BERLIN (dpa) — Die vierte Welle in Deutsch­land hat sich zwar etwas abgeschwächt. Die Inzidenz bewegt sich aber immer noch auf sehr hohem Niveau. Was die neue Omikron-Varian­te in dieser Gemenge­la­ge bedeutet.

Mit Omikron breitet sich eine Corona-Varian­te inter­na­tio­nal aus, vor der selbst Geimpf­te und Genese­ne keinen optima­len Schutz haben. Der für das Virus empfäng­li­che Teil der Bevöl­ke­rung dürfte sich damit im Vergleich zur Lage mit der Delta-Varian­te erheb­lich vergrö­ßern, schät­zen Experten.

Da Omikron relativ neu ist, lassen sich viele Eigen­schaf­ten aber noch nicht mit Sicher­heit beschrei­ben. «Es sind noch mehr Fragen über Omikron offen als beant­wor­tet», sagte die Infek­tio­lo­gin Jana Schroe­der von der Stiftung Mathi­as-Spital in Rheine. Im Prinzip täglich erschei­nen neue Erkennt­nis­se — meist noch nicht von exter­nen Fachleu­ten überprüft. Dazu Fragen und Antworten:

Was macht Omikron so besonders?

Die Varian­te hat auffäl­lig viele Erbgut­ver­än­de­run­gen an Schlüs­sel­stel­len. Mehr als 30 Mutatio­nen betref­fen das sogenann­te Spike-Prote­in, mit dem das Virus mensch­li­che Zellen entert. Das Problem: Die bishe­ri­gen Impfstof­fe sind auf das Spike-Prote­in des Corona­vi­rus vom Pande­mie­be­ginn ausge­rich­tet. Verän­dert sich ein Virus so, dass Antikör­per von Genese­nen und Geimpf­ten weniger gut anspre­chen, nennen Fachleu­te dies Immun­flucht. Daneben gebe es Hinwei­se unter anderem aus geneti­schen Analy­sen, dass Omikron per se anste­cken­der sei als Delta, sagte Model­lie­rer Dirk Brock­mann von der Humboldt-Univer­si­tät Berlin. Allein die Immun­flucht könne die Wachs­tums­ra­ten nicht erklären.

Mit welchem Schutz können Geimpf­te noch rechnen?

Der Schutz vor schwe­rer Erkran­kung dürfte vielen Exper­ten zufol­ge auch bei Omikron erhal­ten bleiben. «Daten, die das sicher belegen, fehlen aber noch», sagte Schroe­der. Bishe­ri­ge Labor­tests deuten darauf hin, dass mit der Varian­te Infek­tio­nen bei Geimpf­ten drohen. Omikron dürfte eher die erste Abwehr­li­nie, die Antikör­per, überwin­den können. Das Immun­sys­tem Geimpf­ter hat aber noch weite­re Mittel, sich zur Wehr zu setzen.

Der Schutz vor einer Weiter­ga­be des Virus durch Geimpf­te dürfte bei Omikron erheb­lich beein­träch­tigt sein, erwar­tet Schroe­der. Insbe­son­de­re Menschen, die erst zweifach geimpft sind, dürften sich nicht in zu großer Sicher­heit wiegen und das Testen vernach­läs­si­gen. «Am besten wäre es, wenn sich die Menschen so vorsich­tig verhal­ten würden wie zu Pande­mie­be­ginn, als es noch keinen Impfstoff gab.»

Wie sehen die Ergeb­nis­se zu Omikron konkret aus?

Die Herstel­ler Biontech/Pfizer werte­ten zwei Impfstoff-Dosen als nicht ausrei­chen­den Schutz vor einer Infek­ti­on. Eine Bevöl­ke­rungs­stu­die aus Großbri­tan­ni­en ergab, dass die Wirksam­keit gegen eine sympto­ma­ti­sche Infek­ti­on mit Omikron 15 Wochen nach der zweiten Dosis Biontech auf 34 Prozent sinkt. Menschen, die mit zwei Dosen des Astra­ze­ne­ca-Präpa­rats geimpft worden waren, hatten keinen Schutz mehr vor sympto­ma­ti­scher Infek­ti­on. Zwei Wochen nach einer Booster-Impfung stieg die Effek­ti­vi­tät bei beiden Präpa­ra­ten auf über 70 Prozent.

Was bringt ein Booster?

