STUTTGART (dpa/lsw) — Das sogenann­te RS-Virus gilt als beson­ders gefähr­lich für Kinder und Säuglin­ge. Im Winter ist die Zahl der Klinik­be­hand­lun­gen bei unter Einjäh­ri­gen im Land drastisch gestie­gen. Ein Grund könnten die Schutz­maß­nah­men während der Corona-Pande­mie gewesen sein.

Die hohe Zahl an kranken kleinen Kindern mit schwe­ren Atemwegs­er­kran­kun­gen hatte die Klini­ken im Winter an die Grenzen der Belas­tung geführt. Lange Warte­zei­ten in den Notauf­nah­men, keine freien Betten — viele baden-württem­ber­gi­sche Kinder­kli­ni­ken sprachen von einem Ausnah­me­zu­stand. Nun zeigt sich: Im vergan­ge­nen Winter ist die Zahl der Neuge­bo­re­nen und Säuglin­ge, die wegen des sogenann­ten RS-Virus in einer baden-württem­ber­gi­schen Klinik behan­delt werden mussten, laut einer Studie drastisch gestie­gen. Ein Grund: Durch Schul­schlie­ßun­gen und Kontakt­ver­bo­te während der Corona-Pande­mie hatten sich vorletz­ten Winter deutlich weniger Kinder mit dem Respi­ra­to­ri­schen Synzy­ti­al-Virus (RSV)infiziert — das wurde dann in der jetzt zu Ende gehen­den kalten Jahres­zeit auf- und nachgeholt.

Nicht selten steckt das RSV dahin­ter, wenn die eigenen Kinder stark husten, schnell atmen und Atemnot bekom­men. Am RSV kann man zwar in jedem Alter erkran­ken, aber vor allem bei Säuglin­gen und Klein­kin­dern ist der Erreger bedeut­sam. Folge können einfa­che Atemwegs­in­fek­tio­nen sein, aber auch schwe­re Verläu­fe bis hin zum Tod sind möglich. Zu Risiko­pa­ti­en­ten zählt das RKI zum Beispiel Frühge­bo­re­ne und Kinder mit Lungen-Vorer­kran­kun­gen, aber auch generell Menschen mit Immun­schwä­che oder unter­drück­tem Immunsystem.

Nach einer Analy­se im Auftrag der Kranken­kas­se DAK-Gesund­heit lag die Zahl der unter Einjäh­ri­gen mit dem RSV im letzten Viertel des vergan­ge­nen Jahres in Baden-Württem­berg dreimal höher als im gleichen Zeitraum 2018 — also vor der Corona-Pande­mie. «Hochge­rech­net auf alle in Baden-Württem­berg leben­den Kinder mussten im Winter 2022 rund 2100 Babys im Kranken­haus behan­delt werden», teilte die DAK mit. Zwischen Oktober und Dezem­ber seien mehr Kinder mit RSV in Kranken­häu­sern behan­delt worden als in der gesam­ten Vor-Corona-Saison 2018/19. Der Anteil auf den Inten­siv­sta­tio­nen stieg laut DAK-Sonder­ana­ly­se des baden-württem­ber­gi­schen Kinder- und Jugend­re­ports um 134 Prozent.

Medizi­ner sprechen von «erheb­li­chen Nachhol­ef­fek­ten nach der Corona-Pande­mie». Denn während der Covid-19-Pande­mie im Südwes­ten seien nahezu keine Kinder mit RSV-Infek­tio­nen im Kranken­haus behan­delt worden. «Nach der Corona-Pande­mie hat sich der Höhepunkt der RSV-Welle zeitlich nach vorne verscho­ben», teilte die DAK mit. «Und es wurden merklich mehr Kinder statio­när versorgt.» In der Saison 2021/22 habe sich der Anteil der baden-württem­ber­gi­schen Babys, die mit RSV im Kranken­haus behan­delt wurden, im Vergleich zur Saison 2018/19 verdreifacht.

«Die Ergeb­nis­se zeigen genau das, was wir in den Praxen erlebt haben», sagte Thomas Fisch­bach, der Präsi­dent des Berufs­ver­bands der Kinder- und Jugend­ärz­te, laut DAK. Die Saison 2020/21 sei wegen der Corona-Schutz­maß­nah­men nahezu ausge­fal­len. «Dieser Ausfall der Welle 2020/21 und das zeitli­che Vorzie­hen der sehr starken Welle 2021/22 lassen den Schluss zu, dass es zu erheb­li­chen Nachhol­ef­fek­ten infol­ge der Corona-Maßnah­men gekom­men ist», sagte Fischbach.

Auch Jan Steffen Jürgen­sen, Vorstand des Klini­kums Stutt­gart, spricht von einer «ausge­fal­le­nen Infekt­sai­son», zudem hätten sich mehre­re Wellen kritisch überla­gert. «An den schwe­ren Verläu­fen vieler Neuge­bo­re­ner und Säuglin­ge wurde das schmerz­haft deutlich», sagte der Stutt­gar­ter Medizi­ner. Jürgen­sen forder­te vor allem besse­re Rahmen­be­din­gun­gen für die Betreu­ung der kranken Kinder: «Die Zahl der Betten in Kinder­kran­ken­häu­sern ist seit Jahren rückläu­fig», sagte er. In den vergan­ge­nen 30 Jahren sei die Anzahl um etwa 40 Prozent gesun­ken, die verblie­be­nen Klini­ken seien oft sehr stark belas­tet. «Kinder­not­auf­nah­men arbei­ten am Limit und schon bei leich­ten Steige­run­gen der Patien­ten wird die Überlas­tung immer wieder gefähr­lich», warnte Jürgensen.

Für die DAK-Sonder­ana­ly­se unter­such­ten Wissen­schaft­le­rin­nen und Wissen­schaft­ler bundes­weit Daten von rund 786.000 Kindern und Jugend­li­chen bis 17 Jahren. Analy­siert wurden die Jahre 2017 bis 2022.

Die DAK-Gesund­heit ist nach eigenen Angaben mit 5,5 Millio­nen Versi­cher­ten die dritt­größ­te Kranken­kas­se Deutsch­lands. Insge­samt sind bei der Kranken­kas­se in Baden-Württem­berg rund 630.000 Menschen versichert.