BERLIN (dpa) — In Afgha­ni­stan haben wieder die Taliban die Macht übernom­men. Die Lage für Menschen­recht­ler oder frühe­re Mitar­bei­ter von Bundes­wehr und Entwick­lungs­hil­fe ist gefähr­lich. Tausen­de hoffen auf Deutschland.

Vierein­halb Monate nach der Macht­über­nah­me der Taliban Mitte August warten noch rund 20.000 Afgha­nin­nen und Afgha­nen auf eine Möglich­keit zur Einrei­se nach Deutsch­land. Das teilte das Bundes­in­nen­mi­nis­te­ri­um der dpa auf Anfra­ge mit.

Die Zahlen fluktu­ie­ren, weil frühe­re Ortskräf­te, die sich in ihrer Heimat bedroht sehen, sich weiter­hin an deutsche Behör­den wenden oder auch Angehö­ri­ge nachmel­den können. Zudem ist auch möglich, dass manche Betrof­fe­ne sich bereits in einem anderen Land außer­halb Afgha­ni­stans aufhalten.

Ortskräf­te betroffen

Die größte Gruppe unter den Einge­reis­ten machten mit Stand vom 27. Dezem­ber nach Auskunft des Bundes­in­nen­mi­nis­te­ri­ums sogenann­te Ortskräf­te und ihre Angehö­ri­gen aus. Seit dem 16. August sind demnach 1348 frühe­re Ortskräf­te und ihre Angehö­ri­gen nach Deutsch­land gekom­men, insge­samt 5437 Menschen. Ortskräf­te arbei­te­ten zum Beispiel für das Bundes­ent­wick­lungs­mi­nis­te­ri­um oder die Bundes­wehr als Überset­zer und müssen nun Verfol­gung durch die militant-islamis­ti­schen Taliban fürchten.

Auch Menschen­recht­ler, Künst­ler, Wissen­schaft­ler, Journa­lis­ten oder andere Menschen, die die Bundes­re­gie­rung als beson­ders gefähr­det einstuft, warten noch auf ihre Einrei­se. Aus dieser Gruppe sind bis Ende Dezem­ber 466 Menschen nach Deutsch­land gekom­men, inklu­si­ve Angehö­ri­ger waren es 1462 Personen.

Linke kriti­siert den Stand

Die Linken-Abgeord­ne­te Gökay Akbulut bezeich­ne­te den Stand der Aufnah­men als «absolut unzurei­chend». «Die Betrof­fe­nen leben in größter Angst und Unsicher­heit in Afgha­ni­stan.» Sie verwies auf einen Bericht der Menschen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on Human Rights Watch (HRW) von Ende Novem­ber, wonach die Taliban seit ihrer Macht­über­nah­me allei­ne in vier Provin­zen Afgha­ni­stans mehr als 100 ehema­li­ge Solda­ten, Polizis­ten oder Geheim­dienst­ler hinge­rich­tet oder verschwin­den haben lassen. «Die neue Außen­mi­nis­te­rin steht hier in der Pflicht, unkom­pli­ziert und schnell zu helfen», erklär­te Akbulut in Richtung Annale­na Baerbock (Grüne).

Die neue Bundes­re­gie­rung will die Evaku­ie­rung beson­ders schutz­be­dürf­ti­ger Menschen aus Afgha­ni­stan beschleu­ni­gen, wie Bundes­au­ßen­mi­nis­te­rin Baerbock angekün­digt hat. Das Auswär­ti­ge Amt hat bislang 670 Menschen mit einer Aufnah­me­zu­sa­ge für Deutsch­land mit zwei eigenen Charter­flü­gen aus Kabul evaku­iert. «Weite­re Charter­flü­ge direkt aus Kabul konnten aufgrund von Wider­stän­den durch die Taliban vorerst nicht erfol­gen», hieß es aus dem Außen­amt. Vor diesem Problem stünden auch andere Staaten. «Wir arbei­ten inten­siv an einer Wieder­auf­nah­me dieser Flüge.» Weite­re 430 Menschen hätten mit Flügen ausrei­sen können, die von Katar organi­siert wurden. «Daneben hat die Bundes­re­gie­rung Ausrei­sen aus Afgha­ni­stan auf Linien­flü­gen organi­siert. Weite­re Menschen konnten auf einem Flug einer Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on ausreisen.»

Aus dem pakista­ni­schen Islam­abad gab es laut Auswär­ti­gem Amt 18 Charter­flü­ge für die Weiter­rei­se nach Deutsch­land, den jüngs­ten davon am Donners­tag. Auf diesem Weg hätten rund 3800 Afgha­nin­nen und Afgha­nen mit Aufnah­me­zu­sa­gen einrei­sen können, also Ortskräf­te und Menschen auf der Menschen­rechts­lis­te des Außen­amts sowie jeweils deren Angehö­ri­ge. Seit der Macht­über­nah­me der Taliban seien an deutschen Auslands­ver­tre­tun­gen in der Region mehr als 5900 Visa für Afgha­nen erteilt worden.

SPD, Grüne und FDP haben sich in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag darauf verstän­digt, das Verfah­ren zur Aufnah­me von Ortskräf­ten so zu refor­mie­ren, dass gefähr­de­te frühe­re Mitar­bei­ter und ihre engsten Angehö­ri­gen unbüro­kra­tisch in Sicher­heit kommen. «Wir werden unsere Verbün­de­ten nicht zurück­las­sen. Wir wollen dieje­ni­gen beson­ders schüt­zen, die der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land im Ausland als Partner zur Seite standen und sich für Demokra­tie und gesell­schaft­li­che Weiter­ent­wick­lung einge­setzt haben», heißt es dort.

Von Marti­na Herzog, dpa