Jünge­re Gemein­de­rä­te, ältere Bürger­meis­ter und auch keine Spaßkan­di­da­ten mehr, die Wahlgän­ge zum «Kasper­le­thea­ter» verkom­men lassen: Mit mehre­ren größe­ren Änderun­gen beim Wahlrecht für Kommu­nal­wah­len wagt sich Baden-Württem­berg trotz recht­li­cher Beden­ken bundes­weit auf Neuland. Ziel ist es unter anderem, kommu­nal­po­li­ti­sche Ämter attrak­ti­ver zu machen und jünge­re Menschen für die politi­sche Arbeit zu motivie­ren. Aller­dings sehen nicht nur die kommu­na­len Dachver­bän­de die Änderun­gen kritisch, die der baden-württem­ber­gi­sche Landtag am Mittwoch mit großer Mehrheit und gegen die Stimmen von FDP und AfD beschlos­sen hat.

Die wichtigs­te Neuerung: Künftig können bereits 16-Jähri­ge für Gemeinde‑, Ortschafts- und Kreis­rä­te kandi­die­ren und Politik mitge­stal­ten. Bislang dürfen sie bei den Kommu­nal­wah­len nur ihre Stimme abgeben, das wird als aktives Wahlrecht bezeich­net. Selbst kandi­die­ren konnten sie aber noch nicht (passi­ves Wahlrecht).

Alters­gren­zen werden aber nicht nur nach unten geändert: Bei der Kommu­nal­wahl 2024 sind Bürger­meis­ter nicht mehr erst ab 25 wählbar, sondern bereits als 18-Jähri­ge. Zugleich fällt die Alters­ober­gren­ze für Kandi­da­ten. Wohnungs­lo­se Menschen dürfen analog zum Landtags­wahl­recht auch bei Kommu­nal­wah­len abstimmen.

Ebenfalls neu: Aus Neuwah­len werden Stich­wah­len. Kann also keiner der Kandi­da­ten im ersten Wahlgang die absolu­te Mehrheit der Stimmen gewin­nen, gibt es keine Neuwahl, bei der sich auch neue Kandi­da­ten bewer­ben und alte ausstei­gen konnten. Sondern es wird in einer Stich­wahl entschie­den zwischen den beiden Kandi­da­ten mit den meisten Stimmen. Gewähl­te Bewer­ber könnten sich damit stets auf eine absolu­te Mehrheit der gülti­gen Stimmen stützen und erhiel­ten damit «eine stabi­le demokra­ti­sche Legiti­ma­ti­on», sagte Innen­mi­nis­ter Thomas Strobl (CDU).

Auch das Phäno­men gerade­zu vagabun­die­ren­der Spaßkan­di­da­ten soll der Vergan­gen­heit angehö­ren: Um die Zahl der völlig chancen­lo­sen Spaßbe­wer­bun­gen einzu­däm­men müssen Kandi­die­ren­de für das Bürger­meis­ter­amt nun in allen Gemein­den eine bestimm­te Anzahl von Unter­schrif­ten vorle­gen, um zu zeigen, dass ihre Bewer­bung unter­stützt wird. Bislang war das nur in Kommu­nen mit über 20.000 Einwoh­nern nötig. Zuletzt hatten unter anderem die Bürger­meis­ter­wah­len in Bad Herren­alb mit 35 und Achstet­ten mit 19 Bewer­bun­gen für Aufse­hen und Kritik gesorgt.

Grüne und CDU warben auch am Mittwoch im Landtag für ihre Pläne, die aus ihrer Sicht dem Bedürf­nis junger Menschen nach Betei­li­gung entspre­chen. «Wir ermög­li­chen ihnen die Chance auf Mitspra­che wie sie in anderen Bundes­län­dern erst ab 18 möglich ist», sagte die Grünen-Abgeord­ne­te Swant­je Sperling. Als einzi­ge Opposi­ti­ons­par­tei stimm­te die SPD dem Vorha­ben zu. Die FDP lehnte die Absen­kung des passi­ven Wahlal­ters aus recht­li­chen Beden­ken dagegen ab. «Das Risiko ist uns zu groß. Das wirkt wie ein “Augen zu und durch”», sagte Julia Goll für die Libera­len. Aus Sicht der AfD sind die Änderun­gen eine «Schnaps­idee».

Als Sprecher der Kommu­na­len Landes­ver­bän­de hatte der Präsi­dent des baden-württem­ber­gi­schen Gemein­de­tags, Steffen Jäger, bereits in der Anhörung im Innen­aus­schuss angeführt, es gebe «inner­halb der Kommu­nen wesent­li­che inhalt­li­che Beden­ken gegen die Absen­kung des passi­ven Wahlal­ters auf 16 Jahre». Der Gemein­de­tags­prä­si­dent nannte die Verein­bar­keit mit der Schul­pflicht der jungen Kommu­nal­po­li­ti­ker als ein Beispiel. Umstrit­ten ist auch, ob bei minder­jäh­ri­gen Gemein­de­rats­mit­glie­dern der Grund­satz des freien Mandats auf die Regelun­gen des Minder­jäh­ri­gen­schut­zes und die Eltern­rech­te in Konflikt kommt. Minder­jäh­ri­ge dürfen zudem keine Aufsichts­rä­te einer GmbH oder eine Aktien­ge­sell­schaft sein.