LUDWIGSHAFEN (dpa) — Erschwer­ter Start ins Leben: Bereits die Grund­schu­le berei­tet vielen Kindern große Mühe. An der Gräfenau­schu­le in Ludwigs­ha­fen ist die Lage beson­ders traurig. Die Rekto­rin schlägt Alarm.

Die fröhli­chen Farben auf dem Hof der Gräfenau­schu­le passen nicht zum Gesche­hen hinter den Mauern. Wohl gleich 40 Erstkläss­ler müssen das Schul­jahr wieder­ho­len — ein Schock für Rekto­rin Barba­ra Mächt­le. «Die extrem hohe Zahl ist erschre­ckend. Im vergan­ge­nen Jahr waren es 23 oder 24», sagt Mächt­le, die die Schule in Ludwigs­ha­fen leitet. «Auch in anderen Klassen­stu­fen gibt es Wieder­ho­ler — aber bei weitem nicht so viele.» Die Gründe in der zweit­größ­ten Stadt in Rhein­land-Pfalz sind vielfäl­tig. Oft sprechen die Kinder schlecht Deutsch oder kommen aus bildungs­fer­nen Familien.

Und meist waren die Kinder nur kurz oder gar nicht in einem deutschen Kinder­gar­ten. «Viele sagen, die Eltern sollen mal machen, aber die geben meist ihr Bestes. Ich habe Kinder, die waren zwei Jahre auf der Flucht. Da war nicht viel mit Schule», sagt Mächt­le. «Es fehlen die Vorläu­fer­fä­hig­kei­ten. Es geht nicht nur darum, eine Schere richtig zu halten, sondern auch darum, sich in der Gruppe richtig zu verhalten.»

An der Gräfenau­schu­le «hatten schon immer etwa 98 Prozent der Kinder einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund», sagt die 47-Jähri­ge. Der Schul­stand­ort Hemshof, wo viele Migran­tin­nen und Migran­ten leben, wird von vielen als Brenn­punkt oder Problem­vier­tel bezeich­net. «Wer hier aufwächst, braucht nicht zwingend Deutsch zu lernen, aber in der Schule brauchen die Kinder es.»

Verband: Kein Einzelfall

Die Gräfenau­schu­le sei kein Einzel­fall: «In Ludwigs­ha­fen werden die Missstän­de im Schul­sys­tem wie unter dem Brenn­glas sicht­bar», meint Lars Lamow­ski, Landes­vor­sit­zen­der des Verbands Bildung und Erzie­hung (VBE). Von der «Spitze des Eisbergs» spricht der Grund­schul­lei­ter. «Unter der Decke schlum­mern viele Ludwigshafens.»

Dem Landes­bil­dungs­mi­nis­te­ri­um zufol­ge ist der Schul­auf­sicht bisher kein Fall bekannt, bei dem eine Schule mit solch gravie­ren­dem Hinweis wie in Ludwigs­ha­fen an die Behör­de heran­ge­tre­ten ist. Dass ein so hoher Anteil eines Schul­jahrs als gefähr­det benannt werde, sei ungewöhn­lich, sagt ein Sprecher in Mainz. Die Zahl 40 stehe aber noch nicht fest. Die Entschei­dung falle im Laufe des Schuljahrs.

Dass die Lage auch an ihrer Substanz nagt, räumt die Rekto­rin ein. «Momen­te, in denen ich sage: “Boah, da kann ich eh nichts machen”, gibt es», sagt Mächt­le. Aber sie sei mit einem Kolle­gi­um zusam­men, das sich der Situa­ti­on ebenfalls jeden Tag stellen müsse. «Ich möchte diese Menschen unter­stüt­zen und nicht den Kopf in den Sand stecken. Solan­ge ich die Kraft habe, werde ich für diese Schule kämpfen.»