Herbert Gröne­mey­er gehört zu den erfolg­reichs­ten Popstars Deutsch­lands, erhebt auch politisch seine Stimme. Der Durch­bruch als Sänger gelang ihm mit «Bochum». Was macht das «Phäno­men Gröne­mey­er» aus?

BOCHUM (dpa) — Herbert Arthur Wiglev Clamor Gröne­mey­er ist Musiker, Texter, Sänger, Produ­zent und Schau­spie­ler. Als junger Mensch hatte er eigent­lich von einer Fußball­kar­rie­re geträumt. Es ist bekannt­lich anders gekommen.

Herbert Gröne­mey­er wird diesen Montag (12.4.) 65 Jahre alt, gehört zu den Top-Stars des deutschen Rock, gilt vielen gar als Stimme der Nation und findet auch mit seinem sozial­po­li­ti­schen Engage­ment immer wieder Gehör. Sein großer Erfolg als vielsei­ti­ger Künst­ler sei schon ungewöhn­lich und außer­or­dent­lich, sagt der Musik­ex­per­te Heiko Maus zum «Phäno­men Grönemeyer».

Ein Rückblick: Vor 40 Jahren schlüpft Gröne­mey­er im Kinoepos «Das Boot» von Wolfgang Peter­sen in die Rolle des Kriegs­be­richt­erstat­ters Leutnant Werner — ein Millio­nen­pu­bli­kum wird auf ihn aufmerk­sam. Als Sänger will es zwar weiter eine Weile nicht klappen. Dann aber wird «4630 Bochum» zum erfolg­reichs­tem Album des Jahres 1984 in Deutsch­land — darauf sind Hits wie «Männer», «Flugzeu­ge im Bauch» oder «Bochum». Songs, die wohl bis heute fast jeder kennt.

Seitdem sind seine millio­nen­fach verkauf­ten Alben immer wieder wochen­lang auf Platz eins der Charts gelan­det. Das gilt auch für das aktuells­te von 2018: «Tumult». Und im vergan­ge­nen Jahr widme­te er Ärzten, Pflege­rin­nen, Kassie­re­rin­nen und Wissen­schaft­lern in der Pande­mie den Song «Helden dieser Zeiten».

Im Ruhrge­biet wird Gröne­mey­ers «Bochum» auch nach Jahrzehn­ten noch als Hymne gefei­ert. Für die Stadt gratu­liert Oberbür­ger­meis­ter Thomas Eiskirch (SPD) dem «Bochu­mer Jungen» herzlich, wünscht «unserem Herbert», dass er trotz Corona «bald wieder auf der Bühne stehen und auf Tour gehen kann». Gröne­mey­er kommt gebür­tig zwar aus Göttin­gen, ist aber in Bochum aufge­wach­sen, war dort nach der Schule musika­li­scher Leiter am Schau­spiel­haus. Bevor er auch in Hamburg, Berlin, Stutt­gart und Köln auf der Bühne stand.

Dem Musiker haftet weiter das Image des Ur-Bochu­mers an, obwohl er schon seit 2009 in Berlin lebt, zuvor einige Zeit in London wohnte. Das Ruhrge­biet habe ihn geprägt, sagte Gröne­mey­er Ende 2018 im «Zeit»-Interviewpodcast. Er habe dort eine schöne Kindheit verbracht, mit seinen Brüdern, einer Clique, beim Fußball, im Kirchen­chor. Vater Bergbau­in­ge­nieur, Mutter Krankenschwester.

«Gröne­mey­er gilt als der gebil­de­te Lieder­ma­cher aus dem einfa­chen Volk», sagt der Musik­be­ra­ter Maus. Er lasse sich «gerade­zu klischee­haft für die Rolle des deutschen Vorzei­ge­manns verein­nah­men, der den Aufstieg von ganz unten schaff­te». Maus spricht von einem «aufge­stie­ge­nen Pop-Poeten aus dem Ruhrge­biet». Das Ruhrpott-Image werde ganz bewusst aufrecht­erhal­ten. ««Aschenputtel»-Narrative tragen in der Pop-Kultur häufig zum Erfolg bei.»

Emotio­nen stecken in seiner Musik — Eupho­rie, Glück, Melan­cho­lie. 1998 sterben ein Bruder und kurz darauf seine Frau Anna. Die Trauer verar­bei­tet er in «Mensch» — ein Erfolg mit über drei Millio­nen verkauf­ten Alben. Sein Privat­le­ben schützt der Künst­ler. Er hat zwei Kinder, ist seit einigen Jahren wieder verheiratet.

Gröne­mey­er ist vielsei­tig: 2015 bringt er am Berli­ner Ensem­ble gemein­sam mit dem US-Regis­seur Robert Wilson das Musik­thea­ter­stück «Faust I und II» auf die Bühne. Er schreibt Sound­tracks für Filme — etwa für «The Ameri­can» mit George Clooney. Eine Rolle als TV-Kommis­sar in einem ARD-Sonntags­kri­mi lehnt er aber ab.

Für Inter­views zu seinem Geburts­tag stehe Gröne­mey­er nicht zur Verfü­gung, lässt er über seine Agentur wissen. Im Novem­ber 2016 nannte sich der Künst­ler in einem dpa-Gespräch einen «sowohl verschro­be­nen Einzel­gän­ger als auch Teamplay­er». Er arbei­te «unglaub­lich gerne mit anderen zusam­men», vor allem mit seiner Band. Der Sänger macht Front gegen Rassis­mus und Ausgren­zung. Seine Auftrit­te sind auch State­ments — so beim Festi­val «Kosmos Chemnitz» 2019 für Offen­heit und Toleranz.

Der Hambur­ger Exper­te Maus sieht auch Gröne­mey­ers sozial­po­li­ti­sches Engage­ment als Baustein seines Erfolgs. Sein Handeln stehe im Einklang mit den sozial­kri­ti­schen Texten. «Gröne­mey­er wirkt durch und durch authen­tisch. Wenn er sich einsetzt, dann aus persön­li­cher Motiva­ti­on und nicht, weil er dringend Publi­ci­ty braucht.» Er zeige Haltung, auch das mache ihn zum Sympa­thie­trä­ger. Der Sänger werde aber keines­falls von allen Deutschen gehört.

«Gröne­mey­er polari­siert mit seinem eigen­wil­li­gen Gesang, der positiv gespro­chen natür­lich als Marken­zei­chen einen sehr hohen Wieder­erken­nungs­wert hat, und ein wenig auch mit den schwe­ren Songtex­ten», sagt der Musik­gut­ach­ter. «Es sind jedoch gerade seine tiefgrün­di­gen, persön­li­chen und poeti­schen Liedtex­te, die bei bestimm­ten Menschen beson­ders gut ankom­men.» Die Texte seien mitun­ter metapho­risch und verwo­ben. «Seine unkla­re Ausspra­che beim Singen trägt nicht immer zum Verständ­nis der ohnehin schwe­ren Texte bei. Ich vermu­te, dass sein Erfolg teilwei­se auch gerade darin begrün­det liegt, dass Gröne­mey­er schwer verständ­lich ist.»

Und wie steht der Besun­ge­ne wohl zum Altern? Man kann vermu­ten, dass er es mit Gelas­sen­heit und Humor nimmt. Der Wochen­zei­tung «Die Zeit» verriet er 2018 augen­zwin­kernd, dass er mit 89 Jahren sein letztes Konzert geben wolle. Und vor zwei Jahren sagte er im NDR: «Wenn ich morgens in den Spiegel gucke, dann denke ich auch: War schon mal schöner.»

Von Yuriko Wahl-Immel, dpa