ki­ne, südöst­lich des Verwal­tungs­zen­trums Sjewjer­odo­nezk im Osten des Landes ein. «Die Kontrol­le über Metjol­ki­ne nahe Sjewjer­odo­nezk ist verlo­ren», teilte der Militär­gou­ver­neur des ostukrai­ni­schen Gebiets Luhansk, Serhij Hajdaj, am Montag auf seinem Telegram-Kanal mit.

Das russi­sche Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um hatte bereits am Sonntag die Erobe­rung der an Sjewjer­odo­nezk angren­zen­den Ortschaft gemel­det. Der ukrai­ni­sche General­stab sprach zu dem Zeitpunkt noch von einem Teilerfolg der Russen. Laut Hajdaj haben die russi­schen Kräfte Artil­le­rie- und Luftan­grif­fe auf die Stadt selbst verstärkt, die das letzte Zentrum der ukrai­ni­schen Kräfte im Gebiet Luhansk auf der Ostsei­te des Flusses Siwers­kyj Donez darstellt.

Auch die Schwes­ter­stadt von Sjewjer­odo­nezk, Lyssytschansk, am Westufer des Flusses sei unter Beschuss geraten. Die Evaku­ie­rungs­maß­nah­men in der Stadt für Zivilis­ten liefen. Harte Kämpfe gibt es laut Hajdaj zudem um die Voror­te Tosch­kiw­ka und Ustyniw­ka, «weil die Orks dort einen Durch­bruch erzie­len wollen und zu diesem Zweck dort große Mengen an Militär­tech­nik konzen­triert haben», schrieb er. Ukrai­ni­sche Offizi­el­le verwen­den oft den abwer­ten­den Begriff «Orks» aus der Trilo­gie «Herr der Ringe» für die russi­schen Truppen.

Ukrai­ni­scher Außen­mi­nis­ter betont Kampfeswillen

Der ukrai­ni­sche Außen­mi­nis­ter Dmitro Kuleba beton­te den Kampfes­wil­len seines Volkes. Die Ukrai­ne würde auch im Falle eines Endes westli­cher Waffen­lie­fe­run­gen den Kampf gegen Russland weiter­füh­ren. «Wenn wir keine Waffen erhal­ten, in Ordnung, dann werden wir mit Schau­feln kämpfen, aber wir werden uns vertei­di­gen, denn dieser Krieg ist ein Krieg um unsere Existenz», sagte Kuleba auf Englisch in der ARD-Talksen­dung «Anne Will» am Sonntagabend.

«Je früher wir also Waffen erhal­ten, je früher sie gesen­det werden, desto größer ist die Hilfe für uns. Wenn Waffen später geschickt werden, werden wir nach wie vor «Danke» sagen, aber dann wird viel verspielt sein, viele Menschen werden gestor­ben sein.»

London: Schwä­chen russi­scher Luftwaffe

Die Schwie­rig­kei­ten Russlands bei seinem Vormarsch in der Ukrai­ne liegen nach Einschät­zung briti­scher Geheim­dienst­ex­per­ten auch an den Schwä­chen seiner Luftwaf­fe. Es sei sehr wahrschein­lich, dass diese einer der wichtigs­ten Fakto­ren hinter den sehr begrenz­ten russi­schen Erfol­gen seien, hieß es am Montag in einem Update des briti­schen Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums. Die Luftstreit­kräf­te hätten bisher bei ihren Manövern Risiken eher vermie­den und keine Luftho­heit erlan­gen können. Dies habe den Druck auf die russi­schen Boden­trup­pen erhöht, die mittler­wei­le zuneh­mend erschöpft seien.

Nach Einschät­zung der Briten verfü­gen die Russen zwar über kampf­fä­hi­ge Flugzeu­ge, sind aber nicht entspre­chend für moder­ne Luftwaf­fen­ein­sät­ze ausge­bil­det. Die russi­sche Ausbil­dung bei der Luftwaf­fe habe sich mutmaß­lich jahre­lang stärker darauf konzen­triert, hochran­gi­ge Militärs zu beein­dru­cken als dynami­sche Einsatz­sze­na­ri­en verschie­de­ner Truppen zu trainie­ren, hieß es.

Ein Verletz­ter bei erneu­tem Beschuss russi­scher Grenzregion

In der westrus­si­schen Region Brjansk an der Grenze zur Ukrai­ne ist ein Mann nach offizi­el­len Angaben durch Artil­le­rie­be­schuss verletzt worden. «Heute morgen wurde die Ortschaft Susem­ka durch die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te beschos­sen», teilte der Gouver­neur der Region Brjansk, Alexan­der Bogomas, in seinem Telegram-Kanal mit. Eine Person sei dabei «zu Schaden gekom­men», mehre­re «Objek­te» beschä­digt worden.

Bei dem Verletz­ten soll es sich um einen Mitar­bei­ter des örtli­chen Energie­ver­sor­gers handeln. Er erhielt demnach leich­te Hautver­let­zun­gen durch Split­ter. Beschä­digt wurden ein Einfa­mi­li­en- und zwei Mehrfa­mi­li­en­häu­ser. Darüber hinaus wurde die Strom­ver­sor­gung der Ortschaft teilwei­se lahmgelegt.

Das bringt der Tag

Der Krieg in der Ukrai­ne und die Unter­stüt­zung für das von Russland angegrif­fe­ne Land stehen im Mittel­punkt eines Gipfel­tref­fens und Wirtschafts­fo­rums der Staaten der sogenann­ten Drei-Meeres-Initia­ti­ve. Zu der 2015 von Polen und Kroati­en ins Leben gerufe­nen Gruppe gehören zwölf EU-Staaten in Mittel- und Osteu­ro­pa zwischen Ostsee, Adria und Schwar­zem Meer. Das zweitä­gi­ge Treffen, das am Montag (13.00 Uhr) beginnt, findet in der letti­schen Haupt­stadt Riga statt.

In Luxem­burg tagen derweil die EU-Außen­mi­nis­ter. Auch bei diesem Treffen soll es maßgeb­lich um die jüngs­ten Entwick­lun­gen in der Ukrai­ne gehen.