Auf Kundge­bun­gen gegen die Corona-Beschrän­kun­gen werden sie häufig geschwenkt: die schwarz-weiß-roten Reichs­fah­nen und Reichs­kriegs­flag­gen. Die Rufe nach einem Verbot mehren sich. Doch sind die Fahnen wirklich das Problem?

Unter denen, die diese Fahnen besit­zen, sind viele Reichs­bür­ger, die das System der Bundes­re­pu­blik nicht anerken­nen, und auch Rechtsradikale.

Die Bremer Innen­be­hör­de hat vergan­ge­ne Woche beschlos­sen, die Flaggen aus der Öffent­lich­keit zu verban­nen. Laut dem Bremer Erlass «stellt ihre Verwen­dung in der Öffent­lich­keit regel­mä­ßig eine nachhal­ti­ge Beein­träch­ti­gung der Voraus­set­zun­gen für ein geord­ne­tes staats­bür­ger­li­ches Zusam­men­le­ben und damit eine Gefahr für die öffent­li­che Ordnung dar». Die Polizei im Bundes­land Bremen kann die Flaggen nun konfis­zie­ren und die Eigen­tü­mer mit einem Bußgeld von bis zu 1000 Euro zur Kasse bitten. Ähnli­che Überle­gun­gen gibt es in Thürin­gen. Auch Baden-Württem­bergs Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann (Grüne) hält ein Verbot für «angemes­sen».

Die Amadeu Antonio Stiftung, die sich dem Kampf gegen Rechts­extre­mis­mus, Rassis­mus und Antise­mi­tis­mus verschrie­ben hat, findet die Flagge zwar auch proble­ma­tisch. Nach Einschät­zung ihrer Exper­ten wird sie gerne von Neona­zis als «Ersatz­flag­ge» für die bundes­weit verbo­te­ne Reichs­kriegs­flag­ge des NS-Regimes mit Haken­kreuz benutzt. Spreche­rin Simone Rafael meint jedoch: «Verbo­te zeigen Grenzen, was gut ist, lösen aber keine Probleme.»

Sie rechnet damit, dass die «rechts­al­ter­na­ti­ve Szene» sich dann eine neue Flagge suchen oder einfach mit der schwarz-rot-golde­nen Deutsch­land­fah­ne marschie­ren würde. Daher sei es wichti­ger, heraus­zu­fin­den: «Warum folgen die Menschen diesen wahnhaf­ten Erzäh­lun­gen, Deutsch­land sei besetzt und nicht souve­rän?» Und: «Wie holen wir die Menschen zurück, damit ein Gespräch wieder möglich ist?

Die schwarz-weiß-rote Reichs­fah­ne war zwischen 1871 und 1919 die Flagge des Deutschen Reichs, ab 1892 auch offizi­el­le Natio­nal­flag­ge des Kaiser­reichs. Die Natio­nal­so­zia­lis­ten übernah­men die Farben ab 1933 wieder. Dazwi­schen — in der Zeit der Weima­rer Republik — waren die Farben des Deutschen Reichs Schwarz-Rot-Gold. Unter der schwarz-weiß-roten Fahne sammel­ten sich zu jener Zeit die rechten Gegner der Demokra­tie, erklärt der Marbur­ger Histo­ri­ker Eckart Conze. Dabei habe es sich sowohl um Anhän­ger des autori­tä­ren Kaiser­reichs als auch Verfech­ter eines neuen «Führer­staats» gehan­delt. In deren Tradi­ti­on stell­ten sich auch heuti­ge Rechts­ra­di­ka­le, glaubt Conze.

Die Reichs­kriegs­flag­ge war die Fahne der Streit­kräf­te des Deutschen Reiches. Es gibt sie in verschie­de­nen Varia­tio­nen. Sie zeigt stets das Eiser­ne Kreuz, das wichtigs­te Symbol des preußi­schen Militärs. Ab 1935 gab es die Reichs­kriegs­flag­ge außer­dem mit Haken­kreuz in der Mitte. Diese Varian­te ist in Deutsch­land bundes­weit verboten.

