YANQING (dpa) — Die jüngs­te Starte­rin war am cools­ten. Olympia-Debütan­tin Hannah Neise fährt mit ihrem Skele­ton­schlit­ten das Rennen ihres Lebens und holt die nächs­te deutsche Goldmedaille.

Noch immer ungläu­big schlug Hannah Neise die Hände über dem Kopf zusam­men und zeigte dann fast ein wenig verle­gen ihre Goldmedaille.

Die 21-Jähri­ge aus Winter­berg raste völlig überra­schend als erste deutsche Skele­ton­pi­lo­tin zum Olympia­sieg und setzte die famose Sieges­se­rie im Goldka­nal von Yanqing fort. Nach vier Olympia­sie­gen in den Rodel-Wettbe­wer­ben und dem Triumph von Skele­ton-Weltmeis­ter Chris­to­pher Grotheer war auch Neise nicht zu schlagen.

«Ich kann nicht wirklich reali­sie­ren, was hier gerade passiert ist. Auf jeden Fall ist es ein unbeschreib­li­ches Gefühl», sagte Neise. «Ich bin heute Morgen um sechs Uhr aufge­wacht und war sehr nervös. Ich habe direkt meiner Mama geschrie­ben und sie hat gesagt: Ich soll auf das vertrau­en, was ich kann.»

«Sie macht wenig Fehler»

Sie freue sich inner­lich, «Eltern, Famili­en­mit­glie­der und Freun­de freuen sich mehr». Cheftrai­ner Chris­ti­an Baude lobte: «Hannah kann sehr gut fahren. Sie macht wenig Fehler und wenn sie mal einen macht, bleibt sie ruhig. Sie hat ein richtig gutes Fahrgefühl.»

Dabei hatte die Jüngs­te im Team den Auftakt in die olympi­schen Rennen verpatzt, war nur Achte. Doch schon im zweiten Lauf rausch­te Neise auf Platz zwei, übernahm im dritten Durch­gang mit dem Bahnre­kord von 1:01,44 Minuten die Führung und setzte im Finale noch einen drauf. Mit der Laufbest­zeit und letzt­lich 0,62 Sekun­den Vorsprung vor der überra­schen­den Zweiten Jaclyn Narra­cott aus Austra­li­en. «Sie hatte überhaupt keinen Druck und hat ihr Ding durch­ge­zo­gen. Mein größter Respekt vor dem, was sie hier die letzten beiden Tage gemacht hat», sagte Jacque­line Lölling. Die Pyeongchang-Zweite wurde nur Achte, Bronze gewann die Nieder­län­de­rin Kimber­ly Bos vor Weltmeis­te­rin Tina Hermann vom WSV Königssee.

«Die Medail­len tun unserem Sport gut. Wir sind immer ein wenig im Hinter­gund, jetzt haben wir gezeigt, was wir können. Darauf können wir stolz sein», sagte Lölling. «Für mich ist es eine völlig neue Situa­ti­on, dass wir alle Rennen gewon­nen haben», sagte der Vorstands­chef und Sport­di­rek­tor des Bob- und Schlit­ten­ver­ban­des für Deutsch­land, Thomas Schwab. «Ich bin ja schon lange dabei, aber das habe ich noch nie erlebt.»

Spätes Olympia-Ticket

Neise hatte es gerade so nach China geschafft. Das Ticket löste sie erst durch Platz acht beim Saison­fi­na­le in St. Moritz. Und wie ihr Teamkol­le­ge Axel Jungk war Neise nach dem Weltcup-Rennen in der Schweiz Ende Januar positiv auf das Corona­vi­rus getes­tet worden. Während Jungk am Freitag zu Silber hinter Grotheer raste, reich­te es für Neise bis ganz nach oben.

Schon in den Testren­nen in Yanqing hatte Neise im Oktober Platz zwei belegt. Für den großen Coup war sie wie immer ihrem Dress­code gefolgt. Unter dem Rennan­zug trug sie Kompres­si­ons­strümp­fe und ein pinkes T‑Shirt. Als Glücks­brin­ger hat sie bei den Winter­spie­len ein Kuschel­tier von ihrem Freund, einem Skisprin­ger, dabei.

Nur in der Heimat in Schmal­len­berg lief es nicht wie geplant. Das vom Papa und der Werbe­ge­mein­schaft Schmal­len­berg organi­sier­te Public Viewing auf dem Schüt­zen­platz musste kurzfris­tig etwas einge­dampft werden. Der Aufbau der Event­büh­ne wurde wegen Sicher­heits­be­den­ken gemäß der aktuel­len Corona-Schutz­ver­ord­nung abgesagt. Trotz­dem versam­mel­ten sich rund 150 Leute bereits im dritten Lauf auf dem Platz vor zwei Bildschirmen.

Die deutschen Frauen hatten bereits vor den Rennen nördlich von Peking olympi­sche Medail­len gewon­nen, aber nie ganz oben auf dem Trepp­chen gestan­den. In Vancou­ver gewann Kerstin Szymko­wi­ak 2019 Silber, Anja Huber (heute Selbach) holte Bronze. Vor vier Jahren in Pyeongchang musste sich dann Jacque­line Lölling nur der Britin Eliza­beth Yarnold geschla­gen geben.