ROM (dpa) — Giorgia Meloni hat lange ausge­harrt. Nach dem Wahler­folg ihrer inter­na­tio­nal misstrau­isch beäug­ten Partei will die EU-Skepti­ke­rin Teil der Geschich­te Itali­ens werden. Sie ist auf dem besten Weg dorthin.

Giorgia Meloni lässt sich Zeit — sie weiß ja, dass man auf sie wartet. Erst Minuten vor Schlie­ßung der Wahllo­ka­le gibt die Römerin ganz leger in weißer Bluse und schwar­zer Leder­ja­cke ihre Stimme ab. Und als dann klar ist, dass sie mit ihren rechts­ra­di­ka­len Fratel­li d’Ita­lia die Parla­ments­wahl in Itali­en gewin­nen würde, dauert es noch mal drei Stunden, bis sich die Minis­ter­prä­si­den­tin in spe endlich vor Hunder­ten Repor­tern der Weltpres­se äußert. Schließ­lich hat sie auf diesen Moment selbst lange warten müssen.

Am Sonntag­abend haben Meloni und ihre «Brüder Itali­ens» das Land weit nach rechts gekippt. «Das ist eine Nacht des Stolzes, der Erlösung, der Tränen, der Umarmun­gen, der Träume, der Erinne­run­gen», sagt die 45-Jähri­ge, die seit ihrer Jugend politisch aktiv ist, in ihrer Rede. Wenn diese Nacht vorbei sei, müsse aber klar sein, «dass dies nicht das Ziel, sondern der Anfang ist».

Musso­li­ni-Symbo­lik im Wappen

Und viele Europä­er sind besorgt, was Giorgia Meloni und ihre im Faschis­mus verwur­zel­te Partei, die eine an den Dikta­tor Benito Musso­li­ni erinnern­de Flamme im Wappen hat, nun mit Itali­en vorha­ben. Zusam­men mit ihrer Allianz, der auch die rechts­po­pu­lis­ti­sche Lega und die konser­va­ti­ve Forza Italia angehö­ren, kommt die Römerin laut den Hochrech­nun­gen aus der Nacht auf eine klare Mehrheit im Parlament.

Als Meloni gegen halb drei Uhr morgens auf die Bühne im noblen Grand Hotel Parco dei Princi­pi tritt, kichert sie gelöst und winkt ihren Mitstrei­tern zu. Dann wird der 70er-Jahre-Hit «Il cielo è sempre più blu» von Rino Gaeta­no einge­spielt, Meloni singt tatsäch­lich etwas baff eine kurze Textzei­le mit. «Der Himmel wird immer blauer.»

Nach diesem Intro aber kehrt schnell der ernste Ton zurück zu Meloni, sie kann sehr streng wirken. Sie wolle die Regie­rung anfüh­ren, natür­lich — als ob das bei den hochge­rech­ne­ten Zahlen noch fraglich wäre. Meloni hat ihren Fratel­li deutlich mehr Prozent­punk­te verschafft als Lega und Forza Italia zusam­men. «Wenn man ein Teil der Geschich­te werden will, muss man Verant­wor­tung überneh­men», sagt sie.

Corona-Pande­mie und Krieg verschärf­ten Unzufriedenheit

Im Grunde war der Ausgang der Wahl kaum noch eine Überra­schung. Zu sehr hatten Meloni und ihre «Brüder Itali­ens» in den vergan­ge­nen Jahren zugelegt. Zuletzt profi­tier­ten sie als einzi­ge nennens­wer­te Opposi­ti­ons­par­tei von all den Unzufrie­de­nen aus den Corona- und Kriegs­mo­na­ten, die ihnen scharen­wei­se aus anderen Partei­en zuliefen.

Vor allem die Lega, bis vor wenigen Monaten noch stärks­te Kraft am rechten Rand, verspiel­te enorm an Glaub­wür­dig­keit: Weil sie einer­seits als Regie­rungs­par­tei den Kurs von Premier Mario Draghi mittra­gen musste — anderer­seits aber Partei­chef Matteo Salvi­ni gemäß seinem Populis­ten­na­tu­rell immer wieder über die Maßnah­men polter­te. Der Absturz auf einstel­li­ge Werte — und das nur gut drei Jahre nach einem Ergeb­nis von mehr als 34 Prozent bei den Europa­wah­len 2019 — bringt Salvi­ni auch inner­halb der Partei in große Schwierigkeiten.

Nun also Meloni. Die war ja noch nicht an der Reihe, dachten viele Italie­ner. Gleich vier ehema­li­ge Minis­ter­prä­si­den­ten waren in diesem Wahlkampf aktiv, die alle in den vergan­ge­nen Jahren mindes­tens einmal mit ihren Regie­run­gen geschei­tert waren. Und selbst der im In- und Ausland allseits respek­tier­te Draghi kam zu Fall. Dann soll es eben Meloni probie­ren, sagten einige Italie­ner lapidar. Nach einem oder zwei Jahren werde eh auch sie wieder abgelöst, denken andere.

EU-Politi­ker besorgt

In den Haupt­städ­ten des Konti­nents blickt man weniger entspannt nach Rom. Just in Zeiten, in denen die Einig­keit Europas im Kampf gegen Kreml­chef Wladi­mir Putin und gegen die explo­die­ren­den Energie­kos­ten als Folge des Ukrai­ne-Krieges gefragt ist, bangen manche vor einem Aussche­ren Itali­ens. Melonis Sieg sei «besorg­nis­er­re­gend», sagte Katha­ri­na Barley (SPD), die Vize-Präsi­den­tin des EU-Parla­ments, der «Welt».

Meloni ist eine EU-Skepti­ke­rin, schimpf­te erst im Juni über die «Bürokra­ten in Brüssel». Die Sanktio­nen der EU-Kommis­si­on gegen Ungarn und Polen kriti­siert sie. Mit Ungarns Minis­ter­prä­si­den­ten Viktor Orban ist sie befreun­det, die polni­sche PiS-Partei ist im Europa­par­la­ment mit den Fratel­li in einer Frakti­on. Polens Regie­rungs­chef Mateusz Morawi­ecki gratu­liert noch in der Nacht.

Wird Itali­en unter der Natio­na­lis­tin Meloni der EU den Rücken kehren? Oder aus dem Euro austre­ten? Sprengt der Rechts­ruck die ganze Union? «Unsinn» nannte die Römerin derar­ti­ge Schre­ckens­sze­na­ri­en. Dazu verschick­te sie im August einen Video­clip, in dem sie zur Beruhi­gung der europäi­schen Partner auf Englisch, Franzö­sisch und Spanisch sprach. Ein deutsches Video war nicht dabei — sie habe eine «gewis­se Aversi­on gegen Deutsch­land», schrieb Meloni in ihrer Autobiografie.

In der Eupho­rie des Sieges kündigt die Fratel­li-Partei­che­fin an, dass sie das Land einen und eine Minis­ter­prä­si­den­tin für alle sein wolle. Dann sagt sie: «Wir müssen wieder stolz sein, Italie­ner zu sein.»