Mit der Auffrisch­imp­fung können Antikör­per­spie­gel zum Schutz vor Anste­ckung zwar wieder angeho­ben werden, er ist nach bishe­ri­gen Erkennt­nis­sen aber nicht perfekt. Es sind bereits Omikron-Fälle bei dreifach Geimpf­ten bekannt. Die Virolo­gin Sandra Ciesek von der Unikli­nik Frank­furt warnte daher, dass eine Konzen­tra­ti­on auf die Booster-Kampa­gne nicht reichen werde, auch weil der Schutz wieder nachlasse.

Wie sehr ist Omikron schon verbreitet?

«Omikron breitet sich mit einer Geschwin­dig­keit aus, die wir bei keiner vorhe­ri­gen Varian­te gesehen haben», sagte der Chef der Weltge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on Tedros Adhanom Ghebrey­e­sus am Diens­tag in Genf. Laut WHO haben 77 Länder Nachwei­se gemel­det. Vermut­lich sei Omikron jedoch bereits in den meisten Ländern, nur noch unerkannt. Zum Beispiel in Südafri­ka und Großbri­tan­ni­en werden deutli­che Fallzah­len­an­stie­ge auf Omikron zurückgeführt.

Wie ist die Omikron-Lage in Deutschland?

Hierzu­lan­de scheint die Verbrei­tung nach den aktuells­ten verfüg­ba­ren Daten noch sehr gering zu sein, aber es werden auch längst nicht alle positi­ven Proben auf Varian­ten unter­sucht. Außer­dem gibt es einen Zeitver­zug bei der Auswer­tung. Laut RKI hat die Delta-Varian­te noch klar die Oberhand. Insge­samt waren bis 7. Dezem­ber knapp 30 Nachwei­se durch vollstän­di­ge Erbgut­ana­ly­sen verzeich­net, hinzu kamen 36 Verdachts­fäl­le. Der Anteil der Fälle, für die eine Gesamt­ge­nom­se­quen­zie­rung gemacht wurde, ist laut RKI jedoch zuletzt konti­nu­ier­lich gesun­ken. Er lag jüngst mit zwei Prozent klar unter den angestreb­ten fünf Prozent.

Welche Entwick­lung wird angenommen?

In Großbri­tan­ni­en nahmen Exper­ten eine Verdopp­lung der Fallzahl alle zwei bis drei Tage an, womög­lich sogar noch schnel­ler. Nach Einschät­zung der EU-Gesund­heits­be­hör­de ECDC dürfte Omikron schon in den ersten beiden Monaten 2022 zur dominie­ren­den Varian­te in Europa werden.

Brock­mann schil­der­te für Deutsch­land die Lage für Omikron so: Beim geboos­ter­ten Teil der Bevöl­ke­rung — etwa ein Viertel — sei die Übertra­gungs­wahr­schein­lich­keit verrin­gert, aller­dings nicht dauer­haft. Bei den übrigen Menschen könne der Erreger übertra­gen werden, auch «weil die erste und zweite Impfung praktisch nicht wirksam sind, was die Ausbrei­tungs­dy­na­mik angeht», sagte Brockmann.

Was muss man für Deutsch­land noch bedenken?

Was Deutsch­land zum Beispiel von Großbri­tan­ni­en und anderen Ländern unter­schei­de, seien die gelten­den Maßnah­men, sagte Schroe­der. «Wir lassen dem Virus im Moment nicht freien Lauf.» Die Vorzei­chen hält sie dennoch gerade für proble­ma­tisch: Die Gesund­heits­äm­ter seien bei der Kontakt­nach­ver­fol­gung in der laufen­den Delta-Welle bereits am Limit, auch Labor­er­geb­nis­se ließen teils länger auf warten. «Wenn in dieser Situa­ti­on noch eine neue, anste­cken­de­re Varian­te wie Omikron hinzu­kommt, kann man diese nicht so effek­tiv eindäm­men wie in einer Zeit mit niedri­ger Inzidenz.»

Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patien­ten­schutz kriti­siert den Wegfall von Extra-Tests für Dreifach-Geimpf­te bei Zugangs­re­geln. Damit werde gewis­ser­ma­ßen der «Infek­ti­ons­ra­dar» abgeschal­tet. «Dabei wissen wir, dass Infek­tio­nen den Kranken­haus­auf­nah­men voraus­ge­hen.» Dieser Schritt vor den Weihnachts­ta­gen mit mehr Kontak­ten sei brand­ge­fähr­lich. Hinzu komme, dass die Corona-Daten über die Feier­ta­ge wegen Melde­ver­zugs und geschlos­se­ner Arztpra­xen wie im Vorjahr eine Zeit lang wenig aussa­ge­kräf­tig sein dürften.

