PARIS (dpa) — Mehr Europa oder mehr Natio­na­lis­mus? Nach dem Einzug von Emmanu­el Macron und Marine Le Pen in die Stich­wahl für das Präsi­den­ten­amt werden Frank­reichs Wähler Europas Zukunft entschei­dend beeinflussen.

Frank­reich steht nach dem Erfolg des Libera­len Emmanu­el Macron und der Rechten Marine Le Pen in der ersten Runde der Präsi­dent­schafts­wahl vor einer Richtungsentscheidung.

Der 44 Jahre alte Amtsin­ha­ber Macron und seine 53-Jähri­ge Heraus­for­de­rin Le Pen quali­fi­zier­ten sich am Sonntag für die Stich­wahl am 24. April. Deren Ausgang könnte über Frank­reich hinaus Einfluss auf die Europäi­sche Union, das deutsch-franzö­si­sche Verhält­nis und mögli­cher­wei­se auch auf die Unter­stüt­zung der Ukrai­ne gegen die Invasi­on Russlands haben.

Wie schnit­ten die wichtigs­ten Kandi­da­tin­nen und Kandi­da­ten ab?

Bis zum frühen Montag­mor­gen waren nach Angaben des Innen­mi­nis­te­ri­ums 97 Prozent der Stimmen ausge­zählt. Macron lag demnach mit 27,60 Prozent in Führung. Le Pen kam auf 23,41 Prozent. Seit Monaten hatten Umfra­gen eine Wieder­auf­la­ge des Duells von 2017 zwischen dem Europa­freund und der Europa­skep­ti­ke­rin vorausgesagt.

Auf Platz drei lande­te mit 21,95 Prozent der Links­po­li­ti­ker Jean-Luc Mélen­chon. Histo­risch schlecht schnit­ten die beiden einsti­gen Volks­par­tei­en der Sozia­lis­ten und Konser­va­ti­ven ab.

Welche Stärken und Schwä­chen zeigten sich im Wahlkampf?

Amtsin­ha­ber Macron profi­tier­te Kommen­ta­to­ren zufol­ge von der Schwä­che der meisten anderen Kandi­da­tin­nen und Kandi­da­ten. Im Ukrai­ne-Krieg profi­lier­te der 44-Jähri­ge sich auf inter­na­tio­na­ler Bühne als Krisen­ma­na­ger. Der Wunsch vieler Franzo­sen nach Stabi­li­tät in schwie­ri­gen Zeiten kam ihm dabei vermut­lich zusätz­lich zu Gute.

Zudem kann er aus seiner ersten Amtszeit solide Erfol­ge am Arbeits­markt vorwei­sen. Die franzö­si­sche Wirtschaft starte­te nach der Corona-Krise durch. Negativ ausge­wirkt haben dürfte sich Macrons später Einstieg in den Wahlkampf sowie sein Ruf als arrogan­ter Einzelgänger.

Le Pen wieder­um setzte auf Volks­nä­he und absol­vier­te anders als Macron zahlrei­che Wahlkampf­auf­trit­te und Markt­be­su­che. Die 53-Jähri­ge rückte Kaufkraft und Lebens­hal­tungs­kos­ten ins Zentrum ihres Wahlkamp­fes. Sie präsen­tier­te sich als Fürspre­che­rin jener Franzo­sen, denen steigen­de Preise beson­ders zusetzen.

In die Karten spiel­te ihr wohl auch die Kandi­da­tur des extrem rechten Publi­zis­ten Éric Zemmour, der sie mit seiner radika­len Rheto­rik biswei­len gemäßigt erschei­nen ließ — und das, obwohl Exper­ten auch Le Pen radikal rechte Forde­run­gen attes­tie­ren. Seit dem Beginn des russi­schen Angriffs­kriegs auf die Ukrai­ne macht Le Pen ihre früher offene Bewun­de­rung für Kreml­chef Wladi­mir Putin zu schaffen.

Was bedeu­tet das Wahler­geb­nis für die EU — und für Deutschland?

