Winfried Kretsch­mann wird zum «Evergreen» in Baden-Württem­berg. Seine Grünen können über ein Top-Ergeb­nis jubeln, während die Südwest-CDU ins Tal der Tränen stürzt. Nun ist die große Frage: Mit wem will Kretsch­mann in seiner abseh­ba­ren dritten Amtszeit regieren?

STUTTGART (dpa) — Die Grünen mit Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann an der Spitze haben die Landtags­wahl in Baden-Württem­berg nach Progno­sen von ARD und ZDF mit großem Abstand gewon­nen. Die Südwest-CDU stürz­te am Sonntag in ihrer einsti­gen Hochburg ab und steuert auf das schlech­tes­te Ergeb­nis in ihrer Geschich­te zu.

Die grün-schwar­ze Koali­ti­on könnte zwar weiter­re­gie­ren, aller­dings haben die Grünen wohl auch die Möglich­keit, mit SPD und FDP ein Ampel-Bündnis zu bilden. Für den 72 Jahre alten Kretsch­mann wäre es schon die dritte Wahlpe­ri­ode an der Macht. Er hat sich noch nicht festge­legt, mit wem er regie­ren will.

Die Grünen landen bei 31 bis 31,5 Prozent und würden damit ihr Resul­tat von 30,3 Prozent von vor fünf Jahren überbie­ten, berich­te­ten ARD und ZDF unter Berufung auf Infra­test dimap und die Forschungs­grup­pe Wahlen. Die CDU mit Spitzen­kan­di­da­tin Susan­ne Eisen­mann kommt demnach nur auf 23 Prozent — das wäre deutlich schwä­cher als die 27 Prozent von vor fünf Jahren.

Rang drei ist hart umkämpft: Die AfD kann auf 11,5 bis 12,5 Prozent hoffen, verfehlt aber die starken 15,1 Prozent von vor fünf Jahren klar. Die SPD liegt bei 10,5 bis 12 Prozent, das wäre noch schlech­ter als die ohnehin schon schwa­chen 12,7 Prozent bei der Wahl 2016. Die FDP steigert sich (2016: 8,3) und kann mit 11 bis 11,5 Prozent rechnen. Die Linke verfehlt mit 3,5 Prozent erneut den Einzug in den Landtag.

Grünen-Landes­chef Oliver Hilden­brand sprach von einem «großen Vertrau­ens­be­weis» für seine Partei. «Wir wissen heute Abend nicht, mit wem wir wollen.» CDU-General­se­kre­tär Manuel Hagel sagte: «Das ist ein ganz bitte­rer Abend für die CDU Baden-Württem­berg.» Man drücke sich nicht davor, weiter zu regie­ren. Aber der Ball liege nun bei den Grünen.

Die Landtags­wah­len in Baden-Württem­berg und Rhein­land-Pfalz gelten als erster Stimmungs­test vor der Bundes­tags­wahl am 26. Septem­ber. Für die Union, die bundes­weit in den Umfra­gen weit vor den Grünen liegt, sind die Resul­ta­te der CDU in beiden Ländern ein schwe­rer Rückschlag. In Rhein­land-Pfalz lande­te die CDU laut ARD und ZDF deutlich hinter der SPD von Regie­rungs­chefin Malu Dreyer. Das Top-Ergeb­nis der Südwest-Grünen dürften der Bundes­par­tei Rücken­wind geben.

Bei der Südwest-CDU ist nach der Pleite ein Macht­kampf um die künfti­ge Aufstel­lung abseh­bar. Die 56-jähri­ge Eisen­mann, die auch um ihr Direkt­man­dat bangen muss, steht vor dem politi­schen Aus. Die Minis­te­rin hatte sich im Macht­kampf um die Spitzen­kan­di­da­tur so manche Feinde in der Partei gemacht, als sie mit Hilfe der Frakti­on Vize-Minis­ter­prä­si­dent und Landes­chef Thomas Strobl zur Seite dräng­te. Strobl gilt als Vertrau­ter von Kretsch­mann und könnte wohl am ehesten die Verhand­lun­gen für eine Fortset­zung der grün-schwar­zen Koali­ti­on führen. Die CDU will unbedingt verhin­dern, neben der AfD in der Opposi­ti­on zu landen.

Die Südwest-SPD rutscht im Gegen­satz zur rhein­land-pfälzi­schen Landes­par­tei immer weiter ab. Ein Hoffnungs­schim­mer für die SPD in Baden-Württem­berg, zu der auch die Bundes­vor­sit­zen­de Saskia Esken gehört, könnte eine Regie­rungs­be­tei­li­gung in einer Ampel mit Grünen und FDP sein. Die Libera­len gehen gestärkt aus der Wahl und hatten sich schon davor zu einem Bündnis mit Grünen und SPD bereit erklärt.

Der Wahlsieg der Grünen festigt die Vormacht­stel­lung der Ökopar­tei in Baden-Württem­berg, die Wahlfor­scher vor allem an der starken Stellung des Landes­va­ters Kretsch­mann festma­chen. Dagegen hat sich die über fast sechs Jahrzehn­te dominie­ren­de CDU inner­halb von 15 Jahren fast halbiert, im Jahr 2006 lag sie noch bei 44,2 Prozent.

Vor zehn Jahren war Kretsch­mann zum ersten grünen Minis­ter­prä­si­den­ten gewählt worden, nachdem Grün-Rot die schwarz-gelbe Koali­ti­on des damali­gen Minis­ter­prä­si­den­ten Stefan Mappus (CDU) überholt hatte. 2016 wurden die Grünen dann erstmals stärks­te Partei, aller­dings reich­te es nicht mehr für eine Koali­ti­on mit der SPD. Kretsch­mann ging ein Bündnis mit der CDU ein.

Insge­samt waren 7,7 Millio­nen Menschen aufge­ru­fen, über einen neuen Landtag abzustim­men. Darun­ter sind etwa 500 000 Erstwäh­le­rin­nen und Erstwäh­ler. 2016 lag die Wahlbe­tei­li­gung bei 70,4 Prozent. Diesmal hatten corona-bedingt viele schon vorher per Brief gewählt.

Der Wahlsieg der Grünen und die Schlap­pe der CDU hatten sich schon vor der Wahl in Umfra­gen abgezeich­net. Kultus­mi­nis­te­rin Eisen­mann stand demnach im Schat­ten des äußerst belieb­ten Regie­rungs­chefs. Der Wahlkampf im Südwes­ten war stark von der Pande­mie bestimmt und fand fast nur online statt. Eisen­mann brach­te sich als Verfech­te­rin offener Schulen («unabhän­gig von Inzidenz­zah­len») ins Gespräch, was ihr aber in Umfra­gen nichts brach­te. Sie versuch­te die Grünen und Kretsch­mann vor allem bei der Teststra­te­gie vor sich herzu­trei­ben, aber auch das kam kaum beim Wähler an — obwohl auch Kretsch­manns Krisen­kurs nicht frei von Wider­sprü­chen und Pannen war.