Wie schwer verlau­fen Omikron-Infektionen?

Das lässt sich für Deutsch­land noch nicht sicher beant­wor­ten. Es gibt erste Beobach­tun­gen über relativ milde Verläu­fe in Südafri­ka. Aber Exper­ten gehen eher nicht davon aus, dass es sich dabei um eine Eigen­schaft des Virus handelt. Denn die Angaben stützen sich auf relativ gerin­ge Fallzah­len bei eher jungen Betrof­fe­nen. Hinzu kommt, dass die meisten Menschen in Südafri­ka bereits als von Corona genesen gelten. Die WHO hielt kürzlich fest: «Wenn sich das klini­sche Profil der Patien­ten ändert, kann sich die Wirkung von Omikron ändern.»

Für eine relativ alte Gesell­schaft mit vielen Ungeimpf­ten wie in Deutsch­land kann das Bild somit anders ausfal­len als in Südafri­ka. Briti­sche Exper­ten beton­ten zudem, dass viele Infek­tio­nen erst vor recht kurzer Zeit gescha­hen, aber es brauche ja einige Zeit bis zur Kranken­haus­ein­wei­sung oder dem Tod. Selbst falls Omikron weniger schwer krank machen sollte, so könnte doch die schie­re Zahl der Fälle unvor­be­rei­te­te Gesund­heits­sys­te­me überfor­dern, mahnte die WHO.

Wie steht es um Kinder, wenn sie sich mit Omikron infizieren?

Auch hierzu kann man noch nichts Gesicher­tes sagen, erste Berich­te über schwe­re Verläu­fe bei kleinen Kindern sind deutschen Fachleu­ten zufol­ge noch als vorläu­fig zu betrach­ten. Auch bei frühe­ren Varian­ten habe es anfangs ähnli­che Berich­te gegeben, die sich dann nicht bewahr­hei­te­ten. Der Virolo­ge Chris­ti­an Drosten sagte kürzlich, er erwar­te nicht, dass Omikron harmlos sei für Menschen, deren Immun­sys­tem weder durch Impfung noch durch Infek­ti­on auf Sars-CoV‑2 vorbe­rei­tet ist.

Wie ist die Situa­ti­on in Südafri­ka, wo Omikron entdeckt wurde?

Die vierte Infek­ti­ons­wel­le hat Südafri­ka im Griff. Die Regie­rung hat nun Booster-Impfun­gen erlaubt. Epizen­trum des Infek­ti­ons­ge­sche­hens ist die Gauteng-Provinz — der Großraum um die Millio­nen­me­tro­po­le Johan­nes­burg sowie die Haupt­stadt Preto­ria. Mit den Sommer­fe­ri­en, die viele Bewoh­ner der ökono­misch und politisch wichtigs­ten Region nun an den Strän­den des Landes verbrin­gen, steigen dort die Fallzah­len auch deutlich. Betrof­fen sind vor allem die Provinz KwaZu­lu-Natal um die Hafen­stadt Durban sowie das Westkap um Kapstadt.

Was raten Exper­ten gegen Omikron?

Die Welle flach­hal­ten: Das ist das Motto, das viele Wissen­schaft­ler und die WHO ausge­ben. Auf die Kombi­na­ti­on von Maßnah­men komme es an: «Do it all. Do it consis­t­ent­ly. Do it well (Macht alles. Macht es konse­quent. Macht es gut)», sagte WHO-Chef Ghebrey­e­sus. Das Impfen allein werde kein Land aus dieser Krise bringen. Es brauche zusätz­lich etwa Masken, Abstand, Lüften, Handhy­gie­ne. Mehre­re Exper­ten halten an Omikron angepass­te Impfstof­fe für nötig. Deutsche Exper­ten riefen am Mittwoch zu schnel­lem, vorsorg­li­chem Handeln auf. Man müsse auf alle mögli­chen Szena­ri­en vorbe­rei­tet sein. Auch auf den Worst Case wie etwa steigen­de Krankenhausbelegungen.

Von Gisela Gross, dpa