Ruth Bader Ginsburg war eine Justiz-Ikone — und eine Basti­on der Libera­len im Obers­ten Gericht der USA. Ihr Tod wenige Wochen vor der US-Präsi­den­ten­wahl könnte US-Präsi­dent Trump die Möglich­keit bieten, zum dritten Mal einen Richter­platz im Supre­me Court zu besetzen.

Sollten die Republi­ka­ner von Präsi­dent Donald Trump den freige­wor­de­nen Posten neu beset­zen, würde das die konser­va­ti­ve Mehrheit im Supre­me Court zemen­tie­ren. Das Obers­te Gericht hat in den USA oft das letzte Wort bei umstrit­te­nen Grund­satz­fra­gen zu Streit­the­men wie Abtrei­bung, Einwan­de­rung, Waffen­recht und Diskriminierung.

US-Präsi­dent Donald Trump hat deutlich gemacht, dass er die Stelle noch in seiner auslau­fen­den Amtszeit neu beset­zen möchte. Er appel­lier­te am Samstag an die Republi­ka­ner, schnell dafür zu sorgen. Zugleich ging Trump aber nicht so weit, anzukün­di­gen, dass er einen Kandi­da­ten nominie­ren werde.

Die Richter am Obers­ten Gericht der USA werden vom Präsi­den­ten vorge­schla­gen und vom Senat bestä­tigt. Die Republi­ka­ner haben in der Kammer die Mehrheit von 53 der 100 Stimmen. Aller­dings ist alles andere als sicher, dass genug republi­ka­ni­sche Senato­ren die Nachbe­set­zung vor der nächs­ten Präsi­den­ten-Amtszeit unter­stüt­zen werden. Das könnte erklä­ren, warum Trump sich zunächst an die Republi­ka­ner wandte, statt direkt zu sagen, ob er eine Nominie­rung voran­trei­ben werde. Trumps Amtszeit läuft noch bis zum 20. Januar, am 3. Novem­ber findet die Präsi­dent­schafts­wahl statt.

«Wir wurden in die Positi­on der Macht gebracht, um Entschei­dun­gen für die Menschen zu treffen, die uns gewählt haben», schrieb Trump am Samstag auf Twitter an die Adres­se der Republi­ka­ner. Die wichtigs­te Aufga­be davon sei es, Richter des Supre­me Court zu ernen­nen. «Wir haben diese Verpflich­tung, ohne Aufschub!»

Die links­li­be­ra­le Juris­tin Ginsburg starb am Freitag im Alter von 87 Jahren an den Folgen einer Krebs­er­kran­kung. Trump äußer­te sich zunächst nicht dazu, ob er noch in seiner aktuel­len Amtszeit, die bis zum 20. Januar läuft, oder gar vor der Präsi­dent­schafts­wahl am 3. Novem­ber dem Senat einen Nachfol­ge­kan­di­da­ten oder ‑kandi­da­tin vorschla­gen werde. Im August hatte er in einem Radio­in­ter­view noch gesagt, er werde «ganz sicher» die Gelegen­heit dazu ergrei­fen, falls sie sich ihm biete.

Von den neun Richtern des Supre­me Courts, der oft mit knapper Mehrheit entlang ideolo­gi­scher Linien entschei­det, werden nun noch drei klar dem libera­len Lager zugerech­net. Ginsburg galt als promi­nen­tes­te Vertre­te­rin des libera­len Flügels.

SCHLÜSSELROLLE FÜR DIE US-GESELLSCHAFT

In den kommen­den Jahren könnten es vor dem Obers­ten Gericht unter anderem um das Recht auf Abtrei­bun­gen gehen, das viele Konser­va­ti­ve schon seit Jahren kippen wollen. Auch die Gesund­heits­re­form von Präsi­dent Barack Obama wird wieder vor dem Supre­me Court landen.

Die Richter werden auf Lebens­zeit ernannt. Damit könnte ein weite­rer konser­va­ti­ver Richter die Balan­ce auf Jahrzehn­te festi­gen. Zugleich könnte schon beim aktuel­len Supre­me Court mit acht Richtern in den kommen­den Monaten ein Streit um die Ergeb­nis­se der Präsi­den­ten­wahl landen.

Trump ernann­te während seiner Amtszeit bislang die konser­va­ti­ven Verfas­sungs­rich­ter Neil Gorsuch und Brett Kavan­augh. Insbe­son­de­re die Berufung Kavan­aughs war wegen Vorwür­fen sexuel­ler Übergrif­fe in den 1980er Jahren heftig umstritten.

TAUZIEHEN UM NACHFOLGE

Die Republi­ka­ner im Senat erklär­ten sich ungeach­tet der anfäng­li­chen Zurück­hal­tung Trumps umgehend bereit, über einen Nachfol­ge­kan­di­da­ten zu entschei­den. «Der von Präsi­dent Trump nominier­te Kandi­dat wird eine Abstim­mung im Senat der Verei­nig­ten Staaten bekom­men», teilte Mehrheits­füh­rer Mitch McCon­nell wenige Stunden nach Ginsburgs Tod mit. Die Republi­ka­ner halten im Senat eine Mehrheit von 53 der 100 Sitze. Einige republi­ka­ni­sche Senato­ren wie Mitt Romney und Lisa Murkow­ski gelten dabei als mögli­che Abweichler.

