WASHINGTON (dpa) — Monate­lang deutet Biden seine Wieder­wahl-Ambitio­nen an, nun ist es offizi­ell. Auf dem Papier hat er einiges vorzu­wei­sen. Doch das größte Problem bleibt sein Alter. Umfra­gen zeigen: Die Ameri­ka­ner sind skeptisch.

Es geht nicht ohne Pathos. Es gehe um die Freiheit jedes Einzel­nen, um Demokra­tie, um Grund­wer­te, um die «Seele der Nation», sagt Joe Biden, als er am Diens­tag verkün­det, dass er noch mal für eine zweite Amtszeit antritt.

Mit einer Botschaft auf Twitter und einem dreimi­nü­ti­gen Video steigt der 80-Jähri­ge offizi­ell ins Präsi­dent­schafts­ren­nen für die Wahl im kommen­den Jahr ein.

Bidens Botschaft

In dem Clip zeich­net Biden ein Bild von Ameri­ka in zwei Versio­nen. Da wäre das freund­li­che, gerech­te Ameri­ka mit einem lächeln­den Biden, der Hände schüt­telt, Menschen umarmt, mit Arbei­tern schwatzt, mit Kindern scherzt. Daneben — nach Bidens Lesart — ein düste­res, unsozia­les Ameri­ka mit extre­men Republi­ka­nern wie Donald Trump, Ron DeSan­tis oder Marjo­rie Taylor Greene, in dem Randa­lie­rer den Kongress stürmen und Radika­le den Frauen das Recht auf Abtrei­bung nehmen. Bidens Botschaft: Ihr habt die Wahl — die oder ich.

Mit der morgend­li­chen Twitter-Nachricht macht Biden offizi­ell, was er seit Monaten angedeu­tet hat. Der Termin für die Verkün­dung ist nicht zufäl­lig gewählt: Auf den Tag genau vor vier Jahren machte er seine vorhe­ri­ge Präsi­dent­schafts­be­wer­bung öffent­lich — wie jetzt: mit einer Video-Botschaft auf Twitter am frühen Morgen. Damals war Trump noch Präsi­dent, das Land in chaoti­schem Zustand, und Bidens Botschaft simpel: Es geht hier um alles, und ich bin der richti­ge Mann dafür. Biden argumen­tier­te damals, das Land würde noch mal vier Jahre Trump nicht überste­hen. Die USA seien im «Kampf um die Seele der Nation».

«Und das sind wir immer noch», sagt er nun. «Dies ist nicht die Zeit, um selbst­ge­fäl­lig zu sein.» Es stehe weiter viel auf dem Spiel. Nun ist Biden seit gut zwei Jahren selbst an der Macht. Einiges habe sich seitdem gebes­sert, doch radika­le Republi­ka­ner wollten vieles zurück­dre­hen, warnt er. Seine Kern-Botschaft ist deshalb: «Let’s finish the job.» Lasst uns die Arbeit zu Ende bringen.

Das Problem mit dem Alter

Während es bei vielen Vorgän­gern Standard war, dass sie sich um eine Wieder­wahl bewer­ben, war genau das bei Biden lange fraglich. Denn der Demokrat zog 2021 bereits als ältes­ter Präsi­dent aller Zeiten ins Weiße Haus ein. Bei der Wahl Anfang Novem­ber 2024 wird Biden 81 sein, beim Start in eine zweite Amtszeit wäre er 82, am Ende dann 86. Ist ein sieben­fa­cher Großva­ter in dem Alter der richti­ge Mann, um einen der härtes­ten Jobs der Welt zu machen? Einige haben daran Zweifel.

Erst am Wochen­en­de veröf­fent­lich­te der Fernseh­sen­der NBC eine für Biden wenig schmei­chel­haf­te Umfra­ge. Demnach sind 70 Prozent der Ameri­ka­ner der Meinung, Biden sollte nicht noch mal als Präsi­dent antre­ten. Etwa die Hälfte der befrag­ten Biden-Skepti­ker gab dabei an, sein Alter sei ein wesent­li­cher Grund für ihre Zurückhaltung.

Auch bei den Demokra­ten wurde Bidens Alter in den vergan­ge­nen Monaten wild disku­tiert, vor allem hinter den Kulis­sen, aber auch öffent­lich. Der demokra­ti­sche Abgeord­ne­te David Trone formu­lier­te es so: «Ich wünsch­te, er wäre 30 Jahre jünger, 20 Jahre jünger, 10 Jahre jünger. Aber es ist, wie es ist.» Begeis­te­rung klingt anders.

Statt Enthu­si­as­mus oder Aufbruchs­stim­mung herrscht bei vielen Demokra­ten eher zurück­hal­ten­de bis wider­wil­li­ge Akzep­tanz für Biden als erneu­ten Spitzen­mann. Gemischt mit dem Eindruck, dass die Partei ansons­ten nieman­den aufzu­bie­ten hat, der noch mal Trump verhin­dern könnte — oder einen wie Trump, Flori­das Gouver­neur DeSan­tis etwa.

