MOSKAU (dpa) – Der bei einem Nerven­gift-Anschlag fast getöte­te Kreml­kri­ti­ker Nawal­ny kehrte vor einem Jahr nach Russland zurück und lande­te prompt in Haft. Im Straf­la­ger kämpft er weiter gegen das «korrup­te Regime».

Alexej Nawal­ny zeigt sich auch ein Jahr nach seiner vom Westen scharf verur­teil­ten Festnah­me auf einem Moskau­er Flugha­fen ungebro­chen und kämpferisch.

Bei Insta­gram kommu­ni­ziert der bekann­tes­te Gegner des russi­schen Präsi­den­ten Wladi­mir Putin aus dem Straf­la­ger – über Botschaf­ten, die er Anwäl­ten und Besuchern mitgibt – mit der Außen­welt. So lästert der 45-Jähri­ge etwa über Moskaus Forde­run­gen an die Nato, sie möge ihre Osterwei­te­rung einstel­len und abrüs­ten, weil sich Russland in seiner Sicher­heit bedroht sehe. Dabei würden sich doch gerade die Propa­gan­dis­ten des Kreml selbst ein schönes Leben machen in den Nato-Mitgliedsstaaten.

Nawal­ny kriti­siert die «Doppel­zün­gig­keit» russi­scher Politi­ker und Meinungs­ma­cher, die zuhau­se Patrio­tis­mus predig­ten. In Wahrheit seien sie korrupt und berei­cher­ten sich. Sie nutzen demnach Bankkon­ten und kaufen Grund­stü­cke im Westen, lassen ihre Kinder dort ausbil­den und genie­ßen insge­samt libera­le Gesell­schaf­ten in vollen Zügen, während sie in der Heimat Freihei­ten zuneh­mend einschränk­ten. Seit langem fordern der Opposi­tio­nel­le und seine inzwi­schen im Ausland aktiven Mitstrei­ter vom Westen, gegen diese Russen Sanktio­nen zu verhän­gen – auch gegen die Oligar­chen, die das «System Putin» stützten.

Beispiel­lo­se Repressionswelle

Aus dem Straf­la­ger musste Nawal­ny zusehen, wie seine über Jahre aufge­bau­te Anti-Korrup­ti­ons-Organi­sa­ti­on in einer beispiel­lo­sen Repres­si­ons­wel­le von den russi­schen Behör­den zerschla­gen wurde. Die Inter­net­sei­ten Nawal­nys sind in Russland blockiert. Seine Mitstrei­ter von einst werden vom Kreml als «Extre­mis­ten» und «Terro­ris­ten» gebrandmarkt.

Auch Putin behaup­te­te erst unlängst wieder, diese Kräfte versuch­ten, Russland von innen zu zerset­zen. Nawal­nys Spreche­rin Kira Jarmysch meinte dazu, dass Putin selbst das Land zerstö­re – durch sein «korrup­tes Regime» und Macht­miss­brauch. Sie bezeich­ne­te den Kreml­chef zudem als «Feigling» und «Mörder».

Putin nutzte seinen Auftritt bei der Jahres­pres­se­kon­fe­renz im Dezem­ber auch dazu, um einmal mehr Vorwür­fe wegzu­wi­schen, er habe seinen schärfs­ten Wider­sa­cher im August 2020 vergif­ten lassen. Der Westen habe bisher keinen Beleg für dessen «angeb­li­che Vergif­tung» mit dem chemi­schen Kampf­stoff Nowit­schok vorge­legt. «Nichts. Null», sagte Putin, der Nawal­ny nie beim Namen nennt. Mehre­re Labors, darun­ter eins der Bundes­wehr, hatten nach offizi­el­len Angaben die Vergif­tung aller­dings nachgewiesen.

Anders als Nawal­ny haben zahlrei­che Kriti­ker Putins Atten­ta­te nicht überlebt. Der Opposi­ti­ons­füh­rer wirft einem unter Putins Befehl agieren­den Komman­do des Inlands­ge­heim­diens­tes FSB vor, ihm das Gift im August 2020 bei einem Aufent­halt in Sibiri­en verab­reicht zu haben. Nawal­ny brach damals im Flugzeug zusam­men. Der Pilot brach­te die Maschi­ne in Omsk auf den Boden. Dort wurde der promi­nen­te Opposi­tio­nel­le von Rettungs­kräf­ten und in einer Klinik behan­delt, bevor eine Sonder­ma­schi­ne aus Deutsch­land ihn abhol­te. Sie brach­te ihn nach Berlin zur retten­den Behand­lung in die Charité.

