BERLIN (dpa) — Die Umsturz­plä­ne sogenann­ter Reichs­bür­ger waren ernst­haft und fortge­schrit­ten — davon sind die Sicher­heits­be­hör­den überzeugt. Anschei­nend war die gestri­ge Großraz­zia noch nicht das Ende der Fahnenstange.

Die deutschen Sicher­heits­be­hör­den rechnen nach der Großraz­zia gegen eine «Reichsbürger»-Gruppierung wegen Umsturz­plä­nen mit weite­ren Beschul­dig­ten und Durch­su­chun­gen. Die Präsi­den­ten von Verfas­sungs­schutz und Bundes­kri­mi­nal­amt (BKA) sowie der General­bun­des­an­walt zeigten sich am Mittwoch­abend in Inter­views überzeugt von der Ernst­haf­tig­keit der Umsturzpläne.

Die Bundes­an­walt­schaft hatte gestern in elf Bundes­län­dern sowie in Itali­en und Öster­reich insge­samt 25 Menschen festneh­men lassen. 22 von ihnen wirft sie vor, Mitglied einer terro­ris­ti­schen Verei­ni­gung zu sein, die das politi­sche System in Deutsch­land stürzen wollte. Bei 19 Verdäch­ti­gen wurden die Haftbe­feh­le bis zum Abend vollzo­gen, sie befin­den sich somit in Unter­su­chungs­haft. Bei weite­ren könnte dies am Donners­tag geschehen.

Mehr als 150 Durchsuchungen

BKA-Präsi­dent Holger Münch nannte gestern Abend im ZDF-«heute journal» die Zahl von mittler­wei­le 54 Beschul­dig­ten und sprach von mehr als 150 Durch­su­chun­gen. Bei rund 50 Objek­ten seien auch Waffen festge­stellt worden. Münch ging von weite­ren Beschul­dig­ten und Durch­su­chun­gen in den nächs­ten Tagen aus. Rund 3000 Beamte waren gestern bei den Razzi­en im Einsatz.

Nach den Worten von Verfas­sungs­schutz­prä­si­dent Thomas Halden­wang hatten die Sicher­heits­be­hör­den die «Reichsbürger»-Gruppierung seit dem Frühjahr im Visier und einen recht klaren Überblick über deren Entwick­lung und Pläne. Die Planun­gen seien dann immer konkre­ter gewor­den und es seien Waffen beschafft worden, sagte Halden­wang in einem ZDF-«Spezial». Er beton­te: «Die deutschen Sicher­heits­be­hör­den insge­samt hatten die Lage jeder­zeit unter Kontrol­le. Doch wenn es nach dieser Gruppe gegan­gen wäre, dann war diese Gefahr schon recht real.»

BKA-Chef Münch sagte, man habe nicht bis zum letzten Moment warten, sondern genug Bewei­se sammeln wollen, dass es sich um eine terro­ris­ti­sche Verei­ni­gung hande­le. Über den Zeitpunkt des offen­kun­dig geplan­ten Umstur­zes gebe es noch keine Klarheit. Der BKA-Präsi­dent verwies aber auf einen «Rat», der Beschlüs­se treffe, und einen militä­ri­schen Arm, der auch Waffen beschaf­fe. «Da warten sie nicht bis zum letzten Augen­blick. Sondern, wenn das dann klar ist, dann heißt es auch: Zuschlagen.»

«Gehen davon aus, dass Perso­nen fest entschlos­sen waren»

General­bun­des­an­walt Peter Frank vertei­dig­te den Zeitpunkt der Razzi­en ebenfalls. Inner­halb der Verei­ni­gung habe es Diskus­sio­nen gegeben, ob bestimm­te Anläs­se von außen nicht Grund zum Losschla­gen hätten sein können, sagte Frank in einem ARD-«Brennpunkt». «Wir gehen davon aus, dass die Perso­nen in der Verei­ni­gung fest entschlos­sen waren und auch sicher waren, etwas zu tun», beton­te er. Es sei richtig gewesen, jetzt im Dezem­ber zuzugrei­fen und der Verei­ni­gung ein Ende zu bereiten.

