BERLIN (dpa) — Vielen Pflege­be­dürf­ti­gen machen finan­zi­el­le Belas­tun­gen zu schaf­fen. Die Kosten für Heimplät­ze kennen seit Jahren nur eine Richtung: nach oben. Gerade ist eine Reform beschlos­sen — nur reicht das schon?

Die Pflege im Heim wird immer teurer und teurer. Die selbst zu zahlen­den Antei­le für Pflege­be­dürf­ti­ge und ihre Famili­en stiegen nochmals deutlich, wie eine Auswer­tung des Verbands der Ersatz­kas­sen mit Stand zum 1. Juli ergab. Im ersten Jahr im Heim waren demnach im bundes­wei­ten Schnitt 2548 Euro im Monat fällig — 348 Euro mehr als Mitte 2022. Dabei schla­gen höhere Löhne für dringend benötig­te Pflege­kräf­te durch. Aber auch Kosten für Unter­kunft, Essen und Trinken gingen nach oben. Und die Belas­tun­gen wachsen trotz inzwi­schen einge­führ­ter Entlas­tungs­zu­schlä­ge weiter. Forde­run­gen nach einer tiefgrei­fen­de­ren Finanz­re­form werden lauter.

In den Zahlun­gen aus eigener Tasche ist zum einen ein Eigen­an­teil für die reine Pflege und Betreu­ung enthal­ten. Denn die Pflege­ver­si­che­rung trägt — anders als die Kranken­ver­si­che­rung — nur einen Teil der Kosten. Für Heimbe­woh­ner kommen dann noch Kosten für Unter­kunft, Verpfle­gung und Inves­ti­tio­nen in den Einrich­tun­gen hinzu. Ohne die Entlas­tungs­zu­schlä­ge wären es im Schnitt für alle nun 2610 Euro pro Monat als gesam­te Zuzah­lung. Darun­ter erhöh­te sich allein der Eigen­an­teil für die reine Pflege binnen zwölf Monaten um 281 Euro auf durch­schnitt­lich 1245 Euro pro Monat. Und es sei davon auszu­ge­hen, dass er bis Jahres­en­de weiter steigt, warnte der Ersatzkassenverband.

Die Belas­tungs­dämp­fer

Als Kosten­brem­se gibt es seit 2022 neben der Zahlung der Pflege­kas­se einen Zuschlag, der mit der Aufent­halts­dau­er steigt. Den Eigen­an­teil nur für die Pflege drückt das im ersten Jahr im Heim um 5 Prozent, im zweiten um 25 Prozent, im dritten um 45 Prozent, ab dem vierten Jahr um 70 Prozent. Auch mit dem höchs­ten Zuschlag gingen die Zuzah­lun­gen aber im Schnitt auf 1738 Euro im Monat hoch — das waren 165 Euro mehr als zum 1. Juli 2022. Ausge­wer­tet wurden Vergü­tungs­ver­ein­ba­run­gen der Pflege­kas­sen mit Heimen in allen Bundes­län­dern. Die Daten bezie­hen sich auf Bewoh­ner mit den Pflege­gra­den 2 bis 5. Insge­samt dürften die Pflege­kas­sen in diesem Jahr wohl mehr als vier Milli­ar­den Euro für die Entlas­tungs­zu­schüs­se ausge­ben, erwar­tet der Ersatzkassenverband.

Die Kosten­trei­ber

Hinter­grund der Kosten­sprün­ge sind vor allem höhere Perso­nal­aus­ga­ben, wie der Verband erläu­ter­te. Denn seit Septem­ber 2022 müssen alle Einrich­tun­gen Pflege­kräf­te nach Tarif­ver­trag oder ähnlich bezah­len, um mit den Pflege­kas­sen abrech­nen zu können. Die Vorga­be hatte noch die schwarz-rote Vorgän­ger­re­gie­rung auf den Weg gebracht — auch um Pflege­kräf­te im Beruf zu halten und zu gewin­nen. Aber auch die Kosten für Unter­kunft und Verpfle­gung gingen nach oben: im Schnitt auf nun 888 Euro im Monat, nach 814 Euro Mitte 2022. Dabei gibt es regio­na­le Unter­schie­de. Alles in allem am teuers­ten war die Pflege im ersten Jahr im Heim in Baden-Württem­berg mit im Schnitt 2913 Euro im Monat. Am niedrigs­ten war die Belas­tung in Sachsen-Anhalt mit 1994 Euro.

