CHISINAU (dpa) — Die Menschen in den umkämpf­ten Regio­nen der Ukrai­ne stehen weiter unter Beschuss. Wer fliehen kann, flieht. Die kleine Republik Moldau ruft nach Hilfe. Baerbock sichert Unter­stüt­zung zu.

Deutsch­land arbei­tet nach Angaben von Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock gemein­sam mit inter­na­tio­na­len Partnern an einer Art Luftbrü­cke für ukrai­ni­sche Flücht­lin­ge aus Moldau.

Eine solche Möglich­keit sei «absolut sinnvoll», um das Land zu entlas­ten und die Ankom­men­den in andere Staaten zu vertei­len, sagte die Grünen-Politi­ke­rin am Samstag nach einem Treffen mit ihrem moldaui­schen Amtskol­le­gen Nicu Popes­cu in der Landes­haupt­stadt Chisi­nau. Baerbock rief die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft zur stärke­ren Unter­stüt­zung der ukrai­ni­schen Nachbar­län­der insge­samt beim Umgang mit den Kriegs­flücht­lin­gen auf. Dies gelte beson­ders für Moldau.

Flücht­lin­ge aus Moldau nach Deutsch­land holen

Baerbock sagte, die Bundes­re­gie­rung werde in einem ersten Schritt 2500 ukrai­ni­sche Flücht­lin­ge aus Moldau direkt nach Deutsch­land holen. Dies habe sie mit Innen­mi­nis­te­rin Nancy Faeser (SPD) verein­bart. Faeser kündig­te am Samstag an, die Aufnah­me der Flücht­lin­ge aus Moldau in den nächs­ten Tagen «schnell und unbüro­kra­tisch» zu organi­sie­ren und umzuset­zen. «Putins Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne ist eine furcht­ba­re humani­tä­re Katastro­phe; sehr viele Menschen flüch­ten in das kleine Nachbar­land Moldau», sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.

Für die Vertei­lung der Flücht­lin­ge aus Moldau sei auch ein Korri­dor mit Bussen und Zügen über Rumäni­en im Aufbau, machte Baerbock deutlich. Menschen sollten zudem direkt aus dem Land ausge­flo­gen werden oder über Nachbar­län­der mit größe­ren Kapazi­tä­ten an den Flughä­fen. Dies könne auch über den Atlan­tik gesche­hen — also in die USA oder nach Kanada. «Man muss sehr pragma­tisch in dieser Situa­ti­on sein und jetzt nicht ein hundert Prozent perfek­tes Konzept für in drei Monaten erarbei­ten», sagte die Ministerin.

Mehr als 100.000 ukrai­ni­sche Flücht­lin­ge in Moldau

Die EU habe für Moldau Sofort­hil­fen von fünf Millio­nen Euro zur Verfü­gung gestellt, die Bundes­re­gie­rung nochmals drei Millio­nen Euro zusätz­lich, sagte Baerbock. Moldau hat nach Angaben von Popes­cu bisher rund 300.000 Menschen aus der Ukrai­ne aufge­nom­men, von denen mehr als 100.000 noch im Land seien. Die ehema­li­ge Sowjet­re­pu­blik ist eines der wirtschaft­lich schwächs­ten Länder Europas.

Popes­cu sagte, Moldau benöti­ge weite­re auslän­di­sche Hilfe zur Siche­rung der Stabi­li­tät und zur Bewäl­ti­gung der humani­tä­ren Kosten. Der Außen­mi­nis­ter Moldaus machte das Inter­es­se an einer weite­ren Annähe­rung seines Landes an die Europäi­sche Union deutlich und bat um Unter­stüt­zung durch die EU-Grenz­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on Frontex zur Überwa­chung der Grenze zur Ukrai­ne. Frontex könnte auch helfen, die Flücht­lin­ge zu registrieren.

Baerbock ruft inter­na­tio­na­le Gemein­schaft zur Hilfe auf

Baerbock sagte, Moldau sei eines der kleins­ten Länder an der Grenze zur Ukrai­ne und habe in den vergan­ge­nen Tagen sehr viele Menschen aufge­nom­men. «Aber auf Dauer können sie das nicht allei­ne tragen.» Die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft müsse dafür sorgen, die Menschen in Moldau von der Grenze weg in Sicher­heit zu bringen. In den ersten Tagen des Krieges seien viele Menschen mit dem eigenen Auto gekom­men und etwa von Verwand­ten abgeholt worden. «Aber je hefti­ger der Krieg wird, je mehr Menschen auch verletzt werden, auf der Flucht sind und gar nichts mehr mitneh­men können, desto mehr wird hier auch eine Unter­stüt­zung gebraucht.»

Baerbock besucht Flüchtlingseinrichtung

Baerbock besuch­te in der Haupt­stadt Chisi­nau am Samstag eine Aufnah­me­ein­rich­tung für Flücht­lin­ge. Den Kindern brach­te sie Geschen­ke wie einen Tusch­kas­ten und Malblö­cke mit. In der Einrich­tung gibt es provi­so­ri­sche Unter­künf­te, eine Kranken­sta­ti­on sowie ein Corona-Impfzen­trum. Gegen­wär­tig befin­den sich etwa 900 Menschen dort. Laut Auswär­ti­gem Amt können bis zu 4000 Menschen versorgt werden.

