DÜSSELDORF/KOBLENZ/MÜNCHEN (dpa) — In Deutsch­land gilt die ‘Ndran­ghe­ta als die gefähr­lichs­te Mafia-Gruppie­rung. Mehr als 1000 Einsatz­kräf­te sind nun gegen die Organi­sa­ti­on vorgegangen.

Mehr als 1000 Polizis­ten sind am frühen Mittwoch­mor­gen gegen Mitglie­der der italie­ni­schen Mafia­or­ga­ni­sa­ti­on ‘Ndran­ghe­ta in Deutsch­land ausge­rückt. Bei dem Großein­satz wurden bundes­weit Dutzen­de Wohnun­gen durch­sucht und rund 30 Haftbe­feh­le vollstreckt, wie die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den in Nordrhein-Westfa­len, Rhein­land-Pfalz, Bayern und dem Saarland mitteil­ten. Auch in anderen europäi­schen Staaten, darun­ter auch in Itali­en selbst, schlu­gen die Ermitt­ler zu.

Die ‘Ndran­ghe­ta ist nach Einschät­zung des Bundes­kri­mi­nal­am­tes (BKA) derzeit die «relevan­tes­te Mafia-Gruppie­rung» mit einer dominan­ten Stellung auf dem europäi­schen Kokain­markt. «Sie versucht, ihr Terri­to­ri­um auszu­wei­ten und Einfluss auf kalabri­sche Migran­ten­ge­mein­schaf­ten auszu­üben», erklär­te das BKA.

Vorwurf der Geldwäsche

Hinter­grund der Razzi­en ist nach Angaben der Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den ein Verfah­ren, das sich gegen Verant­wort­li­che und Mitglie­der der ‘Ndran­ghe­ta richtet. Den Verdäch­ti­gen wird unter anderem Geldwä­sche, banden­mä­ßi­ge Steuer­hin­ter­zie­hung, gewerbs­mä­ßi­ger Banden­be­trug sowie Rausch­gift­schmug­gel vorgeworfen.

Das Verfah­ren werde durch eine gemein­sa­me Ermitt­lungs­grup­pe geführt, an der Europol und Eurojust, die Agentur der EU für Zusam­men­ar­beit in Straf­sa­chen, betei­ligt seien. Neben Itali­en seien auch Behör­den aus Belgi­en, Frank­reich, Itali­en, Portu­gal und Spani­en dabei. Insge­samt wurden laut italie­ni­schen Behör­den 108 Haftbe­feh­le vollstreckt.

Schwer­punk­te des Einsat­zes in Deutsch­land waren den Angaben zufol­ge Nordrhein-Westfa­len und Rhein­land-Pfalz mit jeweils rund 500 Beamtin­nen und Beamten. In Nordrhein-Westfa­len wurden 51 Häuser, Wohnun­gen, Büros und Geschäfts­ob­jek­te durch­sucht. Zudem vollstreck­ten die Beamten 15 Haftbe­feh­le. An den Razzi­en war auch die Einsatz­hun­dert­schaft und das Spezi­al­ein­satz­kom­man­do betei­ligt. In der thürin­gi­schen Landes­haupt­stadt Erfurt wurden 4 Objek­te durch­sucht und ein EU-Haftbe­fehl vollstreckt.

Micha­el Ebling: «wirkungs­vol­ler Schlag»

In Rhein­land-Pfalz gab es laut Staats­an­walt­schaft 50 Durch­su­chungs­be­schlüs­se, 10 Haftbe­feh­le wurden vollstreckt. Unter­stützt wurden die Einsatz­kräf­te dort von Spezi­al­ein­hei­ten des Bundes und anderer Länder sowie des Zolls und der Steuerfahndung.

In Bayern laufen den Angaben zufol­ge Ermitt­lun­gen gegen 8 Perso­nen. Seit dem Morgen durch­such­ten mehr als 130 Einsatz­kräf­te 10 Objek­te, gegen 4 Perso­nen wurden EU-Haftbe­feh­le vollstreckt.