Wo Biden punktet

Biden bringt viel politi­sche Erfah­rung mit, er verspricht Stabi­li­tät und Mäßigung, fernab von jedem Extrem. Einige sahen Biden aber eher als Übergangs­prä­si­den­ten, der nach vier Jahren Trump wieder Ruhe reinbrin­gen würde ins Land — und der dann abgibt an jemand Jünge­ren. Biden selbst bezeich­ne­te sich im Wahlkampf 2020 mal als «Brücke» für die nächs­te Genera­ti­on. Doch er lässt nicht los. Auch weil keine Nachfol­ge auf der Hand liegt. Vizeprä­si­den­tin Kamala Harris, die eine natür­li­che Nachfol­ge­rin wäre, machte eine weit schwä­che­re Figur als erwar­tet. Biden hat sich dennoch auf Harris festge­legt als Vize für seine Wieder­wahl-Kampa­gne, weil sie als Frau und Schwar­ze wichti­ge Wähler­grup­pen abdeckt. Das Problem: Beim ältes­ten Präsi­den­ten der US-Geschich­te richtet sich der Blick mehr denn je auf den Stell­ver­tre­ter — für den Fall, dass der Chef ausfällt.

Politisch liefer­te Biden in den vergan­ge­nen zwei Jahren einiges ab: Trotz hauch­dün­ner Mehrhei­ten im Kongress setzte er mehre­re milli­ar­den­schwe­re Inves­ti­ti­ons­pa­ke­te durch. Und bei der Kongress­wahl im vergan­ge­nen Novem­ber schnit­ten seine Demokra­ten überra­schend gut ab. Das gab Biden einen Schub und stärk­te seine Position.

Auch inter­na­tio­nal konnte Biden teils punkten, etwa mit Blick auf den Ukrai­ne-Krieg. Die USA nahmen unter ihm die alte Führungs­rol­le bei der Koordi­nie­rung der Krise ein. Biden insze­nier­te sich als Vorkämp­fer der Demokra­tie, als der Vertei­di­ger der freien Welt. Und mit einem bildstar­ken Blitz­be­such in Kiew im Herzen des Kriegs­lan­des im Febru­ar ließ er jene Kriti­ker verstum­men, die anzwei­fel­ten, ob ein älterer Herr wie er noch das Zeug zu Krisen­ein­sät­zen dieser Art habe.

Bidens Angriffs­flä­che

Doch es gibt auch die anderen Momen­te. Der mächtigs­te Mann der Welt verhas­pelt sich regel­mä­ßig bei Auftrit­ten, sucht nach Wörtern, vertauscht Zahlen, verwech­selt mal Orte, mal Perso­nen. Patzer passie­ren jedem, doch bei Biden häuft es sich — nicht nur, weil er seit seiner Kindheit ein Stotter­pro­blem hat und kompli­zier­te Wörter manch­mal schlicht nicht über die Lippen bringt. Auch inhalt­lich muss das Weiße Haus öfter Aussa­gen des Chefs nachträg­lich einfan­gen. Und stürzt er auf der Treppe zum Flugzeug, hält die Welt stets kurz den Atem an. Seinen Gegnern bietet all das viel Angriffsfläche.

Republi­ka­ner schlach­ten schon jetzt jeden Fehltritt Bidens für ihren Wahlkampf aus. Das dürfte nur zuneh­men, je älter Biden wird. Trump nennt Biden seit jeher «Sleepy Joe», den «Schläf­ri­gen Joe», obwohl er selbst 76 ist und sich Häme bei dem Thema eigent­lich kaum erlau­ben kann. DeSan­tis (44) dagegen ist 36 Jahre jünger als Biden und hat schon einen Vorge­schmack darauf gegeben, wie er das Alter seines poten­zi­el­len Kontra­hen­ten im Wahlkampf angehen könnte.

Trump hat schon im Novem­ber verkün­det, dass er 2024 noch mal antritt. DeSan­tis lässt mit einer Ansage noch auf sich warten. Die beiden gelten als chancen­reichs­te Anwär­ter in einem mutmaß­lich großen republi­ka­ni­schen Bewer­ber­feld — und bislang führt Trump das Feld an. Ameri­ka könnte es also durch­aus mit einem Re-Match zwischen Biden und Trump zu tun bekom­men: wieder ein Wahlkampf von zwei weißen alten Männern also. Die Begeis­te­rung darüber hält sich in Umfra­gen ebenfalls sehr in Grenzen. Für beide dürfte es nicht leicht werden, im Wahlkampf echten Schwung im Land zu entzünden.

Von Chris­tia­ne Jacke, dpa