Es sind deutlich mehr gekom­men, als erwar­tet — die meisten demons­trier­ten fried­lich gegen die Corona-Politik der Regie­rung. Doch vor der russi­schen Botschaft kam es zu hefti­gen Ausein­an­der­set­zun­gen mit der Polizei. Vor dem Reichs­tags­ge­bäu­de stürm­ten Demons­tran­ten auf die Treppe.

Auch müsse die Bundes­re­gie­rung sofort zurück­tre­ten, sagte er unter großem Beifall. An den überwie­gend fried­li­chen Protes­ten nahmen nach Schät­zun­gen der Behör­den insge­samt rund 38 000 Menschen teil. Wie Innen­se­na­tor Andre­as Geisel (SPD) abends berich­te­te, wurden über den Tag verteilt rund 300 Menschen festge­nom­men, allein vor der russi­schen Botschaft etwa 200. Dort flogen unter anderem aus einer Menge von rund 3000 sogenann­ten Reichs­bür­gern und Rechts­extre­mis­ten Steine und Flaschen auf die Polizei, wie er sagte. Laut Polizei gab es dort auch Gefangenenbefreiungen.

Demons­tran­ten durch­bra­chen am Abend zudem eine Absper­rung am Reichs­tags­ge­bäu­de und stürm­ten die Treppe hoch, wie ein dpa-Repor­ter berich­te­te. Polizei­be­am­te dräng­ten die Menschen zurück, sie setzten Pfeffer­spray ein. Es kam zu Rangeleien.

Festge­nom­men wurde vor der russi­schen Botschaft auch der Vegan-Koch Attila Hildmann, der sich selbst «ultra­rechts» und einen Verschwö­rungs­pre­di­ger nennt. Zu den Hinter­grün­den der Festnah­me Hildmannns äußer­te sich Geisel nicht.

Im Laufe des Tages wurden auch Straßen vorüber­ge­hend blockiert, Absper­run­gen durch­bro­chen und ein Baucon­tai­ner angezün­det, wie die Polizei weiter mitteil­te. Sie war mit rund 3000 Beamten im Einsatz. Ein Hubschrau­ber liefer­te der Einsatz­lei­tung Bilder aus der Luft.

Aufge­ru­fen zum Protest hatte die Stutt­gar­ter Initia­ti­ve Querden­ken 711. Sie hatte mit rund 22 000 Teilneh­mern gerech­net, es kamen aber deutlich mehr. Es gab auch Gegen­pro­tes­te, unter anderem aus der linken Szene.

Der US-Rechts­an­walt, Umwelt­ak­ti­vist und Impfgeg­ner Robert Francis Kenne­dy junior, Neffe des US-Präsi­den­ten John F. Kenne­dy, wandte sich in seiner Rede auf der Kundge­bung gegen den Aufbau des neuen 5G-Mobil­funk­net­zes, warnte vor einer Total­über­wa­chung und attackier­te in diesem Zusam­men­hang unter anderem Micro­soft-Gründer Bill Gates. Unter Verweis auf den berühm­ten Berlin-Besuch von US-Präsi­dent Kenne­dy 1963 sagte er, sein Onkel sei damals nach Berlin gekom­men, weil in der Stadt die Front gegen Totali­ta­ris­mus verlau­fen sei. «Heute ist Berlin wieder die Front gegen Totali­ta­ris­mus», sagte er.

Einen geplan­ten Demons­tra­ti­ons­zug am Mittag hatte die Polizei nicht starten lassen, weil die Mindest­ab­stän­de zum Infek­ti­ons­schutz nicht einge­hal­ten wurden. Nach länge­ren Verhand­lun­gen mit den Veran­stal­tern erklär­te die Polizei, sie löse die Versamm­lung auf. Es bleibe «leider keine andere Möglich­keit». Danach trug die Polizei Demons­tran­ten weg, die auf der Straße sitzen blieben und nicht freiwil­lig gingen.

Auf Trans­pa­ren­ten forder­ten Teilneh­mer den Rücktritt der Bundes­re­gie­rung sowie ein Ende der Schutz­auf­la­gen und Alltags­be­schrän­kun­gen wegen der Corona-Pande­mie. Auf Plaka­ten stand «Maulkorb-Demokra­tie — ohne uns», «Stoppt den Corona-Wahnsinn» und «Corona-Dikta­tur beenden». Immer wieder skandier­te die Menge «Wider­stand» und «Wir sind das Volk».

Einige Demons­tran­ten trugen Fotos von Politi­kern in Häftlings­klei­dung und mit dem Zusatz «schul­dig», etwa von Kanzle­rin Angela Merkel (CDU), Vizekanz­ler Olaf Scholz (SPD), Gesund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU) sowie Wirtschafts­mi­nis­ter Peter Altmai­er (CDU) und dem bayeri­schen Regie­rungs­chef Markus Söder (CSU).

Auch AfD-Politi­ker und andere rechte Gruppen hatten zur Teilnah­me aufge­ru­fen. Am Branden­bur­ger Tor und anderen Orten waren auch Flaggen mit Reichs­ad­ler, T‑Shirts in Fraktur­schrift und andere Symbo­le von Rechts­extre­mis­ten zu sehen. Insge­samt versam­mel­te sich aber auf der Fried­rich­stra­ße, wo die Demo starten sollte, und später an der Sieges­säu­le eine breite Mischung von Bürgern, darun­ter Junge und Alte sowie auch Famili­en mit Kindern.

Vor dem Branden­bur­ger Tor hatten bereits am Vormit­tag Demons­tran­ten «Tor auf» gerufen und «Wir sind das Volk» skandiert. Eine riesi­ge Deutsch­land­flag­ge war auf dem Boden vor dem Tor ausgelegt.

Eigent­lich wollten die Berli­ner Behör­den die Versamm­lun­gen verbie­ten, sie unter­la­gen jedoch vor Gerich­ten. Die Entschei­dung des Oberver­wal­tungs­ge­richts Berlin gegen das Verbot wurde in der Nacht zum Samstag bekannt. Als Grund für die Verbots­ver­fü­gung hatte die Polizei angeführt, dass durch die Ansamm­lung Zehntau­sen­der Menschen — oft ohne Maske und Abstand — ein zu hohes Gesund­heits­ri­si­ko für die Bevöl­ke­rung entste­he. Das habe bereits die Demons­tra­ti­on gegen die Corona-Politik am 1. August in Berlin gezeigt, bei der die meisten Demons­tran­ten bewusst Hygie­ne­re­geln ignoriert hätten.

Inner­halb eines Tages melde­ten die Gesund­heits­äm­ter in Deutsch­land nach Angaben des Robert Koch-Insti­tuts (RKI) vom frühen Samstag­mor­gen 1479 neue Corona-Infek­tio­nen. Am Samstag vor einer Woche war mit 2034 neuen Fällen erstmals seit Ende April die 2000er-Marke überschrit­ten worden. Der Höhepunkt bei den täglich gemel­de­ten Neuan­ste­ckun­gen hatte Ende März/Anfang April bei mehr als 6000 gelegen.