BERLIN (dpa) — In einigen Regio­nen Deutsch­lands wird es eng. Andern­orts steht noch mehr Wohnraum zur Verfü­gung, um Kriegs­flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne und Asylbe­wer­ber aus anderen Staaten unterzubringen.

Nach der Aufhe­bung vieler Corona-beding­ter Reise­be­schrän­kun­gen kommen wieder mehr Asylbe­wer­ber nach Deutsch­land. In Städten wie Dortmund, Bonn oder Berlin, in denen seit dem Frühjahr beson­ders viele Kriegs­flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne Zuflucht gesucht haben, sorgt das inzwi­schen für Schwie­rig­kei­ten bei der Unter­brin­gung, wie eine Umfra­ge der Deutschen Presse-Agentur zeigt.

Nach Auskunft des Bundes­in­nen­mi­nis­te­ri­ums wurden beim Bundes­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (Bamf) in den ersten sieben Monaten dieses Jahres 113.171 Asylan­trä­ge gestellt, rund 17 Prozent mehr als im Vorjah­res­zeit­raum. Zieht man die Folge­an­trä­ge ab, bleiben 98 395 Anträ­ge von Schutz­su­chen­den, die erstma­lig beim Bamf vorstel­lig wurden. Das ist deutlich weniger als in der sogenann­ten Flücht­lings­kri­se von 2015/2016.

Viele Frauen und Kinder aus der Ukraine

Hinzu kommen jedoch die Kriegs­flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne, die auch unter­ge­bracht werden müssen. Da zu dieser Gruppe viele Frauen mit Kindern zählen, müssen sich die Kommu­nen auch um Schul­plät­ze kümmern. Am 26. August waren im Auslän­der­zen­tral­re­gis­ter knapp 985.000 Menschen erfasst, die wegen des Krieges in der Ukrai­ne nach Deutsch­land einge­reist sind. Ein Teil von ihnen dürfte bereits wieder ausge­reist sein. Auch lassen sich nicht alle Ukrai­ne-Flücht­lin­ge sofort regis­trie­ren, so dass die Zahl nur bedingt aussa­ge­kräf­tig ist.

«In Bayern sind die Asylun­ter­künf­te sehr hoch ausge­las­tet», teilt das bayeri­sche Innen­mi­nis­te­ri­um mit. «Nach wie vor sind viele aus der Ukrai­ne Geflüch­te­te mangels Alter­na­ti­ven in Hotels unter­ge­bracht», heißt es aus Bonn. Ein Sprecher des Migra­ti­ons­mi­nis­te­ri­ums von Baden-Württem­berg berich­tet, in den Erstauf­nah­me­ein­rich­tun­gen des Landes sei trotz eines Ausbaus der Kapazi­tä­ten bereits «Wochen vor der erfah­rungs­ge­mäß zugangs­star­ken Herbst­sai­son die Kapazi­täts­gren­ze erreicht». In Branden­burg werden aktuell zwei Notun­ter­künf­te betrie­ben. Berlin sucht nach mehr Unter­brin­gungs­mög­lich­kei­ten, auch in Hostels. Geprüft wird in der Haupt­stadt auch die «Nachver­dich­tung» bestehen­der Unter­künf­te. In dem Fall würde es dann dort enger.

Wer als Kriegs­flücht­ling aus der Ukrai­ne einge­reist ist, könnte zwar — anders als neu angekom­me­ne Asylbe­wer­ber — eine eigene Wohnung anmie­ten. Doch das gelingt nicht immer. In Bayern sind noch etliche von ihnen in Asylun­ter­künf­ten unter­ge­bracht. Im Südwes­ten gehen Städte und Landkrei­se dazu über, kurzfris­tig weite­re Hallen, darun­ter auch Sport­hal­len, als Notun­ter­künf­te zu belegen. Auch Contai­ner-Lösun­gen schließt man nicht aus. Engpäs­se gibt es wegen Liefer­pro­ble­men auch bei der Ausstat­tung der Unter­künf­te. Das betrifft unter anderem Betten und Kühlschränke.

Situa­ti­on in Hessen ist angespannt

Die acht Stand­or­te der hessi­schen Erstauf­nah­me für Flücht­lin­ge sind aktuell zu rund 70 Prozent ausge­las­tet. «Die Situa­ti­on ist angespannt aber beherrsch­bar», teilt ein Sprecher des Regie­rungs­prä­si­di­ums Gießen mit. Das Ankunfts­zen­trum in Gießen, wo die Flücht­lin­ge regis­triert werden, sei mit 93 Prozent beson­ders stark ausge­las­tet. In der letzten August­wo­che kamen im Durch­schnitt rund 150 Menschen pro Tag in der Erstauf­nah­me­ein­rich­tung an. Davon stamm­ten die meisten aus der Ukrai­ne, Afgha­ni­stan, Syrien, der Türkei und aus dem Irak.

Unter den 3930 Menschen, die Ende August in den Aufnah­me­ein­rich­tun­gen für Asylbe­geh­ren­de von Rhein­land-Pfalz unter­ge­bracht waren, waren 162 Kriegs­flücht­lin­ge aus der Ukraine.

Länder wie Sachsen-Anhalt wünschen sich mehr Unter­stüt­zung vom Bund. Das Bundes­in­nen­mi­nis­te­ri­um verweist darauf, dass der Bund den Ländern seit Beginn des russi­schen Angriffs­krie­ges in der Ukrai­ne eigene Liegen­schaf­ten mietzins­frei zur Flücht­lings­un­ter­brin­gung überlas­sen habe. In Biele­feld hat das nach Auskunft der Stadt­ver­wal­tung zur Entspan­nung der Situa­ti­on beigetragen.

