ROM/CANBERRA (dpa) — Für Papst Franzis­kus war er ein enger Vertrau­ter, andere machten ihn für die Spaltung in der katho­li­schen Kirche verant­wort­lich. Nun ist der umstrit­te­ne austra­li­sche Kardi­nal George Pell gestorben.

Der umstrit­te­ne austra­li­sche Kardi­nal George Pell ist im Alter von 81 Jahren in Rom gestor­ben. Seinen Tod bestä­tig­te der Erzbi­schof von Sydney, Antho­ny Fisher, in der Nacht auf Mittwoch auf seiner Facebook-Seite. Pells einsti­ges Erzbis­tum bestä­tig­te der Deutschen Presse-Agentur die Authen­ti­zi­tät der Mittei­lung. Pell sei am Diens­tag­abend nach Kompli­ka­tio­nen infol­ge einer lange geplan­ten Hüftope­ra­ti­on gestor­ben, berich­te­te unter anderem das vatik­an­ei­ge­ne Medien­por­tal «Vatican News». Der Eingriff war demnach schon länger geplant gewesen.

Er habe Pell in der vergan­ge­nen Woche noch bei der Trauer­fei­er für den emeri­tier­ten Papst Benedikt XVI. getrof­fen, schrieb Fisher in einer Mittei­lung. «Der Kardi­nal und ich wussten nicht, dass dies das letzte Mal sein würde, dass wir uns in diesem Leben treffen.»

Pell war unter Papst Franzis­kus jahre­lang die Nummer drei im Vatikan und der ranghöchs­te Geist­li­che in der Geschich­te der katho­li­schen Kirche, der wegen Kindes­miss­brauchs verur­teilt wurde. Im Jahr 2020 wurde Pell jedoch im Berufungs­ver­fah­ren nach rund 13 Monaten Haft freige­spro­chen und aus dem Gefäng­nis entlassen.

«Schwie­ri­ger Tag»

«Für viele Menschen, beson­ders katho­li­schen Glaubens, wird das ein schwie­ri­ger Tag», sagte Austra­li­ens Premier­mi­nis­ter Antho­ny Albane­se am Mittwoch­mor­gen im Bundes­staat Queens­land. Er sprach allen Trauern­den sein Beileid aus und kündig­te an, dass der Leich­nam des Kardi­nals nach der Trauer­fei­er im Vatikan zurück nach Austra­li­en gebracht werde. Dort solle er in der St. Mary’s‑Kathedrale in Sydney beerdigt werden. Albane­se, der selbst Katho­lik ist, gab zunächst keine Auskunft darüber, ob er an der Beerdi­gung teilneh­men wird.

Als kirch­li­cher und kultu­rel­ler Konser­va­ti­ver habe Pell sowohl Lob, als auch Kritik auf sich gezogen, sagte der frühe­re austra­li­sche Premier­mi­nis­ter Tony Abbott. Tatsäch­lich sei der Kardi­nal aber sehr fürsorg­lich gewesen, habe die Fehler der Menschen verstan­den und sei «mehr als fähig» gewesen, sich in Sünder einzu­füh­len und sie zu beraten. Der austra­li­sche Opposi­ti­ons­füh­rer und Vorsit­zen­de der Libera­len in Austra­li­en, Peter Dutton, bezeich­ne­te die Missbrauchs­vor­wür­fe gegen Pell und dessen Inhaf­tie­rung als «politi­sche Verfolgung».

Papst Franzis­kus nannte Pell im Dezem­ber einen großar­ti­gen Menschen, dem man viel schul­de. Pells Nachfol­ger im Erzbis­tum Sydney schrieb am Mittwoch, die Nachricht vom Tode des Kardi­nals sei «für alle ein großer Schock». Vielen anderen, vor allem abseits der katho­li­schen Kirche, dürfte vor allem der tiefe Fall des Kardi­nals im Gedächt­nis bleiben.

An Chorkna­ben vergangen?

Der Fall, für den Pell in seiner Heimat der Prozess gemacht wurde, reich­te in die Jahre 1996/97 zurück, als Pell gerade Erzbi­schof in Austra­li­ens zweit­größ­ter Stadt Melbourne gewor­den war. Nach einem Gottes­dienst soll er sich an den zwei Chorkna­ben vergan­gen haben, die damals 13 Jahre alt waren. Die Aussa­ge eines frühe­ren Chorkna­ben war maßgeb­lich für das Urteil, das der Öffent­lich­keit Anfang 2019 bekannt wurde. Verur­teilt wurde er zu sechs Jahren Haft.

Doch Pells Vertei­di­ger argumen­tier­ten, dass die Aussa­ge des frühe­ren Chorkna­ben nicht ausrei­chend war, um die Schuld des Kardi­nals zweifels­frei festzu­stel­len. Sie führten zudem an, nach einer Sonntags­mes­se sei es unmög­lich gewesen, dass ein Erzbi­schof fünf oder sechs Minuten in der Sakris­tei mit zwei Chorkna­ben allei­ne war — so soll es bei einem Übergriff gewesen sein. Das höchs­te austra­li­sche Gericht gab dem Berufungs­an­trag im April 2020 mangels Bewei­sen statt. Nach 13 Monaten war Pell überra­schend wieder ein freier Mann — und kehrte wenige Monate nach seiner Freilas­sung, mitten in der Corona-Pande­mie und trotz Reise­be­schrän­kun­gen — in den Vatikan zurück.

Anwäl­te der Familie eines der ehema­li­gen Chorkna­ben teilten mit, eine Zivil­kla­ge gegen Pell auch nach seinem Tod fortzu­füh­ren. «Ein Zivil­pro­zess hätte wahrschein­lich die Möglich­keit geboten, Pell ins Kreuz­ver­hör zu nehmen», hieß es in einer Mittei­lung der Anwäl­te. Der ehema­li­ge Chorkna­be starb nach Angaben der Nachrich­ten­agen­tur AAP 2014 an einer Überdo­sis Drogen.

Der ehema­li­ge Vorsit­zen­de der Wahrheits­kom­mis­si­on der katho­li­schen Kirche in Austra­li­en, Francis Sulli­van, sagte dem Sender ABC, es gebe eine Spaltung inner­halb der Kirche. Dafür seien viele der Erzbi­schö­fe und auch Kardi­nal Pell verantwortlich.

Geboren wurde Pell am 8. Juni 1941 im austra­li­schen Ballarat. Im Jahr 1966 wurde er zum Pries­ter geweiht, 1987 zum Weihbi­schof der Erzdiö­ze­se Melbourne gewählt. In dem Jahr erhielt er auch die Bischofs­wei­he. Von 2001 bis 2014 war er Erzbi­schof von Sydney. Schon damals war Pell mit Missbrauchs­vor­wür­fen konfron­tiert — 2002 ließ er sein Amt als Erzbi­schof von Sydney vorüber­ge­hend ruhen, die Vorwür­fe aber wies er zurück. Obwohl sich Anschul­di­gun­gen gegen Pell hielten, machte er in der katho­li­schen Kirche Karrie­re. Er wurde später zum Vertrau­ten von Papst Franzis­kus, der ihn 2014 zum Präfek­ten des Wirtschafts­se­kre­ta­ri­ats ernann­te, um die Finan­zen des Vatikans zu sanieren.