WENDLINGEN (dpa/lsw) — Ein Dutzend Jahre Bauzeit, rund vier Milli­ar­den Euro Kosten: Die Bahn schlägt mit der Neubau­stre­cke ein neues Kapitel für die Verbin­dung zwischen Ulm und Stutt­gart auf. Auch sonst soll sich einiges ändern — und vieles erst in ein paar Jahren.

Nur ein teurer Zeitge­winn oder ein entschei­den­der Schritt nach vorne? Eine Viertel­stun­de sparen Reisen­de zwischen Stutt­gart und München durch die Neubau­stre­cke Wendlin­gen-Ulm, über die Züge von diesem Sonntag an erstmals offizi­ell fahren werden. Abseits der Kosten von knapp vier Milli­ar­den Euro sind viele Hoffnun­gen mit dem Projekt verbun­den. Auch im Fahrplan wird sich das eine oder andere ändern. Freige­ge­ben wird die Neubau­stre­cke zum Fahrplan­wech­sel am Sonntag. Feier­lich und im Beisein von Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann soll sie bereits am Freitag­vor­mit­tag eröff­net werden.

«Mit der neuen Schnell­fahr­stre­cke Wendlin­gen-Ulm werden völlig neue Verbin­dun­gen möglich», wirbt Bahn-Infra­struk­tur­vor­stand Berthold Huber. «Die Fahrzeit­ver­kür­zun­gen gehen deutlich über Stutt­gart und Ulm hinaus.» Die Strecke sei zudem Voraus­set­zung für den Halbstun­den­takt in deutsche Metropolen.

Der Bahnbe­auf­trag­te der Bundes­re­gie­rung, Micha­el Theurer, spricht von einer «Revolu­ti­on der Reise­zeit» und einer ingenieur­tech­ni­schen Meister­leis­tung. «Das Land ist damit noch stärker in die Magis­tra­le für Europa von Paris über Stutt­gart und Wien nach Bratis­la­va einge­bun­den», sagte der Staatssekretär.

Und Ulms Oberbür­ger­meis­ter Gunter Czisch ist überzeugt: «Die Neubau­stre­cke hat eine ähnli­che Bedeu­tung wie der Bau der Eisen­bahn überhaupt.» Sie werde Ulm zum Gewin­ner im Wettbe­werb der Städte und Regio­nen machen — «wenn wir es gut machen», sagte er der «Südwest­pres­se».

Während die 60 Kilome­ter lange Neubau­stre­cke fertig ist, lässt Stutt­gart 21 auf sich warten. Deshalb könne der Bau zwischen Wendlin­gen und Ulm seine Vortei­le in Summe erst ab 2025 mit der geplan­ten Fertig­stel­lung des neuen Stutt­gar­ter Haupt­bahn­hofs ausspie­len, teilten Bahn und Land mit. Selbst dann werden viele Teile des Projekts nur auf dem Papier stehen und nicht umgesetzt sein.

Profi­tie­ren werden von der neuen Schie­ne unter anderem Zugrei­sen­de zwischen Tübin­gen, Reutlin­gen und Ulm. Hier verkürzt sich die Fahrzeit über die Neubau­stre­cke um bis zu 40 Minuten. Zwischen Ulm und Wendlin­gen fahren künftig zudem stünd­lich Regio­nal­zü­ge mit Tempo 200. In beide Richtun­gen fährt außer­dem einmal pro Stunde ein ICE über die Neubau­stre­cke. Mit ihr gibt es laut Bahn ein verbes­ser­tes tägli­ches Angebot zwischen Stutt­gart und München um rund 20 auf 90 Fahrten.

Der Wermuts­trop­fen des sogenann­ten Vorlauf­be­triebs: Die Trasse deckt nur einen Teil der geplan­ten Strecke zwischen Stutt­gart und Ulm ab. Je nach Fahrt­rich­tung wird vor oder hinter Wendlin­gen erstmal gebremst. Denn wegen der hohen Strecken­be­las­tung zwischen Wendlin­gen, Plochin­gen und Stutt­gart können die Regio­nal­zü­ge laut Bahn nicht direkt nach Stutt­gart gelei­tet werden. In Wendlin­gen heißt es also «Umstei­gen» für Reisen­de im Regio­nal­ver­kehr — sie müssen mit der Neckar-Alb-Bahn weiter. Der Fernver­kehr fährt neben der neuen Trasse nach wie vor auch über die bishe­ri­ge Strecke via Geislin­gen und Göppin­gen durch das Filstal.

Mit dem Start der Neubau­stre­cke, die teilwei­se paral­lel der Autobahn 8 verläuft, verkürzt sich die Reise­zeit im Regio­nal­ver­kehr zwischen Ulm und Stutt­gart zunächst um vier bis sieben Minuten. ICE-Züge brauchen auf dieser Strecke dann rund 15 Minuten weniger. Erstma­lig wird zudem der neue Regio­nal­halt Merklin­gen angesteu­ert. Wird schließ­lich auch der Stutt­gar­ter Tiefbahn­hof mit seinen Anschlüs­sen 2025 in Betrieb genom­men, soll die Fahrzeit zwischen Stutt­gart und Ulm insge­samt rund eine halbe Stunde kürzer sein.

Das Bahnpro­jekt Stutt­gart-Ulm umfasst neben der Neubau­stre­cke auch den Tiefbahn­hof in der Stutt­gar­ter Innen­stadt samt unter­ir­di­scher Anbin­dung an den Flugha­fen. Das Projekt kostet mehr als 9 Milli­ar­den Euro. Im Finan­zie­rungs­ver­trag waren 2009 noch 4,5 Milli­ar­den Euro festge­legt worden. 1995 hatten Bahn, Bund, Land und Stadt die Kosten mit rund 2,6 Milli­ar­den Euro veran­schlagt. Als Gründe für die Steige­run­gen werden unter anderem gestie­ge­ne Bauprei­se, Fehlkal­ku­la­tio­nen, Aufla­gen aus Geneh­mi­gun­gen sowie Änderun­gen techni­scher Vorschrif­ten aufgeführt.