Vertei­lungs-Kritik in NRW und Niedersachsen

Die Städte in Nordrhein-Westfa­len hatten sich bei der Landes­re­gie­rung unlängst über die ihrer Ansicht nach falsch organi­sier­te Vertei­lung beschwert. Der Vorwurf: Bei der Zuwei­sung von Asylbe­wer­bern werde die Zahl der aufge­nom­me­nen Ukrai­ne-Flücht­lin­ge nicht ausrei­chend berück­sich­tigt. Immer­hin habe die Landes­re­gie­rung auf entspre­chen­de Kritik des Städte­tags inzwi­schen mit einer Übergangs­lö­sung reagiert und eine Sonder­ab­fra­ge angesto­ßen, um eine besse­re Daten­ba­sis zu erhal­ten, heißt es nun aus Dortmund. Derzeit befän­den sich rund 9000 Geflüch­te­te mehr in der Stadt als bei einer gleich­mä­ßi­gen Vertei­lung inner­halb von NRW richtig wäre.

Die Landes­re­gie­rung in Düssel­dorf drohte am Mittwoch mit einem Aufnah­me­stopp. In einen Brief an das Bundes­in­nen­mi­nis­te­ri­um verwies der Staats­se­kre­tär im NRW-Flücht­lings­mi­nis­te­ri­um darauf, dass sich die Lage in Nordrhein-Westfa­len in den vergan­ge­nen Tagen zugespitzt habe. Grund dafür sei vor allem, «dass sich einige Länder trotz bestehen­der Unter­quo­te für eine Aufnah­me von Geflüch­te­ten aus der Ukrai­ne haben sperren lassen und Geflüch­te­te nach Nordrhein-Westfa­len weiter­ge­schickt werden». Zuvor hatte «Business Insider» berichtet.

Nieder­sach­sen hatte Ende August verspro­chen, ab Septem­ber für eine besse­re Vertei­lung inner­halb des Landes zu sorgen. Zur Entlas­tung der Kommu­nen werde es darüber hinaus seine Kapazi­tä­ten zur Erstauf­nah­me aufsto­cken. «Wir stehen aktuell davor, weite­re Liegen­schaf­ten und Kapazi­tä­ten im Land für die Erstauf­nah­me bereit­zu­stel­len», sagte Innen­mi­nis­ter Boris Pisto­ri­us (SPD).

Entspan­nung der Lage ist nicht zu erwarten

Geflüch­te­te aus der Ukrai­ne erhal­ten zwar seit dem 1. Juni keine Versor­gung mehr nach dem Asylbe­wer­ber­leis­tungs­ge­setz, sondern Leistun­gen der Grund­si­che­rung (Hartz IV). Wohnraum brauchen sie aber genau­so wie Asylbe­wer­ber. Zumal manche Gastge­ber, die Ukrai­ne­rin­nen in ihren Haushalt aufge­nom­men hatten, das Zimmer oder die Couch irgend­wann auch wieder selbst nutzen wollen. Eine Entspan­nung der Lage ist kurzfris­tig nicht zu erwar­ten, obwohl es viele Menschen aus der Ukrai­ne trotz der Gefah­ren zurück in die Heimat zieht.

Die Bundes­po­li­zei hat in diesem Jahr bis Ende Juli an den deutschen Grenzen rund 36.000 unerlaub­te Einrei­sen festge­stellt. «Der aufstei­gen­de Trend ist auch in den europäi­schen Nachbar­staa­ten festge­stellt», sagt eine Spreche­rin des Bundes­in­nen­mi­nis­te­ri­ums. Die irregu­lä­re Migra­ti­on laufe vor allem über die Balkan­re­gi­on. Die Menschen überque­ren dann die Landgren­zen von Öster­reich und Tsche­chi­en nach Deutschland.
Ein weite­rer Schwer­punkt seien Einrei­sen aus Griechen­land auf dem Luftweg.

Im Juni hat sich Deutsch­land zudem bereit erklärt, als Beitrag zu einem zunächst auf ein Jahr angeleg­ten freiwil­li­gen EU-Solida­ri­täts­me­cha­nis­mus zur Entlas­tung von südli­chen Außen­grenz­staa­ten wie Itali­en 3500 Asylsu­chen­de zu überneh­men. Dabei geht es vor allem um Menschen, die von priva­ten Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen aus Seenot geret­tet wurden. Es sei beabsich­tigt, das Ende August begon­ne­ne Verfah­ren zur Umver­tei­lung von Asylsu­chen­den aus Itali­en vor Ort noch diese Woche abzuschlie­ßen, teilte eine Spreche­rin des Bundes­in­nen­mi­nis­te­ri­ums mit. Mit den ersten Überstel­lun­gen nach Deutsch­land sei voraus­sicht­lich Ende Septem­ber zu rechnen.

Lage in Afgha­ni­stan hat sich verschlechtert

Dass die von SPD, Grünen und FDP in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag angekün­dig­te «Rückfüh­rungs­of­fen­si­ve» nicht so recht voran­kommt, wird von Innen­po­li­ti­kern aus CDU und CSU gerne als ein Grund für die aktuel­le Situa­ti­on angeführt. Im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden rund 6200 Auslän­der aus Deutsch­land abgescho­ben — deutlich weniger als vor Beginn der Corona-Pande­mie. Haupt­ziel­län­der waren Albani­en, Nordma­ze­do­ni­en und Georgi­en. Abschie­bung ist jedoch in erster Linie Länder­sa­che. Ein weite­rer Faktor: Die Lage in Afgha­ni­stan — einem der Haupt­her­kunfts­län­der von Asylbe­wer­bern — hat sich seit der Macht­über­nah­me der Taliban erheb­lich verschlechtert.

Von Anne-Beatri­ce Clasmann, dpa