Im Saarland wurden in der Landes­haupt­stadt Saarbrü­cken ein Wohnhaus und Geschäfts­räu­me eines 47-jähri­gen Mannes durch­sucht, außer­dem eine Räumlich­keit, die der Mann in Saarlou­is angemie­tet hat. Der mit Haftbe­fehl gesuch­te Mann wurde in Itali­en festge­nom­men. Ein weite­rer mit Haftbe­fehl gesuch­ter 25-Jähri­ger aus dem Saarland wurde ebenfalls in Itali­en festge­nom­men. An den Maßnah­men waren den Angaben zufol­ge rund 90 Einsatz­kräf­te betei­ligt, darun­ter auch Spezi­al­ein­hei­ten und die Bereitschaftspolizei.

Der rhein­land-pfälzi­sche Innen­mi­nis­ter Micha­el Ebling (SPD) sprach von einem «wirkungs­vol­len Schlag» gegen die Mafia. «Vom heuti­gen Tag geht das ganz deutli­che Signal aus: Für die Organi­sier­te Krimi­na­li­tät ist kein Platz in Europa und für sie ist ganz sicher auch kein Platz hier bei uns in Rhein­land-Pfalz.» Die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den seien wachsam und schlag­kräf­tig. Machen­schaf­ten krimi­nel­ler Organi­sa­tio­nen würden entschlos­sen und konse­quent verfolgt.

Wurzeln in Kalabrien

Die ‘Ndran­ghe­ta hat ihre Wurzeln im italie­ni­schen Kalabri­en, die Mafia ist aber auch in Deutsch­land aktiv. Laut BKA hat sie eine hierar­chi­sche Struk­tur. Demnach hat sie wieder­holt gezeigt, dass sie fähig sei, Wirtschaft und Politik in Itali­en zu infil­trie­ren. Darüber hinaus sei die Gruppie­rung haupt­säch­lich in Spani­en, Frank­reich, den Nieder­lan­den, Deutsch­land, der Schweiz, Kanada, den USA sowie Kolum­bi­en und Austra­li­en tätig.

Der Begriff ‘Ndran­ghe­ta stammt aus dem Griechi­schen und bedeu­tet etwa Mut oder Treue. Die Mafia-Organi­sa­ti­on soll sich in den 1860er Jahren gegrün­det haben, als eine Gruppe Sizilia­ner von der italie­ni­schen Regie­rung von der Insel verbannt wurde.

Mafia-Geldwä­sche in Deutsch­land oft unentdeckt

Auch nach der jüngs­ten Großraz­zia bleibt Deutsch­land laut Einschät­zung des Grünen-Innen­po­li­ti­kers Marcel Emmerich ein wichti­ger Rückzugs­raum für Mafia-Organi­sa­tio­nen. «Das ist ein lang vorbe­rei­te­ter und harter Schlag gegen die Mafia in Deutsch­land, der nur durch inter­na­tio­na­le und vernetz­te Ermitt­lun­gen möglich war», kommen­tier­te der Obmann der Grünen im Innen­aus­schuss des Bundes­ta­ges die polizei­li­chen Maßnahmen.

Der Einfluss dieser krimi­nel­len Gruppie­run­gen durch Geldwä­sche, Steuer­hin­ter­zie­hung und Drogen­han­del sei enorm, ihre Bruta­li­tät und ihre Netzwer­ke ein immer noch unter­schätz­tes Sicher­heits­ri­si­ko. «Über Jahrzehn­te hinweg ist Deutsch­land zu einem siche­ren Hafen für Mafia-Milli­ar­den, Geldwä­sche und Steuer­hin­ter­zie­hung gewor­den», sagte Emmerich. «Die Razzi­en dürfen nicht darüber hinweg­täu­schen, dass italie­ni­sche Mafia­or­ga­ni­sa­tio­nen in Deutsch­land größten­teils unent­deckt weiter ihre bruta­len Geschäf­te betrei­ben», fügte er hinzu. Es sei wichtig, hier entschlos­sen dranzu­blei­ben, Struk­tur­er­mitt­lun­gen und die Analy­se­fä­hig­keit der Sicher­heits­be­hör­den stärken.

Von Micha­el Bauer, dpa