Russland unbeein­druckt von Sanktionen

Nawal­ny machte die Namen der mutmaß­li­chen FSB-Atten­tä­ter öffent­lich, recher­chier­te mit Hilfe von Inves­ti­ga­ti­v­jour­na­lis­ten selbst das Verbre­chen. Das russi­sche Justiz hinge­gen lehnt es bis heute ab, ein Ermitt­lungs­ver­fah­ren in dem Fall einzu­lei­ten. Auch Sanktio­nen des Westens beein­dru­cken Russland nicht. Dabei hatte die Bundes­re­gie­rung unter der damali­gen Kanzle­rin Angela Merkel (CDU), die Nawal­ny auch in der Chari­té besuch­te, stets betont, dass sie Russland in der Verant­wor­tung sehe, den Mordan­schlag aufzuklären.

Auch für die neue Bundes­au­ßen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock (Grüne) dürfte der Fall Nawal­ny an diesem Diens­tag bei ihrem ersten persön­li­chen Treffen mit ihrem russi­schen Kolle­gen Sergej Lawrow in Moskau ein Thema sein. Ihr Besuch fällt just mit dem Jahres­tag von Nawal­nys Rückkehr und mit seiner Festnah­me zusam­men. Gehen dürfte es dabei auch um die inter­na­tio­nal weiter lauten Forde­run­gen nach der Freilas­sung des politi­schen Gefan­ge­nen. «Freiheit für Nawal­ny», forder­te zum Jahres­tag auch Finanz­mi­nis­ter Chris­ti­an Lindner. «Er ist ein unbeug­sa­mer Kämpfer für Freiheit, Demokra­tie und Rechts­staat­lich­keit», schrieb der FDP-Politi­ker bei Twitter.

Die Bilder von Nawal­nys Festnah­me auf einem Moskau­er Flugha­fen gingen vor einem Jahr, am 17. Januar, um die Welt. Die Maschi­ne war im Lande­an­flug, als russi­sche Behör­den sie angesichts von Tausen­den Anhän­gern des Putin-Gegners in Moskau auf einen anderen Haupt­stadt-Airport umlei­ten ließen, um Nawal­ny keine Bühne zu geben. Dass der Politi­ker dann mehre­re Jahre in Haft kam, weil er Melde­auf­la­gen in einem anderen Straf­ver­fah­ren nicht erfüllt haben soll, ist inter­na­tio­nal als politisch motivier­te Justiz­will­kür verur­teilt worden.

Menschen­rechts­preis für Nawalny

Im ersten Jahr seiner Haft hat Nawal­ny mehre­re Auszeich­nun­gen erhal­ten, darun­ter den nach dem russi­schen Friedens­no­bel­preis­trä­ger Andrej Sacha­row benann­ten Menschen­rechts­preis des Europäi­schen Parla­ments. Aus der Haft in Pokrow rund 100 Kilome­ter östlich von Moskau heraus hat er zudem auf Folter und andere Missstän­de im Straf­la­ger-System hinge­wie­sen. Der Famili­en­va­ter beschreibt bei Insta­gram auch seine Gefan­ge­nen­ar­beit in einer Nähwerkstatt.

Und gerade erst bedank­te er sich dafür, dass der US-Sender CNN bald den Doku-Thril­ler «Nawal­ny» des Filme­ma­chers Daniel Roher ausstrah­len wolle. Nawal­nys Vertrau­ter Leonid Wolkow meinte dazu: «Und Putin wird dann sehr bereu­en, dass er vor andert­halb Jahren den Befehl zur Vergif­tung Nawal­nys und vor einem Jahr den Befehl zu seiner Inhaf­tie­rung gegeben hat.» Ein Millio­nen­pu­bli­kum werde den Strei­fen sehen. Ein Sende­da­tum gibt es aber noch nicht.

Von Ulf Mauder, dpa