BERLIN (dpa) — Blutdruck­sen­ker, Magen­säu­re­blo­cker und Schmerz­mit­tel: Manche Medika­men­te sind immer wieder vorüber­ge­hend nicht verfüg­bar. Das macht Apothe­ken Arbeit und zwingt Ärzte zu Alter­na­ti­ven. Auch die Pande­mie sorgte zeitwei­lig für Turbulenzen.

Den Apothe­ken und Hausärz­ten machen weiter Liefer­eng­päs­se bei wichti­gen Arznei­mit­teln zu schaf­fen. Im vergan­ge­nen Jahr waren 16,7 Millio­nen Packun­gen nicht verfüg­bar, für die es Rabatt­ver­trä­ge mit den gesetz­li­chen Kassen gibt, ergab eine Auswer­tung des Deutschen Arznei­prü­fungs­in­sti­tu­tes für den Deutschen Apothe­ker­ver­band (DAV). Das waren etwas weniger als 2019 mit 18 Millio­nen Packungen.

Am stärks­ten von Liefer­pro­ble­men betrof­fen waren unter anderem Blutdruck­sen­ker, Magen­säu­re­blo­cker und Schmerz­mit­tel. Während Hausärz­te Liefer­eng­päs­se als Alltags­pro­blem beschrei­ben, betont das Bundes­in­sti­tut für Arznei­mit­tel und Medizin­pro­duk­te, es stünden oft alter­na­ti­ve Medika­men­te bereit.

Beschaf­fung von Austausch­prä­pa­ra­ten oft schwierig

Apothe­ken hätten jeden Tag perso­nel­len und logis­ti­schen Aufwand, um Patien­ten mit gleich­wer­ti­gen Austausch­prä­pa­ra­ten zu versor­gen, wenn ein bestimm­tes Medika­ment eines Herstel­lers nicht liefer­bar ist, hieß es. In der Pande­mie sei dies schwie­ri­ger gewor­den, da zur Reduzie­rung von Kontak­ten wieder­hol­te Apothe­ken­be­su­che vermie­den werden sollten.

Die Lage etwas entschärft hätten recht­li­che Erleich­te­run­gen bei der Auswahl von Ersatz­me­di­ka­men­ten wegen der Corona-Krise. «Diese pharma­zeu­ti­sche Beinfrei­heit beim Einsatz vorrä­ti­ger Medika­men­te sollte unabhän­gig von der Pande­mie erhal­ten bleiben», sagte der DAV-Vorsit­zen­de Thomas Dittrich. «Liefer­eng­päs­se waren schon vor Corona da, und es wird sie auch danach geben.»

Vorüber­ge­hend nicht verfüg­ba­re Arznei­mit­tel sind ein alltäg­li­ches Problem bei Hausärz­ten, berich­tet Hans-Micha­el Mühlen­feld, Vorstands­vor­sit­zen­der des Insti­tuts für hausärzt­li­che Fortbil­dung im Deutschen Hausärz­te­ver­band. «An vier von fünf Tagen in der Woche erleben wir, dass gewis­se Medika­men­te nicht zu bekom­men sind.» Eine Syste­ma­tik, was warum fehle, sei nicht zu erken­nen. «Gefühlt ist die Lage in den vergan­ge­nen Jahren schlim­mer geworden.»

Medizi­ner warnt vor Drama­ti­sie­rung von Lieferengpässen

Teilwei­se könnten Ärzte auf wirkstoff­glei­che Arznei­en auswei­chen, manche Tablet­ten schmeck­ten dann aus Sicht von Patien­ten anders oder ließen sich anders auftei­len, sagt der Medizi­ner. In anderen Fällen seien auch Substan­zen nicht verfüg­bar, dann bleibe nur, etwas Ähnli­ches zu verschrei­ben. Mühlen­feld sieht den Kosten­druck im Gesund­heits­we­sen als Problem. Die medizi­ni­sche Versor­gung lasse sich nicht markt­wirt­schaft­lich lösen. Er warnt aber vor einer Drama­ti­sie­rung von Liefer­eng­päs­sen: «Vor einer großflä­chi­gen Unter­ver­sor­gung mit Arznei­en kann in Deutsch­land keine Rede sein.»

Auch das Bundes­in­sti­tut für Arznei­mit­tel und Medizin­pro­duk­te (BfArM) sieht bei Liefer­eng­päs­sen keinen Grund für Alarm­stim­mung. Die Behör­de beobach­tet derzeit rund 190 Liefer­eng­päs­se bei rund 100.000 zugelas­se­nen Arznei­mit­teln — ein Anteil von knapp 0,2 Prozent. Unter den vorüber­ge­hend knappen Medika­men­ten befän­den sich viele, für die es eine Reihe wirkstoff­glei­cher Nachah­mer­arz­nei­en gebe. «Ein Liefer­eng­pass muss also nicht gleich­zei­tig ein Versor­gungs­eng­pass sein, da oftmals andere Arznei­mit­tel zur Verfü­gung stehen.»

Die Corona-Krise habe das Problem vorüber­ge­hend verschärft, erklär­te das BfArM. Im vergan­ge­nen Jahr sei die Zahl der gemel­de­ten Liefer­eng­päs­se zeitwei­se wesent­lich höher gewesen. Daher habe man gegen­ge­steu­ert. Das Insti­tut forder­te Pharma­un­ter­neh­men und den Großhan­del auf, Arznei­en nicht über den norma­len Bedarf hinaus zu belie­fern, um eine übermä­ßi­ge Bevor­ra­tung zu verhin­dern. Derzeit schät­ze der beim BfArM angesie­del­te Beirat zu Liefer- und Versor­gungs­eng­päs­sen die Lage aber «insge­samt als stabil ein».

Liefer­ket­ten in der Kritik

Liefer­eng­päs­se bei Arznei­en gibt es seit Jahren. Gewerk­schaf­ten sehen die komple­xen Liefer­ket­ten in der Globa­li­sie­rung als Ursache: Viele Wirkstof­fe für Medika­men­te werden aus Kosten­grün­den in China und Indien herge­stellt. Kommt es in Fernost zu Ferti­gungs­pro­ble­men, Verun­rei­ni­gun­gen oder gar zum Still­stand in der Produk­ti­on, kann sich das in Deutsch­land nieder­schla­gen. Die Versor­gungs­eng­päs­se will auch die EU mit ihrer neuen Arznei­stra­te­gie angehen.

Die Gewerk­schaft IG BCE forder­te von der Politik, sich für eine wieder stärke­re Arznei­pro­duk­ti­on in Deutsch­land und Europa einzu­set­zen. Andere wie der Verband der Chemi­schen Indus­trie (VCI) glauben nicht, dass sich die Produk­ti­on kurzfris­tig zurück­ver­la­gern lässt. Wenn man vorran­gig auf günsti­ge Preise achte, rechne sich die Produk­ti­on bei Nachah­mer­me­di­ka­men­ten nicht, hieß es in einer frühe­ren Stellungnahme.

Von Alexan­der Sturm und Sascha Meyer, dpa