Conze, der an der Univer­si­tät Marburg Neuere und Neues­te Geschich­te lehrt, spricht sich für eine Einschrän­kung des Gebrauchs der Fahnen aus. Er sagt: «Im öffent­li­chen Raum haben sie nichts zu suchen, weil sie für eine radika­le Ableh­nung und Bekämp­fung unserer freiheit­li­chen Demokra­tie und ihrer Werte stehen.»

Seit den 90er Jahren hat es immer wieder Diskus­sio­nen um ein Verbot vor allem der Reichs­kriegs­flag­ge gegeben. Sie kann laut Verfas­sungs­schutz in bestimm­ten Fällen sicher­ge­stellt werden, zum Beispiel, «wenn die Flagge Kristal­li­sa­ti­ons­punkt einer konkret drohen­den Gefahr ist». «Diese Praxis ließe sich sicher auf die schwarz-weiß-rote Reichs­fah­ne auswei­ten», schlägt der Histo­ri­ker vor. Doch auch er weist auf die Grenzen mögli­cher Einschrän­kun­gen hin: «Man darf sich nichts vorma­chen: Rechts­ra­di­ka­le und rechts­po­pu­lis­ti­sche Gegner unserer Demokra­tie werden andere Symbo­le finden, unter denen sie sich versam­meln können.»

Wenn Rechts­extre­me die Reichs­kriegs­flag­ge zeigten, sei dies Ausdruck einer Glori­fi­zie­rung der deutschen Streit­kräf­te sowohl des Kaiser­reichs als auch des Dritten Reiches. Die Träger verharm­los­ten beide Weltkrie­ge und relati­vier­ten deutsche Verbre­chen während des Zweiten Weltkrieges.

Mathi­as Middel­berg, innen­po­li­ti­scher Sprecher der Unions­frak­ti­on, hat kein Problem mit der Flagge an sich, findet es aber «unerträg­lich, wenn histo­ri­sche Flaggen aus der Kaiser­zeit zu antide­mo­kra­ti­schen, extre­mis­ti­schen Zwecken missbraucht werden». Ein generel­les Verbot dürfte seiner Ansicht nach aber schwie­rig werden: «Da die Flaggen für sich genom­men in keinem unmit­tel­ba­ren Zusam­men­hang mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus stehen.»

Bundes­in­nen­mi­nis­ter Horst Seeho­fer (CSU) steht Geset­zes­ver­schär­fun­gen mit dem Ziel, das Zeigen der Flagge einzu­schrän­ken, aufge­schlos­sen gegen­über. Er setzt sich für eine bundes­weit einheit­li­che Regelung ein und will das Thema bei der nächs­ten Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz von Bund und Ländern besprechen.

Die AfD hält nichts von einem Verbot. Der Innen­po­li­ti­ker und Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­te Martin Hess sieht sich durch die aktuel­le Debat­te zu den Fahnen in seinem Gefühl bestä­tigt, «dass gegen Regie­rungs­kri­ti­ker mit unnöti­ger Repres­si­on vorge­gan­gen wird, während Links­extre­mis­ten das Demons­tra­ti­ons­recht oftmals ungehin­dert für massi­ve Gewalt­ta­ten missbrauchen.»

Der FDP-Innen­po­li­ti­ker Benja­min Stras­ser hält aus anderen Gründen wenig von Flaggen­ver­bo­ten. «Das Problem sind doch nicht die Flaggen, sondern dieje­ni­gen, die sie tragen», sagt er. Die Sicher­heits­be­hör­den bräuch­ten eine besse­re Analy­se­fä­hig­keit, um Radika­li­sie­rung und Mobili­sie­rung zu erken­nen. Nur so könne verhin­dert werden, dass sich «Neona­zis in Wolf-im-Schafs­pelz-Manier als besorg­te Bürger» ausgä­ben und mit ihren Botschaf­ten «ganz norma­le Menschen» erreichten.

Ute Vogt, innen­po­li­ti­sche Spreche­rin der SPD-Bundes­tags­frak­ti­on, hält die jetzt schon bestehen­de Möglich­keit, die Fahne unter Berufung auf das Versamm­lungs­recht einzu­zie­hen, für ausrei­chend. Die Ausein­an­der­set­zung mit dem Rechts­extre­mis­mus sei nur zu gewin­nen «mit klarer Haltung für Mensch­lich­keit und Demokratie».