Die Corona-Zahlen in Deutsch­land errei­chen immer neue Höchst­wer­te, die Politik warnt vor einer unkon­trol­lier­ten Ausbrei­tung. Angela Merkel bittet die Bürger: «Bleiben Sie, wenn immer möglich, zu Hause, an Ihrem Wohnort.»

«Wir müssen jetzt alles tun, damit das Virus sich nicht unkon­trol­liert ausbrei­tet. Dabei zählt jetzt jeder Tag», sagte die CDU-Politi­ke­rin in ihrem wöchent­li­chen Podcast. «Ich bitte Sie: Verzich­ten Sie auf jede Reise, die nicht wirklich zwingend notwen­dig ist, auf jede Feier, die nicht wirklich zwingend notwen­dig ist. Bitte bleiben Sie, wenn immer möglich, zu Hause, an Ihrem Wohnort.»

Deutsch­land befin­de sich in einer «sehr ernsten Phase» der Pande­mie, sagte Merkel. «Tag für Tag steigt die Zahl der Neuin­fek­tio­nen sprung­haft.» Die Pande­mie breite sich wieder rapide aus, schnel­ler noch als zu Beginn vor mehr als einem halben Jahr. «Der vergleichs­wei­se entspann­te Sommer ist vorbei, jetzt stehen uns schwie­ri­ge Monate bevor. Wie der Winter wird, wie unser Weihnach­ten wird, das entschei­det sich in diesen kommen­den Tagen und Wochen. Das entschei­den wir alle durch unser Handeln.»

Unions­frak­ti­ons­chef Ralph Brink­haus forder­te im Kampf gegen die in die Höhe schnel­len­den Infek­ti­ons­zah­len eine bundes­ein­heit­li­che Linie. «Alles andere ruft momen­tan nicht nur große Irrita­ti­on in der Bevöl­ke­rung hervor — es behin­dert ein konse­quen­tes, gebün­del­tes Vorge­hen gegen Corona», schrieb der CDU-Politi­ker in einem der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorlie­gen­den Brief an die Abgeord­ne­ten von CDU und CSU.

Am Morgen melde­te das Robert Koch-Insti­tut (RKI) 7830 Corona-Neuin­fek­tio­nen in Deutsch­land, mehr als je zuvor seit Beginn der Pande­mie. Am Samstag vergan­ge­ner Woche waren es noch 4721 neue Infek­tio­nen. Die jetzi­gen Werte sind nur bedingt mit denen aus dem Frühjahr vergleich­bar, weil mittler­wei­le wesent­lich mehr getes­tet wird — und damit auch mehr Infek­tio­nen entdeckt werden.

Bayerns Minis­ter­prä­si­dent Markus Söder warnte mit Blick auf die Nachver­fol­gung von Corona-Infek­ti­ons­ket­ten vor einem «Kontroll­ver­lust in einigen Regio­nen in Deutsch­land». «Das ist hochge­fähr­lich», sagte der CSU-Politi­ker der «Passau­er Neuen Presse» (Samstag). «Wenn keine Nachver­fol­gung der Infek­tio­nen mehr möglich ist, so wie in den Nieder­lan­den, Frank­reich, Spani­en und Tsche­chi­en, muss man die Kontak­te generell begren­zen. Das geht nur mit einem Lockdown oder ähnli­chen strik­ten Maßnahmen.»

Kanzler­amts­chef Helge Braun kündig­te an, noch mehr Helfer zur Unter­stüt­zung der Kommu­nen bei der Kontakt­nach­ver­fol­gung mobili­sie­ren zu wollen. Neben dem Bundes­wehr­kon­tin­gent von bis zu 15.000 Solda­ten schaue man auch, «ob wir weite­re Perso­nal­re­ser­ven in der Bundes­re­gie­rung und nachge­ord­ne­ten Behör­den mobili­sie­ren können», sagte der CDU-Politi­ker der «Rheini­schen Post». Er habe zudem die Hoffnung, zur Kontakt­nach­ver­fol­gung auch eine größe­re Zahl von Studie­ren­den zu gewinnen.