Die Kosten-Zwick­müh­le

«Wir unter­stüt­zen die Maßnah­men für eine faire Bezah­lung des Pflege­per­so­nals», sagte Jörg Meyers-Midden­dorf, Vertre­ter des Vorstands beim Ersatz­kas­sen­ver­band. Es könne aber nicht sein, dass stetig steigen­de Kosten zum Großteil die Pflege­be­dürf­ti­gen schul­tern müssten. «Wenn der Aufent­halt im Pflege­heim von immer mehr Menschen nicht mehr bezahlt werden kann, läuft etwas gründ­lich schief.» Der Linke-Exper­te Ates Gürpi­nar mahnte: «Die Beschäf­tig­ten und die zu Pflegen­den dürfen nicht gegen­ein­an­der ausge­spielt werden.» Der Sozial­ver­band VdK kriti­sier­te: «Steigen­de Kosten in Pflege­hei­men dürfen nicht allein auf die Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner zurückfallen.»

Die ersten Gegenmaßnahmen

Gerade hat der Bundes­tag eine Reform von Gesund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach (SPD) beschlos­sen, die höhere Pflege­bei­trä­ge umfasst. Zum 1. Januar 2024 werden aber auch die Entlas­tungs­zu­schlä­ge erhöht. Der Eigen­an­teil für die reine Pflege soll so im ersten Jahr im Heim um 15 statt 5 Prozent verrin­gert werden, im zweiten Jahr um 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 Prozent, ab dem vierten Jahr um 75 statt 70 Prozent. Dies dürfte den Trend nur kurzfris­tig abmil­dern, sagte Meyers-Midden­dorf vom Ersatz­kas­sen­ver­band. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patien­ten­schutz, Eugen Brysch, monier­te, dass die Kosten­wel­le für die Regie­rung abseh­bar gewesen sei. «Doch der Tsuna­mi wurde nicht gestoppt.» Statt­des­sen komme bald «eine Mini-Entlastung».

Die weite­ren Forderungen

Es brauche eine nachhal­ti­ge Lösung nicht allein auf dem Rücken der Beitrags­zah­ler, forder­te der Ersatz­kas­sen­ver­band. So müssten die Länder die Inves­ti­ti­ons­kos­ten der Heime überneh­men. Das würde prompt entlas­ten — aktuell im Schnitt um 477 Euro im Monat. Der Verband der priva­ten Kranken­ver­si­che­rung warb für Pflege­zu­satz­ver­si­che­run­gen. Ohne mehr Vorsor­ge würden Beitrags­zah­ler und Bundes­haus­halt in der altern­den Gesell­schaft total überfor­dert. Patien­ten­schüt­zer Brysch verlang­te eine Erhöhung aller Leistungs­be­trä­ge um 350 Euro. Und die Pflege­ver­si­che­rung müsse Kosten der reinen Pflege komplett tragen.

Das Ziel einer Vollversicherung

Die Rufe nach einem solchen Ende aller Zuzah­lun­gen für die reine Pflege werden dring­li­cher. «Nur ein mutiger Schritt nach vorne für eine nachhal­ti­ge Finan­zie­rung kann menschen­wür­di­ge Pflege für alle gewähr­leis­ten», sagte DGB-Vorstands­mit­glied Anja Piel. Kommen müsse eine Vollver­si­che­rung, die alle pflege­ri­schen Kosten übernimmt und von allen finan­ziert wird. Die Linke und der VdK fordern ebenfalls eine Vollver­si­che­rung. VdK-Präsi­den­tin Verena Bente­le sagte, in Beratun­gen sehe man, dass viele Angst hätten, Sozial­hil­fe in Anspruch nehmen zu müssen. Und: «Ein Pflege­platz im Heim darf nicht arm machen.»

Von Sascha Meyer, dpa