Die Demokra­ten forder­ten dagegen mit Nachdruck, die Nachfol­ge Ginsburgs erst in der nächs­ten Präsi­den­ten-Amtszeit zu regeln. «Ohne Zweifel sollten die Wähler den Präsi­den­ten aussu­chen, und der Präsi­dent sollte den Richter dem Senat vorschla­gen», sagte Trumps Heraus­for­de­rer Joe Biden. Die Präsi­den­ten­wahl ist am 3. Novem­ber, die Verei­di­gung des Siegers am 20. Januar 2021.

VOLTE DER REPUBLIKANER

McCon­nell musste dabei zu einiger argumen­ta­ti­ver Akroba­tik greifen. Im Jahr 2016 hatten die Republi­ka­ner unter seiner Führung einen vom damali­gen demokra­ti­schen Präsi­den­ten Barack Obama nominier­ten Supre­me-Court-Kandi­da­ten im Senat blockiert — auch unter Hinweis auf die anste­hen­de Präsi­den­ten­wahl. Mit Blick darauf rief nun der demokra­ti­sche Minder­heits­füh­rer im Senat, Chuck Schumer, die Republi­ka­ner auf, erst unter dem nächs­ten Präsi­den­ten über die Nachbe­set­zung zu entschei­den. Er wieder­hol­te dabei exakt McCon­nells Worte von 2016. McCon­nell argumen­tier­te, anders als damals gehör­ten der Präsi­dent und die Mehrheit der Senato­ren diesmal einer Partei an.

JUSTIZIDOL DER BÜRGERRECHTSBEWEGUNG

Mit ihrem jahrzehn­te­lan­gen Kampf für die Gleich­be­rech­ti­gung der Frauen, für Minder­hei­ten und gegen Diskri­mi­nie­rung wurde Ginsburg zu einer Justiz-Ikone und einem Idol der Bürger­rechts­be­we­gung. Bereits in den 1970er Jahren war sie als Juris­tin vor dem Obers­ten Gericht erfolg­reich gegen Regeln vorge­gan­gen, die Frauen diskri­mi­nier­ten. Zu den wichtigs­ten Folgen gehört, dass sich im Supre­me Court die Lesart durch­setz­te, dass der 14. Zusatz­ar­ti­kel zur US-Verfas­sung auch die Gleich­be­rech­ti­gung der Frauen schützt. Auf dieser Basis konnte Diskri­mi­nie­rung von Frauen als verfas­sungs­wid­rig angepran­gert werden.

Ginsburg war 1993 vom damali­gen demokra­ti­schen Präsi­den­ten Bill Clinton für den Supre­me Court nominiert worden — und wurde in der Folge zum wohl bekann­tes­ten Gesicht der neunköp­fi­gen Richter­rie­ge. Die damals 60-Jähri­ge war die zweite Frau überhaupt an dem Gericht. Auch in ihrer Studi­en­zeit war sie eine der wenigen Frauen in einer Männerdomäne.

BRILLANTE JURISTIN IM KAMPF GEGEN KREBS

Einen Namen machte sich Ginsburg nicht zuletzt mit ihrer schar­fen Argumen­ta­ti­ons­wei­se. Ihr Leben und Wirken ist Gegen­stand mehre­rer Filme und Bücher. Gerade viele Libera­le feiern sie als Ikone. Ihr Gesicht findet sich auf Souve­nirs und als Graffi­ti an Hausfassaden.

Ginsburg hatte sich im August 2019 wegen eines bösar­ti­gen Tumors in der Bauch­spei­chel­drü­se einer Strah­len­the­ra­pie unter­zie­hen müssen. Bereits im Jahr davor war sie an der Lunge operiert worden, nachdem Ärzte zwei bösar­ti­ge Knoten gefun­den hatten. Nach mehre­ren Kranken­haus­auf­ent­hal­ten teilte sie im Juli 2020 mit, dass sie erneut an Krebs erkrankt sei und sich einer Chemo­the­ra­pie unterziehe.

Ihren Posten am Supre­me Court wollte sie deshalb nicht aufge­ben: «Ich habe oft gesagt, dass ich Mitglied des Gerichts bleiben werde, solan­ge ich die Arbeit mit voller Kraft erledi­gen kann», hatte sie bei Bekannt­ga­be der Erkran­kung erklärt.

TRAUER IN WASHINGTON

Unmit­tel­bar nach Bekannt­wer­den von Ginsburgs Tod versam­mel­ten sich vor dem Gericht in Washing­ton Hunder­te Trauern­de. Trump würdig­te Ginsburg als «Titanin des Rechts» und ordne­te an, dass Flaggen auf dem Weißen Haus und staat­li­chen Gebäu­den für einen Tag auf halbmast gesetzt werden.