HEIDESEE (dpa) — Eigent­lich wollten die Zehnt­kläss­ler einer Berli­ner Schule in einer Ferien­an­la­ge in Südbran­den­burg ein Mathe-Camp abhal­ten. Nun müssen sie psycho­lo­gisch betreut werden. Es geht um Rassis­mus und Bedrohung.

Unter­richts­stoff mal außer­halb der Schule vertie­fen, vielleicht auch Teamgeist fördern und das in schöner Natur, nicht weit von Berlin entfernt: So hat sich eine Schul­klas­se aus der Haupt­stadt ein geplan­tes Mathe-Camp in Südbran­den­burg vorge­stellt, das nun zum Albtraum geraten ist. Wegen rassis­ti­scher Belei­di­gun­gen haben die Schüle­rin­nen und Schüler ihren Ausflug in eine Ferien­an­la­ge vorzei­tig abgebro­chen, wie die Polizei am Montag mitteil­te. Der Staats­schutz ermit­telt wegen Volks­ver­het­zung und Bedro­hung. Politik, die betrof­fe­ne Einrich­tung und die Gemein­de verur­teil­ten den Vorfall, die Berli­ner Bildungs­ver­wal­tung versprach Hilfe. Zuvor hatte die «B.Z.» über den Vorfall berichtet.

Die Schüle­rin­nen und Schüler einer zehnten Klasse der Lina-Morgen­stern-Gemein­schafts­schu­le in Berlin-Kreuz­berg hatten sich mit Lehrkräf­ten in einer Ferien­ein­rich­tung in Heide­see (Dahme-Spree­wald) für ein Mathe-Camp einge­mie­tet. Gleich­zei­tig mit ihnen unter­ge­bracht war auch eine Gruppe aus der Region, die den 18. Geburts­tag einer Person feier­te. Die Jugend­li­chen störten sich offen­sicht­lich an den anderen Gästen aus Berlin, von denen einige Schüle­rin­nen erkenn­bar musli­mi­schen Glaubens waren und Kopftü­cher trugen.

In der Nacht zum Sonntag wurde die Schul­klas­se laut Polizei aus dieser Gruppe heraus rassis­tisch beschimpft und bedroht. Eine körper­li­che Ausein­an­der­set­zung konnten die Beamten nach eigenen Angaben verhin­dern. Nach Angaben der Berli­ner Bildungs­ver­wal­tung waren die Jugend­li­chen alkoho­li­siert und teils vermummt.

Woidke verur­teilt den rassis­ti­schen Vorfall

Branden­burgs Minis­ter­prä­si­dent Dietmar Woidke verur­teil­te den rassis­ti­schen Vorfall in der Freizeit­ein­rich­tung als «absto­ßend» und «erschre­ckend». «Wir werden Rechts­extre­mis­mus in Branden­burg nicht dulden, wir werden Rassis­mus in Branden­burg nicht dulden, das ist die klare Botschaft», sagte Woidke dem RBB am Montag. Dafür würden alle Möglich­kei­ten genutzt, die eine starke Demokra­tie biete. Zunächst müssten aber die Ermitt­lungs­be­hör­den ihre Arbeit machen, nach Ergeb­nis­sen könne man dann weite­re Schluss­fol­ge­run­gen ziehen.

Nach den rassis­ti­schen Belei­di­gun­gen ermit­telt nun der Staats­schutz zum Tatge­sche­hen. Es geht um den Vorwurf der Volks­ver­het­zung und Bedro­hung. Von 28 Perso­nen seien die Identi­tä­ten festge­stellt worden, sagte eine Polizei­spre­che­rin der dpa am Montag. Ob es sich bei allen um Tatver­däch­ti­ge hande­le, sei noch unklar. Die Befra­gung der Schüle­rin­nen und Schüler zum Gesche­hen werde einige Zeit in Anspruch nehmen. Polizis­ten hatten bereits in der Nacht erste Zeugen befragt.

Klasse bricht das Camp ab

Nach dem Vorfall fuhr die Klasse am Sonntag vorzei­tig wieder Richtung Berlin, teilwei­se holten Eltern ihre Kinder vor Ort ab. Ein Sprecher der Bildungs­ver­wal­tung sprach von einem Einzel­fall, eine Häufung solcher Ereig­nis­se habe es nicht gegeben. Ihm sei aus jüngs­ter Zeit kein weite­rer Fall bekannt, so der Sprecher.

