KEMPTEN (dpa) — Verletzt, abgema­gert, im eigenen Kot liegend: In den Kuhstäl­len eines Milch­vieh­hofs im Allgäu herrsch­ten monate­lang unhalt­ba­re Zustän­de. Drei Landwir­te sind deshalb nun zu Bewäh­rungs­stra­fen verur­teilt worden. Es ist nicht der einzi­ge Betrieb mit solchen Problemen.

Als Kontrol­leu­re im Oktober 2019 nach einer anony­men Anzei­ge einen Milch­vieh­hof im Allgäu besuch­ten, war die Situa­ti­on dort schon sicht­bar außer Kontrol­le geraten. Auf dem Famili­en­be­trieb fanden Amtstier­ärz­te überfüll­te Ställe, abgema­ger­te Kühe, entzün­de­te Klauen mit vergam­mel­ten Verbän­den und Rinder, die im Kot lagen. Doch trotz Not-Tötun­gen mehre­rer Tiere, klarer Vorga­ben für die Betrei­ber und weite­rer Kontrol­len änder­te sich monate­lang kaum etwas.

Die drei verant­wort­li­chen Landwir­te des Hofs im Landkreis Oberall­gäu, ein Ehepaar und dessen erwach­se­ner Sohn, sind am Diens­tag wegen Verstö­ßen gegen das Tierschutz­ge­setz in mehr als 100 Einzel­fäl­len zu Bewäh­rungs­stra­fen zwischen einem Jahr und drei Monaten und einem Jahr und acht Monaten verur­teilt worden. Das Urteil ist rechtskräftig.

Das Landge­richt Kempten sah es als erwie­sen an, dass die Angeklag­ten mindes­tens 43 Rinder zwischen Oktober 2019 und März 2020 sträf­lich vernach­läs­sigt hatten — und das, obwohl «aus unserer Sicht schon nach der ersten Kontrol­le klar war, dass es nicht mehr weiter­geht», wie Vorsit­zen­der Richter Chris­toph Schwie­b­a­cher in Richtung der Angeklag­ten sagte. «Bei den Kontrol­len hat man Ihnen ganz klipp und klar gesagt, was zu tun ist. Sie haben mit Desin­ter­es­se reagiert.»

Der Hof war als einer von mehre­ren Betrie­ben im Zuge des Allgäu­er Tierschutz­skan­dals zwischen Juli 2019 und Januar 2020 wegen teils massi­ven Tierschutz­ver­stö­ßen in die Schlag­zei­len geraten. Auslö­ser waren Video­auf­nah­men im Sommer 2019, die aus einem Großbe­trieb im Landkreis Unter­all­gäu stammen sollen. Der Prozess in diesem Fall am Landge­richt Memmin­gen steht bislang noch aus.

Auf dem Oberall­gäu­er Milch­vieh­hof hatte die Misere nach Auffas­sung des Gerichts mit der Entschei­dung begon­nen, den Betrieb deutlich zu vergrö­ßern — von etwa 180 auf fast 600 Tiere. Der 71 Jahre alte Vater hatte dazu vor Gericht erklä­ren lassen, er habe gewollt, dass sein Sohn von dem Hof leben könne, ohne neben­her noch an anderer Stelle arbei­ten zu müssen — so wie er es selbst jahre­lang tun musste. Schon mit diesem Schritt sei die Familie aber «perso­nell, finan­zi­ell und organi­sa­to­risch überfor­dert» gewesen, sagte Schwiebacher.

Darüber hinaus wurde der 43 Jahre alte Sohn im Mai 2019 bei einem Autoun­fall schwer verletzt. Er lag zunächst im Koma, wurde monate­lang statio­när behan­delt — und blieb bis Novem­ber berufs­un­fä­hig. «Da ist es richtig abwärts gegan­gen», sagte Richter Schwie­b­a­cher. Die Eltern waren mit dem Großbe­trieb überfor­dert, ein Milch-Abnah­me­stopp verschärf­te den Geldman­gel — und die Rinder wurden immer schlech­ter versorgt. «Diesen Tieren ging es richtig schlecht», sagte Schwie­b­a­cher. Einige hätten «ganz bruta­le Schmer­zen» gelit­ten. Dennoch beantrag­te der Betrieb erst im Januar 2020 die Insolvenz.

Schick­sals­schlä­ge wie diese hätten gerade auf Famili­en­be­trie­be in vielen Fällen «massi­ve Konse­quen­zen», sagte der Sprecher des Bayeri­schen Bauern­ver­bands, Markus Drexler. Denn auch wenn dadurch plötz­lich eine wichti­ge Arbeits­kraft ausfällt, könnten sich Tierhal­ter «eben nicht eine «Auszeit» nehmen», um den Vorfall zu verar­bei­ten, sagte Drexler. «Die Tiere müssen Tag für Tag versorgt und auf einem Milch­vieh­be­trieb natür­lich auch gemol­ken werden.»

Für solche Situa­tio­nen gebe es zwar Hilfs­an­ge­bo­te, beton­te Drexler. Die müssten aber auch angenom­men werden: «Es gibt eben leider auch Menschen — und das ist weder spezi­fisch für Bayern noch für landwirt­schaft­li­che Betrie­be — die sich in solchen Situa­tio­nen zurück­zie­hen und ihr Hilfs­be­dürf­nis nicht aktiv artiku­lie­ren bezie­hungs­wei­se auch Hilfe nicht anneh­men, wenn sie angebo­ten wird, und dadurch dann in eine Abwärts­spi­ra­le geraten.»

Das Kempte­ner Landge­richt beurteil­te die Situa­ti­on auf dem Hof ähnlich. «Das sind keine Schwer­ver­bre­cher, die aktiv Tiere gequält haben», sagte Richter Schwie­b­a­cher. Zudem sei es unwahr­schein­lich, dass die Angeklag­ten noch einmal Tierleid verur­sa­chen würden: «Es gibt ein Tierhal­te­ver­bot und wir gehen nicht davon aus, dass eine solche Tätig­keit noch einmal aufge­nom­men wird.»

Vater, Mutter und Sohn seien zudem schon durch die Auswir­kun­gen ihres Handelns bestraft worden, beton­te Schwie­b­a­cher. «Ihre ganze Existenz ist den Bach runter­ge­gan­gen.» Sie seien in ihrer Heimat sozial geäch­tet und im Inter­net angefein­det worden, hätten ihren Hof verlo­ren und dürften ihrem Beruf teils lebens­lang nicht mehr nachge­hen. Neben den Prozess­kos­ten müssen sie zudem insge­samt 7800 Euro an gemein­nüt­zi­ge Organi­sa­tio­nen zahlen, zum Beispiel an den Deutschen Tierschutzbund.

Von Frede­rick Mersi, dpa