WIEN (dpa) — Am Samstag besuch­te Neham­mer die Ukrai­ne. Heute will er als erster EU-Regie­rungs­chef seit Beginn des Kriegs nach Moskau. Überstei­ger­te Erwar­tun­gen hat er dabei jedoch nicht.

Der öster­rei­chi­sche Bundes­kanz­ler Karl Neham­mer wird heute mit Russlands Präsi­dent Wladi­mir Putin in Moskau zusam­men­tref­fen. Das gab der konser­va­ti­ve Regie­rungs­chef in Wien am Sonntag bekannt.

Neham­mer ist damit der erste westli­che Regie­rungs­chef, der seit Kriegs­be­ginn zu Putin nach Moskau reist. Sein Sprecher Daniel Kosak sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass Neham­mer über die Türkei nach Moskau fliegen werde. Dort sei das Gespräch mit Putin für den Nachmit­tag geplant. Zuvor hatte die «Bild»-Zeitung darüber berich­tet. In Moskau bestä­tig­te Kreml­spre­cher Dmitri Peskow das geplan­te Treffen.

Drei Ziele in Moskau

Als Ziele seiner Reise nannte Neham­mer auf Twitter humani­tä­re Korri­do­re, einen Waffen­still­stand und die vollstän­di­ge Aufklä­rung von Kriegs­ver­bre­chen. Die ukrai­ni­sche Regie­rung erwar­te für die kommen­den Tage eine «große Schlacht» im Osten des Landes, hieß es von Sprecher Kosak. Hierfür müssten Abspra­chen über Korri­do­re getrof­fen werden.

Außer­dem sagte Neham­mer vor Journa­lis­ten in Wien, dass er den Dialog zwischen der Ukrai­ne und Russland fördern wolle. Der Kanzler beton­te, dass er Putin gegen­über «nicht moralisch neutral» auftre­ten werde. «Reden heißt nicht, seine Positi­on aufzu­ge­ben», sagte Neham­mer. «Ganz im Gegen­teil, ich sage sie ihm.»

Der Kanzler twitter­te, dass er verschie­de­ne Spitzen­po­li­ti­ker vorab über seine Reise infor­miert habe: den ukrai­ni­schen Präsi­den­ten Wolodym­yr Selen­skyj, EU-Kommis­si­ons­prä­si­den­tin Ursula von der Leyen, den EU-Ratsprä­si­den­ten Charles Michel, den deutschen Bundes­kanz­ler Olaf Scholz und den türki­schen Präsi­den­ten Recep Tayyip Erdogan.

Neham­mer: Keine großen Wunder zu erwarten

«Alles, was getan werden kann, um den Menschen in der Ukrai­ne zu helfen, den Krieg zu stoppen, soll getan werden», meinte Neham­mer. Er räumte jedoch ein, dass die Reise nach Moskau «eine Risiko­mis­si­on» sei, von der keine großen Wunder zu erwar­ten seien. Es gehe um humani­tä­re Ziele, verlau­te­te dazu aus dem Kanzler­amt. Die russi­sche Seite lasse zum Beispiel in den Kampf­ge­bie­ten keine humani­tä­re Hilfe etwa durch das Rote Kreuz zu.

Neham­mer war am Samstag mit Selen­skyj in Kiew zusam­men­ge­kom­men und hatte auch die nahe gelege­ne Stadt Butscha besucht, wo nach dem Abzug russi­scher Truppen Hunder­te Leichen gefun­den worden waren. Der öster­rei­chi­sche Kanzler drück­te in der Ukrai­ne seine Unter­stüt­zung für die Aufar­bei­tung dieser Verbre­chen aus und kündig­te weite­re EU-Sanktio­nen gegen Russland an.

Neham­mer hat seit dem Beginn der russi­schen Invasi­on mehrfach betont, dass Öster­reich weiter­hin militä­risch neutral sei, aber politisch auf der Seite der Ukrai­ne stehe. Nach länge­rem Zögern wies das Außen­mi­nis­te­ri­um in Wien am Donners­tag vier russi­sche Diplo­ma­ten aus. Öster­reich hat zwar bislang alle EU-Sanktio­nen gegen Moskau mitge­tra­gen, doch die konser­va­tiv-grüne Regie­rung in Wien ist gegen einen Import­stopp für russi­sches Gas. Öster­reichs vorsich­ti­ge Haltung hat mit der Rolle Wiens als Sitz der Verein­ten Natio­nen und der Organi­sa­ti­on für Sicher­heit und Zusam­men­ar­beit in Europa (OSZE) zu tun — das einzi­ge regio­na­le Sicher­heits­fo­rum, in dem Russland und westli­che Staaten weiter­hin regel­mä­ßig zusammenkommen.

Der deutsche Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) hatte, ebenso wie der franzö­si­sche Präsi­dent Emmanu­el Macron, in den vergan­ge­nen Wochen mehrfach mit Putin telefo­niert — aller­dings ohne den Kriegs­ver­lauf sicht­bar zu beeinflussen.

Derzeit steht Scholz unter Druck, wie Neham­mer und andere westli­che Politi­ker in die Ukrai­ne zu reisen und dabei weite­re Hilfs­zu­sa­gen unter anderem für Waffen­lie­fe­run­gen zu machen. In dem Sinne äußer­te sich der ukrai­ni­sche Botschaf­ter in Deutsch­land, Andrij Melnyk, und mehre­re Unions-Politi­ker am Wochen­en­de. Selbst von Scholz’ Koali­ti­ons­part­ner FDP kommen Appel­le, mehr Führungs­stär­ke zu zeigen.