Die anste­hen­de Weichen­stel­lung im zweiten Wahlgang dürfte inter­na­tio­nal mit Spannung und auch Sorge beobach­tet werden. Sollte Le Pen gewin­nen, wäre das für die EU nach dem Brexit und dem Wahler­folg Donald Trumps 2016 in den USA ein weite­rer Schock. Während Macron überzeug­ter Pro-Europä­er ist und für eine Vertie­fung der Union eintritt, steht Le Pen für eine natio­na­lis­ti­sche Politik des «Frank­reich first». Sie könnte ihr Land zum Bremser wichti­ger Reform­vor­ha­ben der EU machen.

Zwar hat Le Pen Extrem­po­si­tio­nen wie den Austritt Frank­reichs aus dem Euro aufge­ge­ben. Aber Konfron­ta­tio­nen mit Brüssel wären mit ihr als Präsi­den­tin program­miert. Schließ­lich stellt Le Pen die Autori­tät europäi­scher Gerich­te infra­ge, und sie will eine Besser­stel­lung von Franzo­sen gegen­über Auslän­dern durchsetzen.

Bei einem Sieg Le Pens könnten zudem die geschlos­se­ne Front Europas gegen Russland und die Unter­stüt­zung der Ukrai­ne in Gefahr geraten. Ein solches Szena­rio löste auch in den USA Sorgen aus. Die Politi­ke­rin kündig­te bereits an, nach einem Ende des Kriegs könne Russland in abseh­ba­rer Zeit wieder ein Partner Europas werden.

Für Deutsch­land wieder­um geht es um die Zugkraft des in der EU einfluss­rei­chen Tandems Paris und Berlin. In der aktuel­len Beset­zung mit Macron und Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) arbei­ten die beiden Länder eng zusam­men. Unter Le Pen als Präsi­den­tin dürfte Deutsch­land den Rang als Partner der Wahl verlie­ren — Frank­reich würde sich wohl eher dem Lager der Euroskep­ti­ker wie Ungarn und Polen zuwenden.

Wie stehen die Chancen für Macron und für Le Pen?

Beim Duell Macron-Le Pen von 2017 schlug der Libera­le die Rechte noch sehr deutlich mit rund zwei Dritteln der Stimmen. Umfra­gen sagen diesmal ein deutlich knappe­res Ergeb­nis voraus. Zudem gilt: In Frank­reich gewann in der Vergan­gen­heit immer wieder mal auch ein Kandi­dat im zweiten Durch­gang, der in der ersten Runde noch auf Platz zwei lag.

Für Macron und Le Pen geht es in den kommen­den beiden Wochen darum, Wähler außer­halb ihres Lagers zu mobili­sie­ren. Für den Amtsin­ha­ber könnte das deutlich schwie­ri­ger werden als noch 2017 — auch wenn ihm zahlrei­che geschei­ter­te Kandi­da­ten am Sonntag­abend ihre Unter­stüt­zung aussprachen.

Vielen Franzo­sen gilt Macron nach fünf Jahren an der Macht als abgeho­ben. Manchem eher links einge­stell­ten Wähler dürfte es schwer­fal­len, für ihn zu stimmen — etwa weil Macron den Kündi­gungs­schutz gelockert und die Vermö­gens­steu­er abgeschafft hat. Am Sonntag­abend warnte der Amtsin­ha­ber vor zu viel Sieges­ge­wiss­heit: «Vertun wir uns nicht, nichts ist entschieden!»

Le Pen wieder­um, die seit Jahren um ein gemäßig­tes Image kämpft, gilt mittler­wei­le in Teilen des bürger­li­chen rechten Lagers als wählbar. Sie könnte in der zweiten Runde Anhän­ger der ausge­schie­de­nen Konser­va­ti­ven Valérie Pécres­se für sich gewin­nen. Der extrem rechte Publi­zist Zemmour rief seine Anhän­ger auf, für Le Pen zu stimmen. Aus dem Mitte-Links-Lager kann sie kaum auf Stimmen hoffen. Ihr würde es aber helfen, wenn frustrier­te Linke der Wahl einfach fernblie­ben und so Le Pens Stimm­an­teil in die Höhe trieben.