Baerbock bedank­te sich bei Mitar­bei­tern des Techni­schen Hilfs­wer­kes, die mit ihrem Lastwa­gen nach einer dreitä­gi­gen Fahrt über Öster­reich, Ungarn und Rumäni­en nach Moldau gekom­men waren. Das THW liefert unter anderem Feldbet­ten, Schlaf­sä­cke, Zelte, Heizun­gen und Nahrungsmittel.

Zahllo­se Menschen kommen weiter nach Polen

Nach UN-Angaben haben bereits mehr als 2,5 Millio­nen Menschen aus der Ukrai­ne im Ausland Zuflucht gesucht. Die meisten blieben zunächst in den Nachbar­län­dern — wie in Polen. Seit Kriegs­be­ginn haben sich nach Angaben des polni­schen Grenz­schut­zes fast 1,6 Millio­nen Menschen in Polen in Sicher­heit gebracht. Seit Mitter­nacht allein seien 17.700 Menschen aus dem Nachbar­land einge­trof­fen, teilte die Behör­de am Samstag über Twitter mit. Damit habe sich die Zahl der Ukrai­ne­rin­nen und Ukrai­ner, die vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Polen geflüch­tet seien, auf etwa 1,59 Millio­nen Menschen erhöht. Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) würdi­ge die Aufnah­me­be­reit­schaft Polens am Freitag als große Leistung. «Auch mit welcher Herzlich­keit das geschieht. Und Deutsch­land wird das genau­so machen.»

Bereits 123.000 in Deutsch­land angekommen

Immer mehr Kriegs­flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne kommen auch in Deutsch­land an. Seit Beginn des Angriffs wurden 122.837 Menschen aus der Ukrai­ne regis­triert, wie das Bundes­in­nen­mi­nis­te­ri­um am Samstag mitteil­te. Das seien Zahlen der Bundes­po­li­zei, die momen­tan verstärkt kontrol­lie­re, sagte ein Sprecher. Da aber keine festen Grenz­kon­trol­len an den Binnen­gren­zen statt­fän­den, könne die Zahl der nach Deutsch­land einge­reis­ten Kriegs­flücht­lin­ge tatsäch­lich bereits wesent­lich höher sein.

Die Staats­mi­nis­te­rin für Migra­ti­on, Reem Alaba­li-Radovan, regte eine Auswei­tung der Sozial­leis­tun­gen für Ukrai­ne-Flücht­lin­ge an. «Die Geflüch­te­ten erhal­ten Leistun­gen von den Sozial­äm­tern über das Asylbe­wer­ber­leis­tungs­ge­setz», sagte die SPD-Politi­ke­rin den Zeitun­gen der Funke Medien­grup­pe. «Aber wir sollten auch darüber nachden­ken, Menschen aus der Ukrai­ne mittel­fris­tig Zugang zur Grund­si­che­rung zu gewäh­ren.» Derzeit hätten aller­dings Unter­brin­gung und Versor­gung Priorität.

Anti-Kriegs-Demons­tra­tio­nen geplant

In Berlin und anderen deutschen Großstäd­ten wollen am Sonntag erneut Zigtau­sen­de Menschen gegen den Krieg protes­tie­ren. In der Bundes­haupt­stadt (12.00 Uhr) melde­te das Veran­stal­ter-Bündnis aus Gewerk­schaf­ten, Kirchen, Umwelt­schutz­in­itia­ti­ven und Friedens­grup­pen allein 100.000 Teilneh­mer an. Die Polizei sprach von einer realis­ti­schen Größen­ord­nung. Das Motto lautet: «Stoppt den Krieg. Frieden und Solida­ri­tät für die Menschen in der Ukrai­ne». Die Demons­tra­ti­on soll vom Berli­ner Alexan­der­platz zur Straße des 17. Juni führen. Zuletzt hatten am 27. Febru­ar, drei Tage nach Kriegs­be­ginn, mehr als Hundert­tau­send Menschen in Berlin demonstriert.

Ein breites Bündnis aus mehr als 50 Organi­sa­tio­nen ruft am Sonntag zu den Großde­mons­tra­tio­nen auf. Auch in Hamburg, Frank­furt, Stutt­gart und Leipzig sind Protes­te geplant. In Hamburg ruft der Deutsche Gewerk­schafts­bund um 13.00 Uhr zu einer Kundge­bung am Jungfern­stieg auf. Am vergan­ge­nen Wochen­en­de waren in Hamburg nach Polizei­an­ga­ben in der Spitze 30.000 Menschen gegen den russi­schen Angriffs­krieg auf die Straße gegan­gen. Auch in Frank­furt am Main, Stutt­gart und Leipzig wollen Menschen um 12.00 Uhr auf die Straße gehen