Söder teilte die Befürch­tun­gen von Bundes­kanz­le­rin Angela Merkel, dass die am Mittwoch von Bund und Ländern beschlos­se­nen Maßnah­men nicht weit genug gingen. «Wir dürfen Corona nicht schön- oder klein­re­den. Wir müssen grund­le­gen­de Entschei­dun­gen treffen. Wenn wir das nicht tun und nur halbher­zig vorge­hen, steuern wir unwill­kür­lich auf einen zweiten Lockdown zu. Wer keinen Lockdown will, der muss jetzt entschlos­sen handeln», sagte der CSU-Chef.

Doch einige beschlos­se­ne Maßnah­men — unter anderem das umstrit­te­ne Beher­ber­gungs­ver­bot — werden derzeit von Gerich­ten ausge­bremst. Am Freitag­abend hatte das Oberver­wal­tungs­ge­richt Berlin-Branden­burg das Branden­bur­ger Beher­ber­gungs­ver­bot für Gäste aus Corona-Hotspots zunächst gestoppt. Das Gericht habe zwei Eilan­trä­gen statt­ge­ge­ben, hieß es. Auch in Baden-Württem­berg und Nieder­sach­sen hatte es zuvor Urtei­le gegen die Maßnah­me gegeben.

Das Beher­ber­gungs­ver­bot sei voraus­sicht­lich unver­hält­nis­mä­ßig, begrün­de­te das Gericht die Entschei­dung. Die zu erwar­ten­de Eindäm­mung des Infek­ti­ons­ge­sche­hens stehe in keinem angemes­se­nen Verhält­nis zu den Einschrän­kun­gen, die die Kläger hinneh­men müssten. Auch die durch die Verfas­sung geschütz­te allge­mei­ne Handlungs­frei­heit der Urlau­ber werde zu stark eingeschränkt.

Es ist nicht die einzi­ge Maßnah­me, die vor Gericht derzeit Schwie­rig­kei­ten hat. Eine Woche nach ihrer Einfüh­rung steht die Sperr­stun­de für Berli­ner Bars und Kneipen auf wackli­gen Füßen. Sie halte einer recht­li­chen Überprü­fung nicht stand, erklär­te das zustän­di­ge Verwal­tungs­ge­richt am Freitag. Es befand, die Sperr­stun­de sei für eine nennens­wer­te Bekämp­fung des Infek­ti­ons­ge­sche­hens nicht erfor­der­lich. Wegen des Ausschank­ver­bots bestehe auch die Gefahr einer alkohol­be­ding­ten «Enthem­mung» nach 23.00 Uhr nicht.

Sperr­stun­den sind aber eigent­lich ein zentra­ler Baustein im Konzept von Bund und Ländern, um die stark steigen­de Zahl von Neuin­fek­tio­nen in den Griff zu bekom­men. Bundes­kanz­le­rin Angela Merkel (CDU) und die Minis­ter­prä­si­den­ten der Länder hatten am Mittwoch verein­bart, dass ab einem Wert von 50 Neuin­fek­tio­nen je 100.000 Einwoh­ner inner­halb von sieben Tagen eine Sperr­stun­de um 23.00 Uhr für Gastro­no­mie­be­trie­be zwingend zu erlas­sen ist. Ab einem Wert von 35 Neuin­fek­tio­nen wird eine Sperr­stun­de empfohlen.

Aus Sicht des Städte- und Gemein­de­bun­des sind die bestehen­den Regeln zum Teil kaum kontrol­lier­bar. Dort, wo beispiels­wei­se Clubs und Bars wieder geschlos­sen werden, verla­gert sich das Party­le­ben «in Parks oder auf große Wiesen wie das Rhein­ufer in Bonn. Da kann nur stich­pro­ben­ar­tig kontrol­liert werden, mehr ist perso­nell gar nicht möglich», sagte Haupt­ge­schäfts­füh­rer Gerd Lands­berg der «Bild» (Samstag). Bei priva­ten Feiern zu Hause sei schon aus Rechts­grün­den die Überprü­fung schwer.

Der Schlüs­sel in der Pande­mie­be­kämp­fung liege in der Überzeu­gung der Menschen, sagte Lands­berg dem «Handels­blatt». «Wichtig wäre daher eine Kommu­ni­ka­ti­ons­kam­pa­gne, nicht nur in den Hotspots, um immer wieder auch über die sozia­len Medien auf die notwen­di­ge Einhal­tung der Regeln hinzuweisen.»