LEIPZIG (dpa) — Mutter­milch gilt gerade für Neuge­bo­re­ne als beson­ders wichtig. Wenn Frauen nicht stillen können, helfen Milch­ban­ken aus. Doch das Angebot reicht nicht für alle.

Im Keller von Haus 6 der Univer­si­täts­kli­nik Leipzig lagert ein Schatz — das weiße «Gold», so nennt ihn Oberärz­tin Corin­na Gebau­er manchmal.

Das Gold hat dabei unter­schied­li­che Farben von Weiß bis Hellgelb und lagert in steri­len Flaschen: Mutter­milch, die Frauen gespen­det haben. Die hausei­ge­ne Milch­bank versorgt Frühchen auf der Stati­on für Neuge­bo­re­ne, deren Mütter selbst nicht stillen können. Die Zahl der Spende­rin­nen ist in den vergan­ge­nen Jahren gestie­gen — und dennoch sei die Versor­gung in Deutsch­land nicht ausrei­chend gesichert, wie Gebau­er erläutert.

Von manchen mehr, von anderen weniger

Die Milch­bank der Leipzi­ger Univer­si­täts­kli­nik ist eine von 4 Einrich­tun­gen in Sachsen und 34 in Deutsch­land — und noch dazu die größte ihrer Art, heißt es von der Frauen­milch­bank-Initia­ti­ve. 50 bis 60 Frauen spende­ten in Leipzig jährlich überschüs­si­ge Mutter­milch, deutlich mehr als noch vor zehn Jahren, sagt Gebau­er, die seit 2007 ärztli­che Leite­rin der Leipzi­ger Milch­bank ist. «Wie viel eine Frau spendet, ist ganz unter­schied­lich. Von manchen bekom­men wir nur wenige Liter, von anderen über Monate hinweg Milch.»

Unter den Spende­rin­nen sind Mütter, deren Kinder zu früh geboren wurden und in der Klinik liegen. Ihre überschüs­si­ge Milch lassen sie oft in den Gefrier­schrän­ken der Klinik einla­gern. «Manch­mal stellt sich dann heraus, dass die Mutter deutlich mehr Milch einge­la­gert hat, als sie für ihr Kind brauchen wird. Dann spendet sie uns den Rest», sagt Gebau­er. Anders als viele andere Klini­ken nehme die Bank aber auch Milch von exter­nen Spende­rin­nen an.

Eines ist den Frauen gemein: Sie werden ähnlich wie bei einer Blutspen­de regel­mä­ßig auf Krank­hei­ten wie HIV, Hepati­tis B und C sowie Syphi­lis getes­tet. «Mutter­milch ist natür­lich nie steril, aber wir kontrol­lie­ren streng die Art und die Anzahl der Bakte­ri­en, die enthal­ten sind», erklärt Gebau­er. Darmbak­te­ri­en etwa seien für Neuge­bo­re­ne gefähr­lich und dürften niemals in der gespen­de­ten Mutter­milch enthal­ten sein.

Andere Darmflo­ra bei künst­li­cher Ernährung

Anders sei es, wenn eine Spende­rin positiv auf das Herpes­vi­rus Zytome­ga­lie getes­tet werde: Weil das Virus für Frühchen gefähr­lich werden könne, werde die Milch pasteu­ri­siert, also für eine halbe Stunde lang auf 62,5 Grad Celsi­us erhitzt. Der Vorteil: Das Herpes­vi­rus stirbt ab, die Milch gilt insge­samt als sicherer.

«Gleich­zei­tig werden aber auch bestimm­te Zellen zerstört und die Anzahl von Enzymen vermin­dert, die dem Kind etwa bei der Verdau­ung von Fetten hilft», sagt Gebau­er. Rohe Milch sei insge­samt biolo­gisch aktiver. Die Leipzi­ger Klinik versu­che daher, Milch immer dann roh zu verfüt­tern, wenn die Krite­ri­en es zulas­sen. «Insbe­son­de­re die sehr früh gebore­nen Kinder bekom­men rohe Milch, weil sie die Abwehr­stof­fe darin beson­ders dringend brauchen», sagt Gebauer.

Überhaupt gerät die Medizi­ne­rin fast ins Schwär­men, wenn sie von den Vortei­len der Mutter­milch im Vergleich zu Baby-Milch­pul­ver spricht. «Mutter­milch stärkt die Abwehr­kräf­te von Neuge­bo­re­nen und unter­stützt ihre Darmflo­ra. Kinder, die künst­lich ernährt werden, haben eine ganz andere Darmflo­ra», sagt sie.

Kein Vergleich zu Muttermilch

Am besten sei es für Kinder, die Milch der eigenen Mutter zu bekom­men. Diese passe sich im Laufe der Still­zeit an die Bedürf­nis­se des wachsen­den Kindes an. Außer­dem bilde die Mutter immer Antikör­per gegen die Krank­hei­ten aus, denen sie selbst ausge­setzt ist. Davon profi­tie­re dann auch das Kind.

Inzwi­schen gelte es als wissen­schaft­lich gesichert, dass Mutter­milch die besse­re Ernäh­rung für Neuge­bo­re­ne sei, sagt Ulrich Thome, Leiter der Leipzi­ger Neona­to­lo­gie. «Beson­ders Frühchen profi­tie­ren davon, weil sie ein beson­ders schwa­ches Immun­sys­tem haben. Bei ihnen ist der Unter­schied im Vergleich zu einer künst­li­chen Babymilch noch größer als bei stabi­len Neuge­bo­re­nen», berich­tet er.

Zudem enthal­te Mutter­milch Hunder­te verschie­de­ne Ballast­stof­fe, die auch abhän­gig von den Müttern unter­schied­lich zusam­men­ge­setzt seien. Sie schütz­ten den Darm vor Infek­tio­nen und sorgten für eine gesun­de Darmflo­ra, sagt Thome. «Herstel­ler von Babymilch versu­chen zwar auch, Ballast­stof­fe hinzu­zu­fü­gen, aber das sind dann nur zwei oder drei unter­schied­li­che Stoffe — kein Vergleich zu Muttermilch.»

Irrglau­be in Westdeutschland

Doch nicht immer galt Mutter­milch als gesün­der. Gerade in Westdeutsch­land habe man lange geglaubt, dass man dank der künst­li­chen Baby-Nahrung keine Mutter­milch mehr brauche, sagt Anne Sunder-Plaßmann von der Frauen­milch­bank-Initia­ti­ve. Die wenigen Banken, die übrig waren, befan­den sich demnach in Ostdeutsch­land. Seit 2018 setzt sich die Initia­ti­ve dafür ein, dass es in allen Bundes­län­dern mindes­tens eine Milch­bank geben soll. Das Ziel ist fast erreicht — nur Rhein­land-Pfalz fehle noch.

Für die Initia­ti­ve ist das ein Erfolg — ganz zufrie­den sind Sunder-Plaßmann und ihre Mitstrei­te­rin­nen dennoch nicht. «Man kann sagen, dass der Bedarf an Spende­rin­nen immer noch größer ist als das bestehen­de Angebot», sagt sie. Große Klini­ken wie Leipzig oder auch die Unikli­nik Dresden könnten die Frühchen in ihren Kinder­kli­ni­ken versor­gen — doch längst nicht alle Kranken­häu­ser mit einer Säuglings­sta­ti­on verfüg­ten über eine eigene Milch­bank. Es gibt also noch einiges aufzu­ho­len bei dem «weißen Gold».

Von Corin­na Schwan­hold, dpa