Nach Beobach­tung des Türki­schen Bundes in Berlin-Branden­burg sind solche Fälle nichts Neues. «Wir kriegen sowas schon häufi­ger mit», sagte Vorstands­spre­che­rin Ayşe Demir. Rassis­mus habe in allen gesell­schaft­li­chen Berei­chen zugenom­men, sagte die Spreche­rin, so zum Beispiel auch im öffent­li­chen Verkehr. Es mache sie jedoch beson­ders traurig, wenn Kinder und Jugend­li­che von Anfein­dun­gen dieser Art betrof­fen seien. Demir forder­te in diesem Zusam­men­hang eine breite­re Sensi­bi­li­sie­rung von Seiten der Politik.

Psycho­lo­gi­sche Betreuung

Berlins Bildungs­se­na­to­rin Katha­ri­na Günther-Wünsch sagte den betrof­fe­nen Berli­ner Jugend­li­chen schnel­le Hilfe zu. «Noch heute werden wir in der Schule Termi­ne zur psycho­lo­gi­schen Aufar­bei­tung des Gesche­hens für die Schüle­rin­nen und Schüler und ihre Eltern anbie­ten.» Das Krisen- und Inter­ven­ti­ons­team der Schul­psy­cho­lo­gi­schen und Inklu­si­ons­päd­ago­gi­schen Beratungs- und Unter­stüt­zungs­zen­tren sei umgehend verstän­digt worden, so die CDU-Politikerin.

Die Einrich­tung in Heide­see ist ein ehema­li­ges DDR-Kinder­fe­ri­en­la­ger und wird weiter­hin als Kinder- und Jugend­ein­rich­tung betrie­ben. Sie bietet unter anderem Klassen- und Kitafahr­ten an, Vereins­fahr­ten mit Kindern und Jugend­li­chen sowie Famili­en. Geschäfts­füh­re­rin Nora Runneck zeigte sich bestürzt. «Wir verur­tei­len jegli­che Form von Fremden­feind­lich­keit und Rassis­mus auf das Schärfs­te.» In ihrer fünfjäh­ri­gen Zeit als Mitar­bei­te­rin habe es solch einen Vorfall nicht gegeben.

Politi­ker zeigen sich erschüttert

Von Bürger­meis­ter Björn Langner (partei­los) hieß es: «Wir werden uns dafür einset­zen, dass rassis­ti­sche und diskri­mi­nie­ren­de Verhal­tens­wei­sen keinen Platz in unserer Gemein­de haben und dass jeder, unabhän­gig von Herkunft, Religi­on und Hautfar­be, willkom­men ist.» Branden­burgs Innen­mi­nis­ter Micha­el Stübgen (CDU) nannte den Vorfall «inakzep­ta­bel».

Der designier­te Branden­bur­ger Bildungs­mi­nis­ter, Staats­se­kre­tär Steffen Freiberg, zeigte sich «erschüt­tert». «Rassis­ti­sche Angrif­fe – auch verba­ler Art – sind nicht zu tolerie­ren, dem trete ich entschlos­sen entge­gen.» Er baue darauf, dass die Polizei die Täter zeitnah ermit­teln und die Justiz straf­recht­li­che Konse­quen­zen prüfen werde, so Freiberg.

Der Ostbe­auf­trag­te der Bundes­re­gie­rung, Carsten Schnei­der (SPD), forder­te Aufklä­rung und Konse­quen­zen für die betei­lig­ten Jugend­li­chen. «Ein Klima der Offen­heit zu schaf­fen, ist die gemein­sa­me Aufga­be von uns allen», sagte er dem Redak­ti­ons-Netzwerk Deutsch­land (RND). Dabei brauche es auch die Unter­stüt­zung von Eltern. Wo das nicht gelin­ge, drohe eine Spaltung der Gesellschaft.

Norman Heise, Vorsit­zen­der des Landes-Eltern-Ausschus­ses in Berlin äußer­te Respekt für Lehrkräf­te, Schüle­rin­nen und Schüler, die «ruhig und beson­nen auf die rassis­ti­schen Belei­di­gun­gen reagiert haben.» Durch die Abrei­se der Klasse sei «Schlim­me­res verhin­dert» worden.

von Silke Nauschütz und Andre­as Heimann, dpa