KARLSRUHE (dpa/lsw) — Weg von Atomstrom, hin zu mehr grüner Energie: Das war die Missi­on des bishe­ri­gen EnBW-Chefs Mastiaux. In zehn Jahren hat er einiges auf den Weg gebracht, doch der Neue muss die Trans­for­ma­ti­on jetzt beschleunigen.

Der Karls­ru­her Energie­kon­zern EnBW soll demnächst von Andre­as Schell, dem bishe­ri­gen Chef des Großmo­to­ren­her­stel­lers Rolls-Royce Power Systems, geführt werden. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Diens­tag aus Kreisen des EnBW-Aufsichts­rats. Der 52-jähri­ge Manager folgt auf Frank Mastiaux, der den dritt­größ­ten Versor­ger in Deutsch­land Ende Septem­ber nach zehn Jahren wie schon angekün­digt verlas­sen wird. Die EnBW hat im vergan­ge­nen Jahr einen Umsatz von knapp 32,15 Milli­ar­den Euro und einen Betriebs­ge­winn (berei­nig­tes Ebitda) von 2,96 Milli­ar­den Euro erzielt. Das Unter­neh­men hat gut 26.000 Beschäf­tig­te und 5,5 Millio­nen Kunden.

In der Findungs­kom­mis­si­on des Aufsichts­rats haben sich die beiden großen Anteils­eig­ner, das Land Baden-Württem­berg und der kommu­na­le Zweck­ver­band Oberschwä­bi­sche Elektri­zi­täts­wer­ke (OEW), schon auf Schell verstän­digt, erfuhr die dpa. Am Donners­tag soll der Aufsichts­rat die Perso­na­lie offizi­ell beschlie­ßen, das gilt als Formsa­che. EnBW-Aufsichts­rats­chef Lutz Feldmann und auch Rolls-Royce Power Systems wollten die Perso­na­lie auf Anfra­ge nicht kommentieren.

Der bishe­ri­ge EnBW-Chef Frank Mastiaux hat den einsti­gen Atomkon­zern umgebaut und den Anteil der erneu­er­ba­ren Energien kräftig erhöht. Durch den russi­schen Krieg in der Ukrai­ne steht die ganze Branche und somit bald auch Schell vor einer großen Heraus­for­de­rung: Die Branche muss unabhän­gig von russi­schem Gas werden. Das wird schwie­rig, weil man nach dem Atomaus­stieg Ende 2022 eigent­lich mit Hilfe von Gaskraft­wer­ken den Übergang zu ausrei­chend regene­ra­ti­ven Energien überbrü­cken wollte.

Schell ist seit fünf Jahren Chef bei Rolls-Royce Power Systems, einem Spezia­lis­ten für Antriebs­sys­te­me und Großmo­to­ren mit Haupt­sitz in Fried­richs­ha­fen am Boden­see. Erst im Januar wurde sein Vertrag vorzei­tig bis 2025 verlän­gert. Der Maschi­nen­bau­in­ge­nieur hat in den 2000er Jahren für den damali­gen Daimler­Chrys­ler-Konzern gearbei­tet und sollte den US-Autobau­er umstruk­tu­rie­ren. Nach der Insol­venz von Chrys­ler 2009 wechsel­te Schell zu dem frühe­ren ameri­ka­ni­schen Luftfahrt­kon­zern UTC und war dort für die Digital­stra­te­gie verantwortlich.

Bei Rolls-Royce Power Systems ist er Chef von etwa 9000 Mitar­bei­tern. Unter der Marke mtu vertreibt das Unter­neh­men Motoren und Antriebs­sys­te­me für Schif­fe, Energie­er­zeu­gung, schwe­re Land- und Schie­nen­fahr­zeu­ge, militä­ri­sche Fahrzeu­ge sowie für die Öl- und Gasin­dus­trie. Seit einer Struk­tur­re­form im April 2021 beschäf­tigt sich eine Sparte ausschließ­lich mit klima­freund­li­chen Produk­ten wie Antrie­ben mit Wasserstoff.

Schell ist Ausdau­er­sport­ler: Der 52-Jähri­ge beschreibt sich selbst als leiden­schaft­li­chen Triath­le­ten. Bei der EnBW muss er sich dauer­haft mit dem Einfluss der Politik ausein­an­der­set­zen. Das Unter­neh­men ist seit 2011 größten­teils im Besitz der öffent­li­chen Hand. Das Land Baden-Württem­berg hält fast 47 Prozent an dem Konzern und dem Zusam­men­schluss OEW von neun oberschwä­bi­schen Landkrei­sen gehören ebenfalls fast 47 Prozent. In dem Zweck­ver­band sind die Kreise Alb-Donau, Biber­ach, Boden­see, Freuden­stadt, Ravens­burg, Reutlin­gen, Rottweil, Sigma­rin­gen und Zollernalb vertreten.

Seit der Atomka­ta­stro­phe von Fukushi­ma vor gut elf Jahren vollzieht EnBW unter Mastiaux einen strik­ten Kurswech­sel. Konven­tio­nel­le Kraft­werks­blö­cke wurden still­ge­legt, die CO2-inten­si­ve Erzeu­gung reduziert. Ende dieses Jahres soll das letzte EnBW-Kernkraft­werk, Block II in Neckar­west­heim (Kreis Heilbronn), vom Netz gehen.

EnBW entwi­ckelt Wind- sowie Solar­parks und baut die Schnell­la­de­infra­struk­tur für E‑Mobilität in Deutsch­land aus. Erneu­er­ba­re Energien haben inzwi­schen einen Anteil von 40 Prozent. Seit 2012 hat sich allein die instal­lier­te Leistung der Windkraft von 218 auf 2000 Megawatt mehr als verneunfacht.

Und auch die neuen Ziele sind schon gesetzt: Bis 2050 sollen die Erneu­er­ba­ren mehr als drei Viertel des Portfo­li­os ausma­chen. Vergan­ge­nes Jahr lag ihr Anteil schon bei knapp über 50 Prozent. In 2035 wollen die Karls­ru­her dann nur noch Strom aus Gaskraft­wer­ken, Erneu­er­ba­ren sowie Speichern produ­zie­ren. Bis dahin will der Karls­ru­her Konzern auch Klima­neu­tra­li­tät erreichen.

Noch bezieht der dritt­größ­te deutsche Strom­kon­zern hinter Uniper und Eon für seine Kunden aber einen «nicht unerheb­li­chen Teil» von Stein­koh­le und Gas aus Russland. Für die Kohle sieht Mastiaux die Lage als kontrol­lier­bar an — selbst wenn russi­sche Liefe­run­gen ausblei­ben. Beim Gas gebe es aber keinen kurzfris­ti­gen Ersatz.