HANNOVER (dpa) — Explo­die­ren­de Energie­prei­se und der bange Blick in die Ukrai­ne haben den Landtags­wahl­kampf in Nieder­sach­sen geprägt. Die recht rumpe­li­ge Krisen­po­li­tik der Berli­ner Ampel hat die SPD geschwächt, aber nicht zu sehr.

Die SPD hat die Landtags­wahl in Nieder­sach­sen klar gewon­nen. Minis­ter­prä­si­dent Stephan Weil kann nun wie erhofft mit den Grünen ein neues Regie­rungs­bünd­nis schmie­den. Sein bishe­ri­ger Koali­ti­ons­part­ner, die CDU, fuhr das schlech­tes­te Wahler­geb­nis seit Jahrzehn­ten ein. Landes­chef Bernd Althus­mann räumte die Schlap­pe ein und kündig­te noch am Sonntag­abend an, sein Amt abzugeben.

Nach den Hochrech­nun­gen von ARD und ZDF (gegen 21.00 Uhr) dürfte die FDP nach fast zehn Jahren knapp aus dem Landtag geflo­gen sein — was nun für Ärger auch in der Berli­ner Ampel-Koali­ti­on sorgen könnte.

Die AfD legte ebenfalls stark zu und schaff­te ein zweistel­li­ges Ergeb­nis. Die Linke schei­ter­te erneut an der Fünf-Prozent-Hürde.

Der Wahlkampf war geprägt von den Folgen des russi­schen Einmarschs in die Ukrai­ne. Im Zentrum standen die Energie­kri­se sowie die Sorgen vieler Bürger angesichts hoher Preise für Gas, Strom und Lebens­mit­tel. Landes­po­li­ti­sche Themen spiel­ten eine Neben­rol­le. SPD und CDU hatten vor der Wahl klarge­stellt, dass sie ihre 2017 eher wider­wil­lig geschmie­de­te Koali­ti­on nicht fortset­zen wollen.

FDP schei­tert nach Hochrech­nun­gen an Fünf-Prozent-Hürde

Laut den Hochrech­nun­gen kommt die SPD auf 33,4 Prozent der Stimmen (2017: 36,9). Die CDU verbucht mit 28,0 bis 28,1 Prozent ihr schlech­tes­tes Landes­er­geb­nis seit mehr als 60 Jahren (2017: 33,6). Die Grünen legen dagegen deutlich zu und landen mit 14,5 auf Platz drei (2017: 8,7). Auch die AfD gewinnt stark hinzu und erreicht 11,0 bis 11,2 Prozent (2017: 6,2). Die FDP schei­tert mit 4,9 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde (2017: 7,5). Die Linke liegt mit 2,6 bis 2,7 Prozent erneut unter dieser Marke (2017: 4,6).

Den Hochrech­nun­gen von ARD und ZDF zufol­ge kommen die SPD mit 52 bis 55 Sitzen und die Grünen mit 22 bis 23 gemein­sam auf eine absolu­te Mehrheit im Landtag. Die CDU erreicht 44 bis 46 Sitze, dahin­ter liegt die AfD mit 17 bis 18.

Grüne wollen mit der SPD regieren

Der 63-jähri­ge Weil, seit fast zehn Jahren Regie­rungs­chef, peilt nun seine dritte Amtszeit an. «Die Wähle­rin­nen und Wähler haben der SPD den Regie­rungs­auf­trag erteilt und niemand anders sonst», sagte er am Abend. Das erkann­te auch CDU-Spitzen­kan­di­dat Althus­mann sofort an und gestand seine Nieder­la­ge ein. «Dieses Votum nehmen wir demütig an.» Die SPD habe einen klaren Regierungsauftrag.

Die Grünen wollen nun wieder Regie­rungs­ver­ant­wor­tung überneh­men, wie Spitzen­kan­di­da­tin Julia Willie Hamburg sagte. «Wir werden alles dafür geben, als Grüne künftig Nieder­sach­sen für die nächs­ten fünf Jahre wieder zu gestal­ten und zukunfts­fest aufzu­stel­len.» Auch Grünen-Chefin Ricar­da Lang sprach von diesem «Auftrag».

Weil hatte schon vor knapp zehn Jahren ein rot-grünes Bündnis geschmie­det, das sich auf nur eine Stimme Mehrheit stütz­te und 2017 an einer grünen Abweich­le­rin schei­ter­te. Er könnte sogar Ernst Albrecht als Regie­rungs­chef mit der längs­ten Amtszeit in Nieder­sach­sen ablösen. Den verun­si­cher­ten Wählern präsen­tier­te er sich im Wahlkampf als erfah­re­ner Krisen­ma­na­ger, mit einem kurzem Draht zu Kanzler Olaf Scholz.

Mögli­che Auswir­kun­gen auf den Bund

FDP-Chef Chris­ti­an Lindner führte das enttäu­schen­de Wahler­geb­nis seiner Partei auch auf die Koali­ti­on mit SPD und Grünen im Bund zurück. «Denn viele unserer Unter­stüt­ze­rin­nen und Unter­stüt­zer fremdeln mit dieser Koali­ti­on», sagte Lindner. «Wir sind in der Ampel-Koali­ti­on aus staats­po­li­ti­scher Verant­wor­tung, nicht weil SPD und Grüne uns von den inhalt­li­chen Überzeu­gun­gen so nahe stünden.»

In der Berli­ner Koali­ti­on könnte die FDP-Schlap­pe den Krawall­fak­tor gerade zwischen Libera­len und Grünen weiter erhöhen — vor allem mit Blick auf eine mögli­che Zuspit­zung der Energie­kri­se im Winter, mögli­che weite­re Entlas­tungs­maß­nah­men, den Streit um die Atomkraft und die Schul­den­brem­se. Partei­vi­ze Wolfgang Kubicki forder­te, dass die FDP ihre Positio­nen in der Ampel nun «deutli­cher markie­ren» müsse.

Bei den Landtags­wah­len in diesem Jahr in Nordrhein-Westfa­len und Schles­wig-Holstein musste die FDP ebenfalls deutli­che Verlus­te hinneh­men — für den Einzug in den Landtag reich­te es aber jeweils noch. Bei der Saarland-Wahl im Frühjahr kam die Partei auf etwas mehr Zustim­mung, verpass­te den Einzug in das Landes­par­la­ment aber knapp.

AfD: «Sind wieder da»

Der AfD-Bundes­vor­sit­zen­de Tino Chrup­al­la zeigte sich erfreut über die erstark­te Landtags­frak­ti­on. «Alles, was über zehn Prozent ist im Westen, ist Volks­par­tei. Das sind wir», sagte er. «Wir sind wieder da.» Die AfD gewann nach drei Landtags­wah­len mit Verlus­ten erstmals wieder hinzu. Das dürfte Wasser auf die Mühlen der Protest­be­we­gung sein, die die rechte Partei in diesem Herbst auf die Beine stellen will.

Knapp 6,1 Millio­nen Wahlbe­rech­tig­te durften ihre Stimme abgeben. Die Wahlbe­tei­li­gung lag den Progno­sen zufol­ge bei 60,8 bis 61,0 Prozent. 2017 betrug sie noch 63,1 Prozent, nach 59,4 Prozent im Jahr 2013.

Erst im Mai 2023 wird wieder in einem Bundes­land gewählt — in Bremen. Die nächs­ten größe­ren Wahlen finden im Herbst 2023 in Bayern und Hessen statt.