Noch nie seit Beginn der Messun­gen wurden die Stick­oxid-Grenz­wer­te in deutschen Städten so gut einge­hal­ten wie im Jahr 2020. Ein Grund zum Freuen oder nur ein vorüber­ge­hen­der «Corona-Effekt»?

BERLIN (dpa) — Weniger Stick­oxi­de, weniger Feinstaub — und das alles nicht nur wegen Corona. So lässt sich der Zwischen­be­fund des Umwelt­bun­des­am­tes (UBA) zur Luftrein­heit im Pande­mie­jahr 2020 zusammenfassen.

Wie aus den am Diens­tag vorge­stell­ten vorläu­fi­gen Daten der Länder und des UBA hervor­geht, war die Belas­tung mit gesund­heits­schäd­li­chem Stick­stoff­di­oxid in deutschen Städten im vergan­ge­nen Jahr so gering wie noch nie seit Beginn der Messungen.

Demnach regis­trier­ten nur rund drei bis vier Prozent der 400 bislang ausge­wer­te­ten Messsta­tio­nen Überschrei­tun­gen des Jahres­mit­tel­werts von 40 Mikro­gramm Stick­stoff­di­oxid (NO2) pro Kubik­me­ter Luft. Im Jahr davor lag der Wert noch bei 21 Prozent.

Spitzen­rei­ter waren mit 54 bezie­hungs­wei­se 41 Mikro­gramm München und Hamburg — die beiden Städte, die 2020 den Höchst­wert nach aktuel­lem Stand in jedem Fall überschrit­ten haben. Das UBA geht davon aus, dass die Zahl der Städte, die über dem Grenz­wert lagen, auch nach der Endaus­wer­tung im Mai unter zehn bleiben dürfte. 2019 und 2018 waren es noch 25 bezie­hungs­wei­se 57 Städte. Auch die Feinstaub­be­las­tung sank den Daten zufol­ge auf ein Rekord-Tief.

«2020 ist die Luft deutlich saube­rer gewor­den», bilan­zier­te UBA-Präsi­dent Dirk Messner am Diens­tag. Gleich­zei­tig wies Messner darauf hin, dass dies kein «Corona-Einmal­ef­fekt» gewesen sei. Ledig­lich in der Phase des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 seien die NO2-Konzen­tra­tio­nen durch­schnitt­lich um 20 bis 30 Prozent gesun­ken, sagte Messner. Über das Jahr verteilt, lasse sich für 2020 aber kein signi­fi­kan­ter Einbruch der Verkehrs­ak­ti­vi­tät verzeich­nen. Die Haupt­trei­ber des Rückgangs seien vielmehr saube­re­re Fahrzeu­ge, mehr Tempo-30-Zonen und der Einsatz schaf­stoff­är­me­rer Busse gewesen.

Der Löwen­an­teil an den NO2-Emissio­nen im Verkehr (60 Prozent) geht bislang auf Autos mit Diesel­mo­tor zurück. Hier schla­gen dem UBA-Chef zufol­ge nun Software-Updates und neue Model­le mit weniger Schad­stoff­aus­stoß deutlich zu Buche.

Auch die Feinstaub­be­las­tung ging so stark zurück, dass sie 2020 den niedrigs­ten Wert seit Beginn der Messun­gen Ende der 1990er Jahre erreich­te. Aktuell empfiehlt die Weltge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (WHO), dass die Konzen­tra­ti­on der größe­ren Feinstaub­par­ti­kel den Wert von 20 Mikro­gramm pro Kubik­me­ter Luft im Jahres­mit­tel nicht überschrei­ten sollte. Bislang verfehl­ten nur etwa vier Prozent aller Messsta­tio­nen im Jahr 2020 diese Empfeh­lung, im Jahr davor waren es 13 Prozent.

Schlech­ter ist die Bilanz bei den kleine­ren Parti­keln bis 2,5 Mikro­gramm. Hier wurden an elf Prozent der Statio­nen Werte über dem Jahres-Grenz­wert gemes­sen. «Wir sind beim Feinstaub weiter­hin besorgt», sagte Messner. Die Grenz­wer­te an sich seien mehr als 20 Jahre alt, bis Mitte des Jahres wolle die WHO neue Empfeh­lun­gen erarbei­ten. Dann müsste auch Europa nachzie­hen. Bis dahin sieht Bundes­um­welt­mi­nis­te­rin Svenja Schul­ze Deutsch­land auf einem guten Weg. «Die Ergeb­nis­se sind sehr, sehr erfreu­lich», sagte die SPD-Politikerin.

Umwelt­or­ga­ni­sa­tio­nen wie die Deutsche Umwelt­hil­fe und Green­peace befürch­ten dagegen, dass der «Corona-Effekt» doch größer sein könnte als gedacht. Green­peace sprach am Diens­tag von einer «Corona-Delle» und rief die Bundes­re­gie­rung zu einer «moder­nen Verkehrs­po­li­tik» auf, um eine nachhal­ti­ge Verbes­se­rung herbeizuführen.

Mahnun­gen kamen auch aus der Opposi­ti­on. So forder­te etwa der stell­ver­tre­ten­de Frakti­ons­vor­sit­zen­de der FDP, Frank Sitta, nicht weiter auf Fahrver­bo­te zu setzen. Schul­ze müsse sich angesichts der Zahlen die Frage stellen, «ob die Gänge­lung der Bürger durch Fahrver­bo­te überhaupt weiter zu recht­fer­ti­gen» sei, sagte Sitta der Deutschen Presse-Agentur. Laut Umwelt­bun­des­amt haben aber auch Fahrver­bo­te zu den besse­ren Luftwer­ten beigetragen.

Die umwelt­po­li­ti­sche Spreche­rin der Grünen, Betti­na Hoffmann, bemän­gel­te, Deutsch­land fehle es «weiter­hin an einer konsis­ten­ten Strate­gie». Ziel müsse es sein, die durch­schnitt­li­che Stick­oxid­be­las­tung in den Städten zu halbie­ren, um «Millio­nen von Menschen, die beson­ders empfind­lich für Luftver­schmut­zung sind», besser zu schützen.