An der Gefähr­lich­keit der Gruppie­rung hegt auch der Terro­ris­mus­exper­te Peter Neumann keine Zweifel. Von sogenann­ten Reichs­bür­gern gehe die größte Gefahr terro­ris­ti­scher Gewalt aus, sagte Neumann dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land (RND). «Sie sind fähig und willig, schwe­re Terror­an­schlä­ge gegen den Staat zu verüben», warnte er. «Sie formu­lie­ren am deutlichs­ten Wider­stands­nar­ra­ti­ve und behaup­ten, Recht und Legiti­ma­ti­on zu besit­zen, um gegen den Staat bewaff­ne­ten Wider­stand zu leisten», sagte der Experte.

Die CSU-Innen­ex­per­tin Andrea Lindholz sieht bei der Gewalt­be­reit­schaft in der Szene eine «neue Quali­tät». «Reichs­bür­ger» und Selbst­ver­wal­ter seien «alles andere als harmlo­se Spinner und Verschwö­rungs­theo­re­ti­ker», sagte die Vizeche­fin der Unions­frak­ti­on der «Rheini­schen Post».

Bundes­in­nen­mi­nis­te­rin Nancy Faeser warnte ebenfalls davor, die Gruppie­rung zu unter­schät­zen. Was sie so gefähr­lich mache, sei, «dass es einen militä­ri­schen Arm davon gab. Mit Menschen, die früher in der Bundes­wehr waren, also auch mit Waffen umgehen können», sagte die SPD-Politi­ke­rin in der ARD-Sendung «Maisch­ber­ger».

Bei Bundes­wehr und Bundes­po­li­zei «genau­er hingucken»

Bei Behör­den, die mit Waffen zu tun haben, etwa bei Bundes­wehr oder Bundes­po­li­zei, müsse man «noch mal genau­er hingu­cken», sagte sie. Verfas­sungs­schutz­prä­si­dent Halden­wang sprach sich in den ARD-«Tagesthemen» für einen Sicher­heits­check aus, den alle Perso­nen durch­lau­fen sollten, die in die Sicher­heits­be­hör­den von Bund und Ländern aufge­nom­men werden.

Aus Sicht der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Rechts­extre­mis­mus, Rassis­mus und Antise­mi­tis­mus engagiert, wurde die «Reichsbürger»-Szene zu lange unter­schätzt. Es habe in den vergan­ge­nen Jahren immer wieder deutli­che Zeichen dafür gegeben, dass die Anhän­ger gewalt­be­reit seien und offen­bar auch organi­siert, sagte der für die Stiftung arbei­ten­de Extre­mis­mus­for­scher Lorenz Blumen­tha­ler der Deutschen Presse-Agentur.

«Aber gerade in Sicher­heits­krei­sen wurden die Gruppie­run­gen oft verlacht und ihr enormes Gefah­ren­po­ten­zi­al trotz inten­si­ver Warnun­gen der Zivil­ge­sell­schaft auf die leich­te Schul­ter genom­men.» Spätes­tens seit den verei­tel­ten Plänen zur Entfüh­rung von Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach im April stehe das Thema aber auch in der Politik weit oben auf der Agenda, sagte Blumen­tha­ler. «Da lacht heute eigent­lich keiner mehr.»

USA begrü­ßen Sorgfalt der deutschen Regierung

Die US-Regie­rung hat der deutschen Regie­rung nach der Razzia gegen die Reichs­bür­ger­sze­ne Unter­stüt­zung angebo­ten. «Wir bleiben in engem Kontakt mit unseren Partnern in der Regie­rung und stehen bereit, um zu helfen, wenn wir darum gebeten werden», entgeg­ne­te die Spreche­rin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, gestern auf die Frage, ob die USA Deutsch­land zum Beispiel Geheim­dienst­in­for­ma­tio­nen in dieser Angele­gen­heit anbieten.

Man begrü­ße die Sorgfalt der deutschen Regie­rung und ihrer Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den im Kampf «gegen gewalt­tä­ti­gen Extre­mis­mus» und für die «Sicher­heit ihrer Bürger und Regierungseinrichtungen».